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Freies Wissen weltweit: Die Gesichter hinter Wikimedia – Teil 2

In Teil 2 der Reihe wird's politisch: Zwei starke Frauen der Wikimedia-Bewegung über digitale Freiheiten, Verantwortung und (wikimedianische) Wissensvielfalt.
Jason Krüger for Wikimedia Deutschland e.V., Wikimedia Conference 2018, Group photo (2), CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de)

WMDE allgemein

12. Mai 2018

“Stell dir eine Welt vor, in der das gesamte Wissen der Menschheit für alle frei zugänglich ist. Das ist es, was wir machen.” So beschrieb Wikipedia-Gründer Jimmy Wales einmal den Grundgedanken hinter Wikipedia. Seitdem ist das Wikimedia-Universum für Freies Wissen nicht nur um einige Projekte – wie Wikimedia Commons, Wikidata und Wikivoyage –angewachsen, sondern auch um zahlreiche Ehrenamtliche und Hauptamtliche aus aller Welt, die tagtäglich dafür arbeiten, noch mehr Wissen für uns alle zur Verfügung zu stellen.

Wikimedia ist aber mehr als nur eine Gruppe von Websites mit frei verfügbaren Informationen. 17 Jahre lang haben Wikimedia-Aktive zusammengearbeitet, um die größte kostenlose Wissenssammlung der Menschheitsgeschichte zu erschaffen. Während dieser Zeit sind wir, ausgehend von einer kleinen Gruppe von Editoren und Editorinnen, zu einem vielfältigen Netzwerk mit rund 40 Wikimedia-Länderorganisationen und über 80 Wikimedia-Benutzergruppen von Autoren und Autorinnen, Entwickelnden, Lesenden, Spendern und Spenderinnen sowie Partnern und Partnerinnen gewachsen. Auch weltweit wollen wir in den nächsten 15 Jahren noch vieles zusammen erreichen und erarbeiten derzeit unter dem Titel “Wikimedia 2030” eine Zukunftsstrategie für die internationale Wikimedia-Bewegung.

Drei Tage lang haben wir auf der Wikimedia Conference 2018 in Berlin auch deshalb Ideen geteilt, von Herausforderungen berichtet und über unsere Zukunft diskutiert. Für unser Blog haben wir dabei mit Vertreterinnen und Vertretern von Wikimedia-Organisationen aus aller Welt über ihre Leidenschaft für Freies Wissen gesprochen. Was bewegt sie in ihrer täglichen Arbeit? Welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen? Und wohin wollen wir als Bewegung? In dieser Blog-Reihe stellen wir einige von ihnen vor.


Anna Mazgal, Wikimedia Deutschland

Anna ist Projektmanagerin EU-Politik und setzt sich in Brüssel für bessere rechtliche Rahmenbedingungen für Freies Wissen ein. Zuvor war sie Head of Policy beim Centrum Cyfrowe, einem polnischen Think-and-Do-Tank zu digitalen Rechten in Kultur und Bildung. Sie ist Präsidentin der COMMUNIA Association, einer internationalen Gruppe von Aktivisten, die sich für den Schutz der Gemeinfreiheit im Netz und der Rechte von Nutzenden einsetzen.

Wie bist du zu Wikimedia und Freiem Wissen gekommen?

Ich habe mich schon eine ganze Weile vorher mit politischer Arbeit im Bereich des Urheberrechts beschäftigt und kannte die Wikimedia-Bewegung. Vor sechs Monaten habe ich dann bei Wikimedia Deutschland angefangen und setze mich nun in Brüssel für unsere Ziele ein, spreche dabei aber für alle europäischen Wikimedia-Organisationen und Communitys, denn die Herausforderungen und Themen in Brüssel betreffen uns alle.

Anna Mazgal, CC by-SA 4.0

Wie hängen Urheberrecht und Freies Wissen zusammen?

Jedes Werk aus menschlicher Hand, jedes Schaffen, dass nicht bloß Idee oder Fakt ist, unterliegt dem Urheberrecht. Es kann nur dann davon entlassen werden, wenn es entweder bereits Teil des Allgemeinguts ist, also keiner einzelnen Person gehört, weil es alt genug ist oder speziell dafür geschaffen wurde, oder indem offene und freie Lizenzen genutzt werden. In diesem Fall erklärt sich der Rechteinhaber bereit, sein Werk unter bestimmten Bedingungen allen zur Verfügung zu stellen. Da all unsere Projekte auf dieser Freiheit der oder des Schaffenden basieren, das Werk zu teilen, ohne viel dafür im Gegenzug zu verlangen, müssen wir sicherstellen, dass diese Freiheit, Wissen zu teilen und andere darauf aufbauen zu lassen, erhalten bleibt. Deshalb ist es wichtig, immer wieder sicherzustellen, dass Änderungen in der Gesetzgebung diese Rechte nicht einschränken.

