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COVID-19: Wie Wikipedia uns durch unsichere Zeiten hilft

Die Wikimedia-Projekte stellen weltweit gut belegte und lebenswichtige Informationen über die COVID-19-Pandemie für Millionen von Menschen zur Verfügung. In unserem aktuellen Politikbrief zeigen wir, wie die weltweite Community in Zeiten der Krise ihre Kräfte bündelt und warum Wikipedia besser als andere Strukturen gegen Desinformation aufgestellt ist.

Lilli Iliev

25. Juni 2020

Die Welt redet über Corona. Dabei wird auch deutlich, dass große Gefahren neben dem Infektionsgeschehen selbst von mangelnder Information oder gezielter Desinformation ausgehen. Doch welchen Informationsquellen wird in diesen Zeiten am meisten vertraut? Verschwörungserzählungen haben Hochkonjunktur, Internet-Plattformen bemühen sich um deren Eindämmung. Dabei zeigt sich: Gerade in ungewissen Zeiten wird der Wert transparenter, neutraler und zuverlässiger Informationen für uns alle umso deutlicher.

Hier geht’s zum Politikbrief von Wikimedia Deutschland

Mit dem halbjährlich erscheinenden Politikbrief informieren wir Politikerinnen und Politiker über Aktivitäten und Entwicklungen des Wikimedia movements und bereiten politische Forderungen des Vereins auf. In unserem aktuellen Politikbrief zeigen wir, wie die weltweite Community aus Ehrenamtlichen in Zeiten der Krise besonders intensiv zusammenarbeitet und warum Wikipedia wenig Probleme mit Desinformation hat.

Wikipedia und COVID-19: Digitales Ehrenamt auf Hochtouren

Seit Beginn der Pandemie ist Wikipedia weltweit zur ersten Anlaufstelle für medizinische- und Gesundheitsinformationen rund um COVID-19 geworden. Dabei leuchten zwei Prinzipien der Wikipedianerinnen und Wikipedianer in diesen Zeiten am hellsten: Zusammenarbeit und Vertrauen. Ein globales Netzwerk von über 200.000 Ehrenamtlichen erstellt, aktualisiert und übersetzt Wikipedia-Artikel rund um die Pandemie. Dank der Arbeit dieses Netzwerks konnten mehr als 5.000 Wikipedia-Artikel über COVID-19 in über 160 Sprachen erstellt werden. Diese Artikel wurden bisher weltweit mehr als 240 Millionen Mal aufgerufen.

Bereits im Januar erweiterte sich das Themenspektrum, etwa auf Artikel zur lokalspezifischen Verbreitung des Virus sowie auf gesellschaftspolitische Aspekte, etwa durch die Pandemie ausgelöste rassistische Übergriffe und Ereignisse. Aufklärung darüber, wie sich das Virus überträgt und wie man sich schützen kann, illustrierende Grafiken, Statistiken und Erklärvideos konnten sofort weltweit abgerufen und frei nachgenutzt werden, etwa um Unterrichtsmaterialien daraus zu erstellen oder Quellen wissenschaftlich zu vergleichen.

  • 5.209 neue Artikel zu COVID-19
  • 175 Sprachen in denen COVID-19-Artikel existieren
  • 708.403 Bearbeitungen insgesamt in COVID-19 Artikeln 
  • 382,376,921Seitenaufrufe von COVID-19 Artikeln aus der ganzen Welt
  • 58,317 Bearbeitende, die zu COVID-19-Artikeln beigetragen haben
    (Stand 20.05.2020: https://wikimediafoundation.org/covid19/data/)

Verlässliche Gesundheitsinformationen Beispiel: WikiProject Medicine

Viele Tausend Ehrenamtliche arbeiten nun mit noch mehr Zeiteinsatz daran, seriöse und aktuelle Informationen auf Wikipedia bereitzustellen. Autorinnen und Autoren organisieren sich in thematischen Gruppen, auch Redaktionen genannt, etwa im Portal:Medizin in der deutschsprachigen Wikipedia oder in der englischsprachigen Wikipedia im WikiProject MedicineDer kanadische Notfallarzt und langjährige Wikipedianer Dr. James Heilman arbeitet hier mit einigen Hundert anderen Ehrenamtlichen zusammen an medizinischen- und Gesundheitsthemen.

„Im Moment ist das einzige Werkzeug, das uns zur Bekämpfung dieses Virus’ zur Verfügung steht, die Aufklärung darüber, wie es sich verbreitet. Diese Krankheit kann durch Wissen gestoppt werden.“Dr. James Heilman, Notfallarzt und Wikipedianer

In den letzten Wochen und Monaten werden alle Bearbeitungen zum Thema COVID-19 nun aufgrund der erhöhten Abrufzahlen und der viel häufiger erfolgenden Aktualisierungen besonders engmaschig geprüft. Alle medizinischen Daten und Informationen müssen durch ein Peer-Review untermauert werden. Nur seriös erhobene Gesundheitsdaten staatlicher Behörden gehen in Statistiken ein.
Viele der ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren, die Wikipedia-Artikel über COVID-19 erstellen, überprüfen und verbessern, haben medizinische Fachkenntnisse, arbeiten oder forschen selbst im Gesundheitsbereich.

Vertrauen in Information: Warum hat Wikipedia wenig Probleme mit Desinformation?

