“Macht ist zunächst die Möglichkeit oder Fähigkeit etwas zu bewirken oder zu beeinflussen.” Mit dieser Definition von Macht eröffnete die Moderatorin Vera Linß am 22. September den 13. Wikimedia-Salon “Das ABC des Freien Wissens”, diesmal zum Buchstaben M mit dem Thema “Macht der Daten – Daten der Macht”. Etwas zu bewirken oder zu beeinflussen – und zwar den gesellschaftlichen Diskurs über Fragen unserer vernetzten Welt – das ist auch das Ziel der Salon-Reihe selbst. Schließlich existieren auch rund um freies Wissen Machtfragen, die uns alle betreffen. So geht die Debatte um die Verteilung der Datenmacht weit über Urheberrechtsthematiken oder Daten- und Verbraucherschutz hinaus und sind keineswegs nur relevant in autoritären Staaten, in denen häufig der Zugang zu freiem Wissen erschwert wird. Konflikte rund um Datenzugang und Datenmacht gibt es ebenso in Gesellschaften mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung. Auch bei dem Projekt Wikipedia – als eine Ansammlung von Informationen und Daten – wird immer wieder versucht, Einfluss zu nehmen auf dieses Wissen, etwa durch Löschanfragen und zivilrechtliche Klagen.
Wie wir auf gesellschaftlicher Ebene mit Daten umgehen wollen, aus welchen Gründen bspw. Unternehmen, Staaten oder Individuen Macht über Daten ausüben wollen und welche Handlungsmöglichkeiten es gibt, die darin liegende Macht zu verteilen – darüber diskutierten Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, die Politikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Höppner und Matthias Spielkamp, Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen und Mitgründer von iRights.info.
Von der Macht des Staates Kontrolle auszuüben, über die Macht durch Wissen Verhalten zu ändern bis hin zur Macht des Widerstands gegen Normalisierungstendenzen – ein Impuls
Zum Einstieg in die Diskussion leitete Ulrike Höppner in einem Kurzreferat drei Definitionen der Macht aus der Soziologie her. Zunächst zitiert sie Max Weber: “Macht ist jede Möglichkeit, seinen Willen auch gegen Widerstand durchsetzen zu können.” Diese Definition beziehe sich vor allem auf den Staat als letztinstanzlicher Machtinhaber. Institutionen und Personen könnten immer nur das machen, was der Staat zulässt, ansonsten greife er durch. Als Beispiel dafür sieht Ulrike Höppner das Datenschutzgesetz. Dieses sei vom Staat erlassen worden als Antwort auf die Herausforderung, dass immer mehr persönliche Daten gesammelt werden, die das Potenzial haben, Menschen in ihrer Freiheit einzuschränken. Das Problem besteht laut Höppner jedoch in der Durchsetzung des bekundeten Willen zum Datenschutz. Den Datenmissbrauch vollumfänglich zu kontrollieren sei jedoch kaum möglich.
Die zweite Definition bezieht Ulrike Höppner auf große Datenmengen und die Schlussfolgerungen, die aus ihnen gezogen werden. Beispielsweise sammelt der Staat große Datenmengen etwa zur Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Laut Michel Foucault sei Macht etwas, das sich durch Wissen konstituiert. Wenn man aus Daten bestimmtes Wissen erlangt, kann das Handeln daran angepasst werden und zum Beispiel ein Gesundheitssystem eingerichtet werden. Neben diesem positiven Effekt, verweist Höppner jedoch auch auf die negative Folge des “Normalisierungseffekts”. Dieser bedeutet, dass Aktionen von Individuen anhand eines gemessenen Durchschnitts bewertet werden. Danach handeln heute vor allem Unternehmen, die auf Basis von persönlichen Daten Algorithmen entwickeln, die wiederum die Wahrnehmung des Individuums bestimmen. So fragt Ulrike Höppner: “Wenn man immer nur Dinge hört, die man schon kennt oder die man erwartet, wie soll man dann etwas Unerwartetes tun?”
“Wo Macht ist, ist auch Freiheit,” mit dieser dritten Definition von Michel Foucault regt Ulrike Höppner zu mehr Widerstand gegen die Normalisierungstendenz an. Jede Person könne trotz allem versuchen, sich anders zu verhalten als von ihr erwartet wird. Abschließend formuliert Ulrike Höppner den Aufruf, sich zusammen zu tun und gemeinsam zu versuchen, Handlungsräume zu eröffnen, um bestimmte Dinge zu verändern.
Wer hat die Macht über der Daten? Mehr Durchsetzungsmechanismen gegen Datenkonzentration!
Die Macht über die Daten sei laut Peter Schaar nicht das Problem, sondern dass – abgeleitet durch die Kontrolle über die Daten – Macht über Menschen ausgeübt wird. Die zunehmende Datenkonzentration führe dazu, dass Unternehmen die Wertschöpfung für sich beanspruchen und die Nutzerinnen und Nutzer weniger Möglichkeiten haben, sich frei zu entscheiden. Das Grundrecht auf “informationelle Selbstbestimmung” solle als Grundmaxime gelten.