Mit welchen Herausforderungen hast du dabei zu kämpfen?

Sie sind im Moment zweifach: Eines ist, dass es rechtlich einen schrumpfenden Raum der Freiheit gibt, innerhalb dem Menschen online (inter-) agieren. Es ist ein bizarrer Gegensatz: Wir sind freier denn je, in der Hinsicht, dass wir auf so viele Informationen zugreifen können, gleichzeitig müssen wir aber zunehmend wieder aktiv dafür eintreten, dass der öffentliche Raum respektiert wird. Die Digitalisierung bereits allgemein zugänglicher Werke ist ja allein ein Mittel, sie den Menschen auf neue Weise zur Verfügung zu stellen. Häufig müssen wir den Allgemeingutsstatus stattdessen aber von Neuem diskutieren. Ein großes Problem für uns als Wikimedianer ist zum Beispiel die Panoramafreiheit, die Freiheit, öffentliche Räume zu dokumentieren und kreativ in Form von Bildern oder anderen Formen der Aufzeichnung zu transformieren. Wir müssen gerade aktiv dafür sorgen, dass wir dieses Recht nicht verlieren.

Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus den Wikimedia-Projekten als Online-Plattformen. Wir sind Teil eines Ökosystems, das aktuell unter großem Druck steht, mehr Aufmerksamkeit darauf zu richten, welche Art von Inhalten geteilt wird. Wir haben eine aktive Community, die sehr aufmerksam und erfolgreich dafür sorgt, dass der Inhalt sachlich richtig ist und referenziert wird und nicht gegen das Urheberrecht verstößt. Filtertechnologien werden derzeit in der Politik als eine schnelle Lösung für größere Probleme im Internet gehandelt, aber innerhalb der Wikimedia-Projekte würden die Technologien, die zur Verfügung stehen, eine viel schlechtere Arbeit leisten, als es die Community bereits tut.

Welche Hoffnungen hast du für die Zukunft der Wikimedia-Bewegung?

Es gibt den Spruch: Eine gute Krise sollte man nicht vergeuden. Mehr Menschen denn je sind sensibilisiert für Fragen rund um Online-Plattformen, Datenschutz und den Austausch von Informationen. Wir sind kürzlich von YouTube als glaubwürdige Informationsquelle hervorgehoben worden, das als Unternehmen nun Nutzende auf Wikipedia verweist, wo zusätzliche Informationen und Kontext nötig sind. Immer mehr Menschen erkennen den Wert verifizierter Informationen, daher sollten wir diese Gelegenheit nutzen, um mit gutem Beispiel voran zu gehen und als Community über unsere Werte selbstbewusst zu sprechen. Die Verantwortlichkeit, die aus dem Druck der Wähler entsteht, ist für Politiker viel wichtiger als unsere Stimmen als Aktivisten in Brüssel. Wir haben jetzt die Wahl, wohin das geht. Wir können das Online-Ökosystem zu einem besseren Ort machen.


Claudia Garád, Wikimedia Österreich

Claudia ist seit 2012 Geschäftsführerin von Wikimedia Österreich.

Wie bist du zu Wikimedia und Freiem Wissen gekommen?

Ich war zuvor Head of Marketing am Fraunhofer IAO in Stuttgart. Auch dort waren Onlinekommunikation und Wege, Wissen zugänglich zu machen, mein Steckenpferd. Wir haben unser eigenes Wiki eingeführt, ich habe eine Social-Media-Strategie entwickelt; wir waren schon ein bisschen die Pioniere im Bereich der digitalen Wissenschaftskommunikation.

