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Die Ignoranz der Macht: Leistungsschutzrecht und Upload-Filter bedrohen akut das freie Netz

In diesen Tagen werden auf EU-Ebene netzpolitische Entscheidungen verhandelt, die gravierende Auswirkungen auf die Zukunft des Netzes haben können. Insbesondere die Erstellung und Verbreitung von Freiem Wissen und der gemeinschaftliche Zugang dazu, für den Wikipedia steht, sind bedroht.
Christian Schneider (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:No-Upload-Filter_Verteilaktion_(6).jpg), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode 4.0/deed.de)

Lilli Iliev

1. Juni 2018

Community kann Kontext. Filter nicht. Foto: Christian Schneider, CC BY-SA 4.0

Du bist in Berlin und möchtest etwas unternehmen? Am Montag, den 18. Juni 2018 um 15 Uhr, laden wir zu einer Straßenaktion gegen das vor dem Informationsbüro der Europäischen Kommission in Berlin ein. Kommt vorbei, werdet laut!

Adresse: Unter den Linden 78/ Fußgängerinsel Wilhelmstraße

Geht nicht? Dann teile deine Bedenken zu Art. 11 und 13 in den sozialen Medien unter dem #fixcopyright und #savetheinternet.

Der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (auch COREPER genannt) der Europäischen Union hat letzten Freitag eine gemeinsame Position zur Urheberrechtsreform beschlossen.

Die Deutsche Delegation stimmte im Rat gegen das Verhandlungsmandat. Das hatten wir in unserer Bannerkampagne auf Wikipedia und dem entsprechenden Blogbeitrag gefordert, zu dem wir viel Zustimmung und Unterstützungsangebote bekommen haben. Wer Interesse hat, unsere politische Arbeit zu unterstützen und/oder Informationen dazu zu erhalten, kann sich gern unter politik@wikimedia.de melden.

Nun tritt das Gremium unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit EU-Kommission und EU-Parlament in den so genannten Trilog, um eine endgültige Fassung der Reform zu verhandeln. Hochproblematisch sind dabei zwei Bestandteile: Das Leistungsschutzrecht und Upload-Filter, die klare negative Auswirkungen auf die freien Entfaltungsmöglichkeiten im Internet hätten.

Interessen der Zivilgesellschaft werden ignoriert

Kritikerinnen und Kritiker befürchten, dass die geplanten Maßnahmen zur automatisierten Inhaltserkennung- und Löschung eine Infrastruktur für Zensur im Internet schaffen, die weiteren Filtermaßnahmen Tür und Tor öffnet und so die Meinungsäußerungsfreiheit im Netz schleichend aushöhlen kann.

Eine breites Bündnis aus Fachleuten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Kunst- und Kulturschaffenden, Internetwirtschaft und zivilgesellschaftlichen Initiativen weist daher seit knapp zwei Jahren eindringlich auf die Gefahren hin, die durch eine EU-weite Einführung von Leistungsschutzrecht und Upload-Filtern drohen. Sie machen deutlich, dass sie diese Regelungen nicht wollen. (Siehe auch Offener Brief Europäische Upload-Filter-Regelung verhindern sowie Meldungen unter #Uploadfilter, #lsr oder #fixcopyright)

Währenddessen ignoriert der zuständige Verhandler den immer lauter werdenden Protest der Bürgerinnen und Bürger, deren Interessen er eigentlich wahrnehmen und vertreten sollte.

Schon in der Vergangenheit kritisierten wir etwa Last-Minute-Änderungen an Artikel 13, siehe Pressemitteilung.

Leistungsschutzrecht: Rechtszersplitterung droht

Das in Artikel 11 vorgesehene EU-weite Leistungsschutzrecht bedroht unter anderem das Zitieren in der Wikipedia. Selbst für die Verwendung kurzer Nachrichteninhalte, sogenannter Anreißer, wäre nämlich eine Abgabe an die Urheberinnen und Urheber sowie an die Verlage zu entrichten. Der Europäische Rat ist dafür, und auch europäische CDU-Abgeordnete üben hier offenbar massiven Druck aus, siehe auch https://twitter.com/Senficon/status/1001777223324585984.

