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„Wir brauchen eine wertebasierte Vision für das Plattform-Ökosystem“

Plattformen haben erheblichen Einfluss auf unsere Kommunikation sowie den Zugang zu Diensten, Gütern, Informationen und Wissen. Nach welchen Spielregeln sollten Plattformen in Zukunft arbeiten, damit das Internet für alle besser und gerechter wird?

Frank Böker

24. November 2020

Am 30. November 2020 um 16 Uhr lädt Wikimedia Deutschland zur digitalen Podiumsdiskussion: Bei der achten Ausgabe von Networks & Politics diskutiert Justus Dreyling, Projektmanager Internationale Regelsetzung bei Wikimedia, gemeinsam mit Expertinnen aus Wissenschaft und Politik über die gesetzliche Regulierung von Online-Plattformen. Im Interview erklärt Justus, warum das Thema wichtig für den freien Wissensaustausch im Netz ist – und wieso es ein Umdenken seitens der Politik braucht.

In der Digitalpolitik ist manchmal die Rede vom „Plattform-Ökosystem“ – was ist damit gemeint?

Justus Dreyling: Mit Plattform-Ökosystem ist zunächst einmal das Gesamtgefüge solcher Internetangebote gemeint, die Inhalte anderer „hosten“, aber nicht selbst erstellen. Dabei denken wir in der Regel an soziale Medien wie Facebook, Instagram, YouTube oder Twitter, wo Nutzende öffentliche Profile erstellen und ihre Botschaften, Fotos oder Videos mit der Welt teilen. Diese Plattformen sind ja ein allgegenwärtiger Bestandteil unseres Lebens geworden. Abgesehen von ihrem Unterhaltungswert spielen sie mittlerweile auch eine wichtige Rolle für die öffentliche Debatte, da oft auch über politische Themen diskutiert wird.

Allerdings wirft die Marktmacht einiger weniger Konzerne Fragen nach dem Machtgefälle zwischen Plattformbetreibern und Nutzenden auf. Außerdem beobachten wir, dass manche Nutzende Plattformen für die Verbreitung illegaler oder wenigstens problematischer Inhalte wie Hassrede gebrauchen. Die maßgeblichen EU-Regeln für Plattformen und andere Dienstleistungen im Internet sind schon über 20 Jahre alt. Damals gab es noch keine sozialen Medien nach unserem heutigen Verständnis. Auch die sogenannte Gig Economy, in der Online-Plattformen Aufträge an Selbstständige vermitteln (wie z.B. Uber), existierte noch nicht. Jetzt wird es also Zeit für ein Update. Deshalb legt die EU-Kommission nun einen ersten Entwurf für eine umfassende Neuregelung aller digitalen Dienstleistungen vor – den Digital Services Act.

Inwiefern sind auch Wikipedia und Co. von dieser Art der Plattformregulierung betroffen?

Justus: Auch die Wikipedia und andere Wikimedia-Projekte sind im juristischen Sinne Plattformen, da sie von Nutzerinnen und Nutzern erstellte Inhalte hosten. Regeln etwa für den Umgang mit illegalen Inhalten betreffen also auch die Wikipedia, zumindest wenn gemeinnützige Plattformen nicht explizit ausgenommen werden. In vielen Bereichen ist das auch völlig in Ordnung, sofern der Gesetzgeber den Community-Gedanken berücksichtigt und durch neue Regeln keine Einschränkungen für Freies Wissen oder die Meinungsfreiheit im Netz entstehen. In der Wikipedia übernehmen die ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren die Moderation von Inhalten selbst – und zwar auf Grundlage von Regeln, die von der Community beschlossen wurden. Das muss auch weiter in dieser Form möglich sein.

Die Frage wird sein, wie ambitioniert die Europäische Union den Digital Services Act angeht. Wir sehen hier auf jeden Fall die Chance, dass das Plattform-Ökosystem fairer wird und sich die Bedingungen auch für kleinere gemeinwohlorientierte Anbieter verbessern und nicht nur für die großen kommerziellen Player funktionieren.

Was muss dafür denn jetzt konkret geschehen?

Justus: Persönlich finde ich, dass es eine etwas andere Herangehensweise braucht: In der Debatte um die Regulierung von Plattformen geht es viel zu häufig um spezifische Probleme. Hassrede und Desinformation etwa sind zwar höchst relevante Themen. Sie können aber nicht losgelöst von Fragen der Meinungsfreiheit oder dem Geschäftsmodell kommerzieller Plattformen diskutiert werden, denn die geben zur Generierung von Werbeeinnahmen auch problematischen Inhalten Raum. Deshalb sollten wir uns mehr damit beschäftigen, was für ein Plattform-Ökosystem unsere Gesellschaft insgesamt überhaupt braucht, damit das Internet zu einem besseren und gerechteren Ort werden kann. Um einen geeigneten Ordnungsrahmen entwerfen zu können, sollten wir uns zunächst auf Werte verständigen, die wir auch auf Plattformen gerne verwirklicht sähen.

Über Plattformregulierung, den Digital Services Act und Visionen für das Internet von morgen geht es bei Networks & Politics am 30. November. Die Anmeldung für die digitale Podiumsdiskussion ist kostenlos unter wikimedia.de/networksandpolitics/ möglich.

Networks & Politics

Digitale Podiumsdiskussion am
30. November 2020, 16 Uhr

Hier im Livestream

Gäste:

Eileen Fuchs, Referatsleiterin für Digitalpolitik im Bundesministerium des Innern
Prof. Jeanette Hofmann, Leiterin der Forschungsgruppe „Politik der Digitalisierung“ beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Justus Dreyling, Projektmanager Internationale Beziehungen bei Wikimedia Deutschland

Moderation: Svea Windwehr

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