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Jens Remer spricht Hörbeispiele für das Wiktionary ein

Nicolas Rueck

19. Juni 2015

Foto: jeuwre, CC-BY-SA-4.0

Jens Remer (52) ist seit 10 Monaten unter dem Benutzernamen jeuwre beim deutschsprachigen Wiktionary, dem freien Wörterbuch, aktiv und hat seither über 4500 professionell eingesprochene Hörbeispiele beigetragen. Im Gespräch mit Wikimedia Deutschland erzählt er von seiner Tätigkeit, spricht Erfolge und Probleme des Projekts an und gibt Tipps wie gute Aufnahmen gelingen können.

 

Wie bist du auf das Wiktionary aufmerksam geworden?

Ich weiß es tatsächlich nicht mehr. Ich entsinne mich, mal in der Wikipedia:Schwesterprojekte-Seite gestöbert zu haben, das ist das Wahrscheinlichste.

 

Wie bist Du auf die Idee gekommen, Hörbeispiele beizutragen?

Ich bin ziemlich häufig im englischsprachigen Wiktionary, aber nur für Recherche. Die Aussprache ist für Nichtmuttersprachler grundlegend. Ich suche häufig eine korrekte Aussprache, und zwar als Hörbeispiel, nicht IPA. Mir fiel auf, wieviele Hörbeispiele da fehlen. Meist wurde ich dann fündig auf der Online-Version von Oxfords Advanced Learner’s Dictionary oder dict.cc. Ich hatte dann zwar mein Problem einer englischen Aussprache gelöst, aber wirklich befriedigend fand ich es nicht, vom Wiktionary wegklicken zu müssen.

Warum Hörbeispiele wichtig sind, ist für mich klar: erst über viele Sinne findet die Bedeutung und Benutzung eines Wortes Eingang ins Hirn. Hörbeispiele sind deshalb elementar.

Anläßlich eines Radiobeitrags wegen eines Jubiläums eines der Goethe-Institute im letzten Jahr kam das Thema erneut bei mir hoch. Eine Zahl aus dem Radiobeitrag ist haften geblieben: weltweit gibt es ca. 15 Mio. Deutsch Lernende. 15 Mio. Kunden für das Wiktionary. Das ist also eine unserer wichtigen Zielgruppen. Für mich ist es sogar „die“ Zielgruppe. Wo werden die wohl nach Bedeutungen, Benutzung und Aussprache suchen? Vielleicht bei uns. Aber spätestens bei der Aussprache werden sie leider häufig – genau wie ich – bei dict.cc nachhören müssen. Ziemlich schade, finde ich. Dabei kann man bei uns sehr genau den Sinn und die Benutzung eines Wortes erfassen. Also kann ich das Wegklicken aus dem Wiktionary nur ändern, wenn ich mitarbeite.

 

Wie kann man sich bei der Aufnahme und Einbindung von Hörbeispielen beteiligen?

Eine Anleitung dafür habe ich nach dem Wiktionary-Treffen in Wien Anfang März überarbeitet, sie findet sich auf de.wiktionary.org unter Hilfe:Hörbeispiele. Wer irgendetwas nicht versteht: Unter Benutzer:jeuwre kann jeder angemeldete Benutzer, der eine Frage hat, über den Link E-mail an diesen Benutzer mich gerne kontaktieren. Ich werde versuchen, schnell zu antworten.

 

Welche konkreten Tipps hast du zur Einsprache von Audio-Aufnahmen?

Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen. Am Anfang habe ich überbetont, d.h. viel zu deutlich gesprochen. Ich zog die Silben auseinander, ich sprach überdeutlich die Endsilben, jeden einzelnen Buchstaben habe ich betont. Nun wollen wir in den Aussprachebeispielen aber die natürliche Sprache abbilden. Das Ergebnis ist auch heute noch, dass ich manches Wort zwei- oder dreimal einsprechen muss. Wenn ich das Gefühl habe, es „klingt nicht stimmig“, dann sehe ich mir die IPA an oder höre mir andere Sprecher an.

Ich spreche im Stehen ein, die Stimme klingt voller. Und es gibt weniger Reflektionen vom Bildschirm und den Wänden. Auf einem Notenständer liegt das Papier mit den einzusprechenden Worten, dann gibt es kein Papierrascheln. Es muss ruhig im Raum sein, Nebengeräusche hört man leider sofort.

Wichtig ist ein gutes technisches Equipment. Sonst rauscht die Aufnahme zu stark. Am Anfang habe ich mit einem zu billigen Headset gearbeitet. Das war verschwendete Zeit. Ende letzten Jahres hat mir dann Wikimedia ein gutes USB-Mikrophon zur Verfügung gestellt. Ich hoffe, man hört es … .

