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Digitalisierte Geschichte: Zurück zur Quelle mit Wikisource, Teil 1

Andreas Wagner ist unter dem Benutzernamen A. Wagner seit 2007 in verschiedenen Wikimedia-Projekten aktiv, sein Schwerpunkt ist dabei Wikisource. Das Wikipedia-Schwesterprojekt ist eine Sammlung gemeinfreier und frei lizenzierter Quellen, die digitalisiert und transkribiert allen Menschen zur Verfügung stehen. Nicolas Rück hat mit ihm gesprochen.

Nicolas Rueck

24. September 2018

Wikisourcler A. Wagner

Was fasziniert Menschen an alten Texten? Warum lohnt sich die mühevolle digitale Aufarbeitung? Nicolas Rück aus dem Team Ideenförderung, das bei WMDE Wikimedia-Freiwillige und ihre Projekte betreut und fördert, hat mit Andreas über dessen Engagement in Wikisource, der freien Quellensammlung, gesprochen. In Teil 1 erzählt er von der Aufbereitung von Rechtstexten und Texten zu Kunstsammlungen. Im zweiten Teil, der nächste Woche erscheinen wird, spricht er von seinem Projekt zur Darstellung bilateraler Kulturabkommen in Wikisource und Wikipedia, dem eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) vorausgegangen war.

Wie bist du auf Wikisource aufmerksam geworden und warum ist das Projekt wichtig?

Das Ganze ist einem Zufall zu verdanken, der mir im Jahre 2005 ein Konvolut von ca. 300 Gesetzbüchern in die Hände spielte, die aus einer ehemaligen Gemeindebibliothek stammten und der Entsorgung entrissen wurden. Diese Bibliothek enthielt die Gesetzbücher aus den zutreffenden Ebenen der öffentlichen Verwaltung von der Reichs-, über die Landes- und Kreis- bis hinunter zur Bezirksebene. Das war für mich eine Herausforderung, denn mir war klar, dass ich mit diesen Büchern etwas anzufangen wissen musste, alles andere wäre eine Niederlage gewesen. Ich entstaubte diese Teile und legte eine Liste an, hatte aber keine Schimmer irgendeiner sachgemäßen Verwertung. Bei einer Suche im Internet bin ich dann über Wikipedia auf Wikisource gestoßen und damit war der Groschen gefallen. Seit 2007 stelle ich nun das Deutsche Reichsgesetzblatt in Wikisource ein; was in der Gemeindebibliothek nicht enthalten war, habe ich zugekauft. Damit stopfe ich auch eine generelle Lücke im freien Internetzugang zu dieser Quelle, denn es gibt keinen anderen Anbieter, der dieses Gesetzblatt komplett anbietet. Das hat auch die von der Universitätsbibliothek Regensburg betriebene elektronische Zeitschriftenbibliothek erkannt und das Projekt aufgenommen. Es steht nun den ca. 630 Teilnehmereinrichtungen dieser Institution ebenfalls zur Verfügung. Das macht mich schon ein bisschen stolz.

Scan des Bundes-Gesetzblatts von 1871. Diese Scans werden für Wikisource transkribiert.

Das kann ich nachvollziehen. Ist denn das Projekt abgeschlossen?

Nein, aber permanent in Arbeit. Der Teil I des Reichsgesetzblattes ist seit Ende April komplett auf dem freien Medienarchiv Wikimedia Commons zu finden, der Teil II derzeit bis 1931. Auf Wikisource sind die transkribierten Inhaltsverzeichnisse zu finden, die auf den jeweiligen Scan auf Commons verlinkt sind. Transkribierte Volltexte, das heißt sämtliche Texte eines Jahrganges, liegen bis Anfang 1909 auf Wikisource vor.

Das scheint mir eine Sisyphos-Arbeit zu sein. Bekommst Du Unterstützung, und wie stellst du dir vor, das Projekt fertigzustellen?

Unterstützung bekomme ich schon, einige Wikisourcler korrigieren diese Texte. Sehr hilfreich war auch die Initiative einer Wikisourclerin, die Google-Scans der Gesetzbücher von 1905 bis 1922 herunterzuladen und mir zur Verfügung zu stellen. Das hat das Ganze natürlich sehr beschleunigt. Ab 1923 sind diese aber wegen dem US-Urheberrecht gesperrt und nicht mehr zugänglich, da habe ich den Scanner wieder angeworfen, und der läuft heute noch. Ob das Projekt aber komplett bearbeitet, das heißt, sämtliche Texte bis 1945 transkribiert werden können, das steht in den Sternen. Mein Nahziel ist erst einmal, die Scans komplett nach Commons zu bekommen.

Was ist deine Motivation? Wie gehst du mit den Texten von 1933 bis 1945 um?

Ich denke, die Relevanz dieser Texte gebietet es, diese möglichst barrierefrei allen zur Verfügung zu stellen. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Demokratie unter Beschuss geraten ist und der Fokus in die Vergangenheit geht, scheint es mir unumgänglich, sich mit diesen Texten auseinanderzusetzen. Das fängt mit dem Kaiserreich an, aus dem noch vieles in die Gegenwart wirkt, man nehme nur das Ende der deutschen Kleinstaaterei oder die Sozialgesetzgebung, über die Weimarer Republik mit ihrer Aufbruchstimmung, progressiver Gesetzgebung, aber auch dem ständigen Kampf mit Gegnern der Demokratie und den Ergebnissen des 1. Weltkrieges bis hin zum 3. Reich mit seinem brutalen Größenwahn und dem letztendlichen Untergang. Wenn man sich mit einigen dieser Texte der letzten Periode auseinandersetzt, bekommt man eine Vorstellung davon, was völlige Rechtlosigkeit bedeutet. Wer damals, aus welchem Grund auch immer, in das Fadenkreuz der Mächtigen geriet, war verloren und nichts war da, auf das man sich berufen konnte.