Irgendwann habe ich mich nach neuen Ufern umgeschaut und habe mich dann für die Stelle der Geschäftsführerin von Wikimedia Österreich beworben. Ich war damit auch die erste Mitarbeiterin von Wikimedia Österreich und habe den Verein mit aufgebaut. Mein erstes Bewerbungsgespräch war noch im Hinterzimmer einer Pizzeria, das zweite dann am Flughafen, weil es wirklich noch nichts gab. Wikimedia war zuvor rein von Ehrenamtlichen betrieben, deren Räumlichkeiten sowie Gaststätten um Wien und Graz waren damit auch das Büro. Von einem sicheren Job in den Aufbau einer NGO zu gehen, war ein Sprung ins kalte Wasser, aber das war eben auch das Spannende. Mittlerweile sind wir ein Büro mit vier Mitarbeitenden in Wien. Als Movement und auch als Organisation haben wir es weit gebracht in diesen fünfeinhalb Jahren.

Was sind die Herausforderungen und wichtigsten Projekte, an denen ihr arbeitet?

Intern ist eine der großen Herausforderung der Wandel, den wir ähnlich wie auch als gesamtes Movement gerade durchlaufen. In den letzten Jahren hat sich viel getan in Richtung Professionalisierung und in der Dynamik zwischen Ehren- und Hauptamtlichkeit und vieles davon bildet sich noch nicht in unseren Strukturen ab. Gleichzeitig müssen wir das in einem Kontext mit der weltweiten Strategie sehen, wo wir uns klarer werden müssen, was unsere Rolle ist, nicht nur in der österreichischen und deutschsprachigen Community, mit der wir eng verwurzelt sind, sondern auch als Organisation in diesem weiteren globalen Movement. Wie müssen wir uns da ausrichten und aufstellen, um in der Zukunft auch bestehen zu können? Das sind sicherlich die größten Herausforderungen.

Thematisch passiert gerade einiges: Angefangen von der Urheberrechtsreform auf EU-Ebene, wo der Ratsvorsitz im nächsten halben Jahr nach Österreich zufällt. Das rückt sehr nahe an unsere Handlungsspielräume heran, gerade auch in einer politischen Situation, die sich sehr gewandelt hat in den letzten eineinhalb Jahren. Dann die ganze Missinformations- bzw. Fake-News-Debatte, wo wir alle als globale Community, aber auch hier als einzelne Organisation ins Rampenlicht rücken. Ob wir nun wollen oder nicht, sind wir Teil der Debatte, wie man mit Fake News umgeht, weil wir eines der guten Beispiele sind. Was heißt das für uns im lokalen Kontext?

Welche Hoffnungen hast du für die Zukunft der Wikimedia-Bewegung?

Ich erhoffe mir generell etwas mehr Klarheit darüber, was unsere Grundwerte und -ideen sind, anhand derer wir unsere eigenen Strategien und unser eigenes Handeln ausrichten können. Da ist momentan sehr viel Interpretationsspielraum und je nachdem wen man fragt, ändert sich das. Ich hoffe auch, dass die Entscheidungsstrukturen innerhalb des Movements klarer werden, dass jedem wirklich klar ist, wer über was entscheidet und wo man sich einbringen kann, wenn man diesen Prozess mitgestalten möchte.

Thematisch sehe ich viel Potenzial in der Zusammenarbeit mit dem Bildungssektor und das hängt wieder zusammen mit der Fake-News-Debatte: Medienkompetenz zu vermitteln, bis hin zur Zusammenarbeit an inhaltlichen Themen. Dass das Wissen, das an verschiedenen Institutionen entsteht, frei sein muss, diesen Gedanken in die Institutionen zu tragen und vice versa, das ist sicher eine der großen Möglichkeiten, die in ganz unterschiedlichen Kontexten wichtig für uns sein werden.

Ansonsten geht es vor allem auch darum, mehr Diversität in unser Wissen zu bekommen. Jetzt haben wir die Chance uns so aufzustellen, dass dies möglich wird, sowohl vom Organisatorischen her als auch von der Art wie wir Diversität in Entscheidungsstrukturen abgebildet werden muss, damit Partizipation möglich ist.

 

Gespannt auf mehr? Nächste Woche folgt Teil 3.

Jason Krüger for Wikimedia Deutschland e.V., Wikimedia Conference 2018, Group photo (2), CC BY-SA 4.0

Weitere Beiträge aus der Reihe: https://blog.wikimedia.de/2018/05/05/freies_wissen_weltweit_teil_1/

Kommentare

  1. Marcus Cyron
    15. Mai 2018 um 11:33 Uhr

    Ich finde die Idee dieser Reihe grundsätzlich gut – es wäre eine Idee, etwas Dauerhaftes daraus zu machen. Allerdings wäre es in meinen Augen weitaus interessanter, einen Fokus auf die weltweiten Beitragenden zu legen.

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