Wikipedia wird bald 20 Jahre alt. Dabei war das erste Jahrzehnt oft von Skepsis geprägt: Wenn alle mitschreiben können, kann dann Qualität entstehen? Im zweiten Jahrzehnt wandelte sich diese Sicht fundamental. Heute zeigt sich: Gerade aufgrund der umfassenden Offenheit und Transparenz bei Wikipedia werden die Informationen im Vergleich zu anderen Medienplattformen immer korrekter.

Große Internet-Plattformen stehen vor enormen Problemen mit der Eindämmung von Falschinformationen, Hassrede und gezielten Desinformationskampagnen. Aufgrund ihrer Selbstbestimmtheit erweisen sich die verschiedenen Wikipedia-Communities weltweit vielfach als schneller, flexibler und weniger fehleranfällig als die zentral organisierten “Cleaner”-Teams großer Plattformunternehmen – die dennoch nicht bereit zu sein scheinen, ihre eigene Nutzendenschaft in ähnlicher Weise selbstbestimmt Verantwortung übernehmen zu lassen. Die Politik sucht hier nach verhältnismäßigen, ausbalancierten Regulierungsmaßnahmen, steht dabei jedoch unter Zeitdruck.

„Obwohl der deutsche Artikel “COVID-19-Pandemie” mittlerweile über 150.000 Mal am Tag gelesen wird, gibt es kaum Vandalismus“Wikipedia-Autor “Gerbil”, seit 14 Jahren aktiv, im Gespräch mit heise.online. Er schreibt u.a. regelmäßig an Artikeln zur Spanischen Grippe oder der Vogelgrippe H5N1 mit.

Wikipedia hat auch deshalb nicht die gleichen Probleme wie andere Plattformen und soziale Medien, weil das zugrunde liegende Modell ein anderes ist:
Es geht nicht um beliebige Inhalte, sondern um belegte Inhalte. Damit eine Information auf Wikipedia stehen kann, muss sie durch eine zuverlässige Quelle belegt sein. Und sie kann jederzeit von anderen Wikipedia-Autorinnen und Autoren und der Allgemeinheit überprüft werden. Wikipedia schlägt sich besonders in diesen Zeiten der Krise gut, weil die Ehrenamtlichen-Community sich an Regeln hält, die schon vorher etabliert waren: Neutraler Standpunkt und verlässliche Quellen. In einer Welt, in der Menschen nach Informationen suchen, von denen sie wissen, woher sie kommen, steigt auch das Vertrauen in Wikipedia.

  • umfassende Offenheit und Transparenz
  • jede noch so kleine Bearbeitung bleibt für immer im System gespeichert und ist über die Versionsgeschichte der Artikel jederzeit für alle Menschen einsehbar
  • ein Blick auf die Diskussionsseiten gibt Aufschluss über interne Diskussion der Autorinnen und Autoren zum Thema

Vertrauenswürdige Informationen brauchen gute Datenquellen

Um weiterhin eine verlässliche Informationsquelle auch in Zeiten der Krise zu sein, brauchen die Ehrenamtlichen der Wikipedia gute Rahmenbedingungen für ihre Arbeit. Dazu gehört der freie Zugang zu qualitativ soliden und nachnutzbaren Informationen. Politisch kann hier durch sichere und interoperable Daten-Infrastrukturen und den erleichterten Zugang zu Daten der öffentlichen Verwaltung unterstützt werden.
Datenkooperationen zwischen Open-Data-Communities und öffentlichen Institutionen können hier den Weg in eine gemeinwohlorientierte Datenpolitik aufzeigen: Das Linked-Open-Data-Projekt Wikidata ist mit inzwischen über 86 Millionen Datensätzen (Stand Mai 2020) die weltweit größte offene und frei editierbare Datenstruktur ihrer Art

Das Schwesterprojekt von Wikipedia dient schon heute vielen weiteren Projekten und Anwendungen als wichtige Grundlage, die gerade während der Pandemie eine Quelle für vertrauenswürdige Daten ist. In dieser Form maschinenlesbar vorliegendes, verknüpfbares Wissen kann von Stadtteil-Initiativen genauso genutzt werden wie im Katastrophenschutz, zur Erstellung von Bildungsmaterialien dienen, Forschungsvorhaben erleichtern und unzähliges mehr.

Was kann die Politik an Unterstützung leisten?

Parlamente wie Regierungen sollten, wo immer möglich, Wertschätzung und Anerkennung der Arbeit im digitalen Ehrenamt fordern und leben.

Zugleich sollte die öffentliche Hand die naturgemäß eher hochwertigen Daten und andere steuerfinanzierte Inhalte aus Verwaltungen, öffentlichen Einrichtungen, öffentlich geförderter Forschung und auch Bildungsinhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in bearbeitbaren Formaten zur freien Nutzung zur Verfügung stellen. Hier braucht es insbesondere Rechtssicherheit, wann behördliche Veröffentlichungen als „amtliche Werke“ wirklich urheberrechtsfrei sind. Wir schlagen eine entsprechende Vermutungsregel im Urheberrechtsgesetz vor, das noch in der laufenden Legislaturperiode ohnehin angepasst werden muss, um die EU-Urheberrechtsreform umzusetzen.

Was solch weitreichende Regulierungen wie die EU-Urheberrechtsreform oder den anstehenden „Digital Services Act“ der EU und die jeweilige Umsetzung ins deutsche Recht angeht, brauchen digitale Ehrenamtsprojekte wie Wikipedia die Politik und gerade auch Abgeordnete als Verbündete: Plattformregulierung muss mit Augenmaß erfolgen und darf Ehrenamtlichenprojekte nicht unnötig belasten.

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