Beschäftigst du dich ausschließlich mit Rechtstexten?

Nein, ich kann das nicht, da kommt immer nach einer gewissen Zeit Überdruss auf, da man muss sich zwangsläufig mit etwas Anderem beschäftigen. Mein zweites Standbein ist die Kunst und als Kunstfreund bekomme ich in Dresden natürlich jede Menge Anregungen. Gerade die ehemaligen Königlichen Sammlungen, die jetzigen Staatlichen Kunstsammlungen (SKD), waren und sind ja mit die berühmtesten der Welt und können mit einem Fundus an Literatur glänzen, der Seinesgleichen sucht. Ich beschäftige mit intensiv mit diesem Fundus, habe auf Wikisource eine Bibliographie der im Internet frei erreichbaren Quellen angelegt und auch einige Bücher transkribiert. So konnte z. B. die unangemessen dürftige Commons-Kategorie zum Grünen Gewölbe mit einigen prachtvollen Abbildungen der Kunstwerke angereichert werden. Diese stammen zwar aus den 20er und 30er Jahren, viele sind schwarz/weiß, aber trotzdem sehr sehenswert und wurden seitens unseres Projektpartners, der Universitätsbibliothek Heidelberg hochaufgelöst eingescannt, wofür ich sehr dankbar bin.

„Das Grüne Gewölbe: eine Auswahl von Meisterwerken in vier Bänden.“ auf Wikisource

Gibt es eine Reaktion seitens der SKD?

Leider nein, aber die Hoffnung stirbt wie immer zuletzt. Ich denke, ich habe da auf Wikisource ein schönes Geschenkpaket für die SKD geschnürt und hoffe, dass es eines Tages abgeholt wird.

Wie abgeholt?

In dem es z. B. mit der SKD-Homepage verlinkt wird. Diese historische Literatur, die ich auf Wikisource gesammelt, verlinkt und auch transkribiert habe, ist doch ein Schatz, an dem man auf Dauer nicht vorübergehen kann. Seitens der SKD gibt es bezüglich der Präsentation von Digitalisaten historischer Literatur aus meiner Sicht noch einen großen Nachholbedarf.

Wieso ist man mit einer Zusammenarbeit so zurückhaltend?

Vielleicht sind einzelne Erfahrungen mit der Wikipedia für manche in der Fachwelt nicht so prickelnd. Ich kann mir schon vorstellen, dass es für einen promovierten Kunsthistoriker auch frustrierend sein kann, sich mit einem anonymen Benutzer, vielleicht auch einem Troll, herumzuärgern, der mit wenig Sachverstand, dafür aber umso mehr Ausdauer in einem Artikel herumfuhrwerkt, dass es eine Freude ist. Das kann einem auf Wikisource nicht passieren. Unser Arbeitsprinzip ist doch ziemlich simpel, aber umso wirkungsvoller: Wir sammeln oder schreiben historische, gemeinfreie Texte ab, und das so genau wie möglich. Alles, was bei uns geschrieben steht, ist sofort nachprüfbar, indem man auf dem Link zum Scan klickt. Da haben wir keinerlei Freiheiten, und wenn jemand mal einen (seltenen) Kommentar abgibt, so ist der als solcher gekennzeichnet und einzuordnen. Also, es gibt keinen Grund, Wikisource zu misstrauen. Viele Kritiker sprechen ja Wikipedia die Zitierfähigkeit ab, dafür gibt es aber bei Wikisource keinen Grund. Eine Bestätigung für unsere Arbeit finde ich in der sehr fruchtbaren Zusammenarbeit mit der SLUB, der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Auf der dortigen Homepage werden wir Wikisourcler als Citizen-Scientists bezeichnet, als Bürgerwissenschaftler. Das ist für mich der Ritterschlag.

Das klingt ja alles sehr erfreulich, da müsstet ihr euch doch eigentlich bei Wikisource vor Mitarbeitenden nicht retten können…

Leider nein, Mitarbeiter sind Mangelware. Für diese Aufgabe, die ansteht, quasi einen Ozean voller guter Literatur und relevantem Schrifttum zu bearbeiten und in das richtige (digitale) Licht zu rücken, werden jede Menge Mitarbeiter gebraucht. Die Aufgabe ist zwar ehrenamtlich, aber nicht umsonst, und man nimmt jede Menge Anregungen und Wissen mit, die immer und in jeder Lebenslage hilfreich sein kann. Außerdem bekämpft man wirkungsvoll den Teufel unserer Zeit, die Langeweile und tut Gutes, das gibt ein positives Lebensgefühl. Informieren kann man sich auf unserer Hauptseite: https://de.wikisource.org/wiki/Hauptseite über alles Weitere.

Kommentare

  1. […] aus dem Team Ideenförderung hat mit Andreas über dessen Engagement in Wikisource gesprochen. Im ersten Teil des Interviews sprach er über die Aufbereitung von Rechtstexten und Texten zu Kunstsammlungen in Wikisource. In […]

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