Matthias Spielkamp weist darauf hin, dass das Individuum Einfluss auf die Machtverteilung nehmen kann, in dem es durch das demokratische System über Gesetze entscheidet. Die Durchsetzung sei hingegen in der digitalen Welt schwierig, da das Internet grenzüberschreitend ist, Gesetze jedoch üblicherweise nur in Staatsgebieten gelten.
Wie kann die Macht verteilt werden? Mehr Transparenz, mehr Widerstand, mehr Bewusstsein!
“Wie kann man Menschen in die Lage versetzen, zu hinterfragen: was passiert da eigentlich?,” fragt Ulrike Höppner mit Hinblick darauf, die Handlungsoptionen für die Menschen gegen Algorithmen oder Datenmonopole zu vergrößern. Peter Schaar fordert, mehr über die Mechanismen zu reden, wie mit den Daten umgegangen wird. Es bedürfe Strukturentscheidungen, die Transparenz förderten.
Ulrike Höppner sieht als eine weitere Möglichkeit gegen die Datenkonzentration, dass das Individuum sich bestimmten Diensten wie beispielsweise Facebook entzieht. Peter Schaar entgegnet dem, dass es aus sozialen Gründen häufig immer schwieriger sei, nicht in gewissen sozialen Netzwerken zu sein. Da zeige sich wieder die Macht von Unternehmen bzw. Dienstleistern, das Verhalten der Individuen zu steuern, indem viele beispielsweise WhatsApp nutzen, um in sozialen Gruppen zu sein. Häufig weiß der Nutzende jedoch nicht, was mit den Daten geschieht.
Menschen zu ermächtigen zu wissen, was mit ihren Daten passiert, diese Mission verfolgt zum Beispiel mobilsicher.de – das Infoportal für mehr Sicherheit auf Smartphone und Tablet, bei dem Matthias Spielkamp Redaktionsleiter ist. Das Portal liefert Hintergrundinformationen zu Betriebssystemen, Apps, etc., und versucht gesellschaftsproblematische Funktionsweisen herauszustellen. In technischen Schritt für Schritt-Anleitungen wird der oder dem Nutzenden erklärt, wie die Einstellungen im Smartphone zu ändern sind, so dass bspw. keine Standortdaten übermittelt werden. Damit wird dem Menschen gezeigt, dass sie Optionen haben. Trotzdem weist Matthias Spielkamp auf die andere Seite hin und fragt: “Was wollen die Leute eigentlich? Ist den Menschen die Technologie nicht doch so viel wert, dass sie das, was andere für kritikwürdig halten, in Kauf nehmen, um die Bequemlichkeit nutzen zu können?”
Was wollen wir? Unser Verhalten ändern und einen Diskurs über Werte beginnen!
Haben die Menschen bereits die Macht verloren? Diese Frage würde Matthias Spielkamp nicht bejahen. Der Umgang mit Daten sei ein Geben und Nehmen, so würden über soziale Netzwerke und Apps Revolutionen begonnen, weil sich Menschen vernetzen und zusammentun können, andererseits besteht dadurch auch die Möglichkeit, sie zu überwachen oder Verhalten auszuwerten. Die Macht liege nicht in den technischen Möglichkeiten, sondern im Verhalten.
Auch ist gegen die Nutzung von Daten durch Unternehmen oder den Staat grundsätzlich nichts einzuwenden, so Peter Schaar. Man sollte jedoch über eine sinnvolle Nutzung diskutieren. Datenbesitzende müssten sich bewusst sein, dass sie durch ihr Handeln die gesellschaftliche Wahrnehmung mit beeinflussen. Besonders vor dem Hintergrund, dass Facebook beispielsweise zum Löschen von Hassbotschaften aufgerufen ist, fordert Schaar, sich zu fragen, welche Verantwortung wir den Plattformen wie Facebook zugestehen wollen. Ulrike Höppner stellt daraus ableitend zwei Werte gegenüber: das Recht auf unternehmerische Freiheit gegenüber den Rechten auf Persönlichkeits- und Meinungsfreiheit. Diese Grundsatzfragen könnten laut Höppner nicht durch Verbote, keine Daten mehr zu sammeln, geklärt werden, sondern durch gesellschaftliche Aushandlung und daraus entstehende soziale Normen.
“Es kann nicht sein, dass man der unterschiedslosen Überwachung des Staates nur entkommen kann, indem man sich in irgendeinen schwarzen Sack hüllt,” meint Matthias Spielkamp auf die Frage, ob Verschlüsselung der Standard werden oder man sich anderweitig selbst schützen soll. Hier schließt sich der Kreis zu Ulrike Höppners anfänglichem Aufruf des Widerstands und zur Bewusstwerdung, dass die Menschen sich gemeinsam anders verhalten können als von ihnen erwartet wird. So lautet das Fazit der Moderatorin Vera Linß: Wir brauchen soziale Normen, wir brauchen Gesetze, wir müssen uns weiter darüber austauschen, welche Werte uns so wichtig sind, dass wir sie durchsetzen wollen.