Der EU-Rat hat nun entschieden, dass jedes Mitgliedsland die genaue Auslegung zum Leistungsschutzrecht selbst vornehmen soll. Alle 28 Mitgliedsstaaten sollen selbst definieren, was “unerhebliche” Ausschnitte eines Textes sind, bis wann ein Textausschnitt also frei nutzbar bleibt und ab wann eine Schöpfungshöhe erreicht ist.

Dies läuft fatal der eigentlichen Intention der Urheberrechtsreform zuwider, einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt mit harmonisierten Regelungen zu schaffen. 28 verschiedene Regelungen bedeuten weitere Rechtszersplitterung statt klarer, einheitlicher Regeln.

Upload-Filter: Infrastruktur für weitere Zensurmaßnahmen

 

Durch die in Artikel 13 vorgesehenen Upload-Filter wird die automatisierte Filterung von Content im Netz weiter vorangetrieben. Die größte Sorge besteht darin, dass die Rechtsdurchsetzung über das Urheberrecht nur der erste Schritt ist, um weitere Filtermaßnahmen vorzunehmen. Ist die gesetzliche Grundlage und die Filter-Infrastruktur erst einmal da, ist die Schwelle, sie für weitere Zwecke zu nutzen, gering. Siehe dazu auch den re:publica-talk “Uploadfilter: Nur die erste Schlacht von vielen”.

Der aktuelle Entwurf für Artikel 13 sieht vor, dass alle Plattformen für Rechtsverstöße haftbar gemacht werden sollen, die Uploads von Nutzenden zulassen und veröffentlichen, das sogenannten Providerprivileg entfiele. Damit drohen Löschungen auch legaler Meinungsäußerung, was sowohl Verstöße gegen Europarecht als auch gegen die Grundrechtscharta bedeutete.

Auch Artikel 3 ist problematisch, da im Rahmen von Text- und Data-Mining maschinengestützte Wissensaneignung empfindlich reglementiert werden könnte.

Österreich bald im Fokus europäischer Netzpolitik

Ab dem 1. Juli übernimmt Österreich den EU-Ratsvorsitz und steht dann im Fokus der europäischen Netzpolitik. Katherine Maher, Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation, diskutiert aus diesem Anlass Ende Juni mit Medien- und zivilgesellschaftlichen Vertreterinnen und Vertretern, auf welche Weise gemeinschaftliche Projekte wie die Wikipedia durch die bevorstehenden Urheberrechts-Maßnahmen gefährdet werden.

Wie geht es weiter?

Neben dem Rat verhandelt auch das Parlament mit. Hier steht im zuständigen Rechts-Ausschuss für den 20.06. eine Abstimmung an. Derzeit ist hier (fast täglich erscheinen jedoch neue Vorschläge) die Upload-Filter-Regelung etwas entschärft, die Mehrheit für das Leistungsschutzrecht bröckelt. Bewegen müssen sich nun Teile der Christlich-Konservativen (EVP) die Liberalen (ALDE) und die Nationalkonservativen (EFDD). Hier hilft auch Druck aus Deutschland – manchmal hängt es aber auch einfach an Einzelpersonen in diesem Ausschuss.

Die Reform, die das Urheberrecht besser von der analogen auf die digitale Welt anpassen sollte, ist inzwischen dermaßen vertrackt und so viele Streitpunkte offen, dass sie sich noch weiter in die Zukunft verschieben kann. Das ist frustrierend. Gerade nimmt die Auseinandersetzung aber an entscheidenden Punkten teils auch eine gute Richtung. Wo die Urheberrechtsreform Zukunftsweisendes wie z. B. Remix-Schranken ermöglichen könnte, schilderte Julia Reda bei unserer Veranstaltungsreihe Monsters of Law. In der Sommerpause kann sich noch viel bewegen. Wir bleiben dran und geben nicht klein bei.

 

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  • Ist manchmal hilfreich ;) Jetzt oben ergänzt.

    Kommentar von Lilli Iliev am 18. Juni 2018 um 10:23

  • Also … ich hätte ja schon die Adresse vom Informationsbüro der EU-Kommission hier gepostet. Als Service, zur Sicherheit – für den Erfolg. :-)

    Unter den Linden 78, D-10117 Berlin

    Kommentar von creezy am 18. Juni 2018 um 08:58

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