Ansonsten sehe ich das Technische als eher nebensächliches Thema, da arbeitet man sich zügig ein. Audacity, das ist das kostenlose Aufnahmeprogramm, was ich benutze, ist einfach und bei der Benutzung weitgehend selbsterklärend.

Wenn man sich entschieden hat, einzusprechen, dann sollte man erstmal klein anfangen. Eine pragmatische Herangehensweise ist, sich ein Thema vorzunehmen. Beispielsweise alle Begriffe aus einem Verzeichnis, auf dessen Gebiet man bewandert ist, nehmen wir das Verzeichnis:Deutsch/Musik. Es kann frustrierend sein, wieviel noch einzusprechen ist. Und es ist schönes Gefühl, ein Thema komplett eingesprochen zu haben.

 

Was machst Du bei schwierigen oder langen Worten, wie gehst Du genau vor?

Ich spreche nichts ein, was nicht in meinem aktiven Sprachschatz ist. Ich möchte ein Gefühl für das Wort und seine Benutzung, seinen Kontext haben.

Als ich anfing, machte ich meine Erfahrungen mit meinen fehlerhaften Aussprachen, man könnte auch sagen: meinen Sprachmacken. Ich spreche beispielsweise Substantive auf -ng, also mit der Endsilbe -ung oder -ing, hinten mit einem ‘k’: „Verwunderunk“, „Schmetterlink“. War mir, bevor ich hier loslegte, nicht bewusst. Das werde ich wohl auch nicht mehr abstellen. Einsprechen kann ich diese Substantive nur, wenn ich mich wirklich konzentriere. Es tut mir ziemlich gut, mir der eigenen Sprachmacken bewusst zu werden: nämlich dann, wenn ich mal wieder über das Lispeln meines Sohnes (er hat noch Zahnlücken) herziehen möchte.

 

Wie blickst du auf das Wiktionary-Treffen in Wien zurück?

Das war hervorragend! Ich kann jedem nur empfehlen, die Treffen zu besuchen. Z.B. kann ich Kritik oder Verbesserungsvorschläge der anderen in der Teestube oder auch zu einzelnen meiner Beiträge viel besser einschätzen. Ich habe ein Gefühl gekriegt, wer aktiv ist. Auch die Themen der Vortreffen werden nachbearbeitet oder wieder aufgegriffen. Ich habe einfach eine Idee, wie Wiktionary organisatorisch funktioniert. Und – ganz wichtig – ich habe ein paar Ansprechpartner gefunden, wenn ich mal eine Frage habe. Schließlich bin ich erst seit 10 Monaten dabei.

Genauso wichtig ist, dass die anderen gelernt haben, mich einzuschätzen. Ich bin vergleichsweise entspannt, wenn ich ein nicht perfektes Hörbeispiel bei uns höre. Meist ist es (für mich) gut genug. Ich habe nur ganz wenige Hörbeispiele übersprochen, meist wegen offensichtlich falscher Silbenbetonung.

 

Kannst du etwas über deinen Vortrag zur Audio-Einsprache auf dem Treffen berichten?

Ich bin an das Thema praktisch herangegangen. Ich habe die anderen Teilnehmer nach der Erläuterung, wie ich vorgehe, ein paar Worte einsprechen lassen. Also, sie durften sich vorne vor allen hinstellen, ein Zettel mit ein paar einzusprechenden Worten in der einen Hand, das Mikro in der anderen Hand, Audacity lief auf der Leinwand mit, und los ging’s. Jeder Versprecher wurde natürlich kommentiert. Es war lustig und ich bin sicher, keiner fühlte sich bloßgestellt. So konnte jeder mal seine eigene Erfahrung mit dem Einsprechen machen: gute Hörbeispiele zu erzeugen ist nicht so einfach.

 

Was denkst Du, wo steht das Wiktionary heute?

Es ist einfach großartig, was im deutschsprachigen Wiktionary in 11 Jahren geleistet wurde. Um genau zu sein: Ich finde es einfach unglaublich. Die Gebrüder Grimm haben zwei Arbeitsleben gebraucht für ihr „Deutsches Wörterbuch“ und danach war es noch lange nicht fertig! Nun sind wir bei weitem nicht vollständig, ich weiß. Es gibt noch viel zu tun. Trotzdem möchte ich würdigen, wieviel bereits erreicht wurde.

Es fehlen uns schlicht Freiwillige an der Sprache Interessierte, die zur Mitarbeit und auch zum Einsprechen bereit sind. Frauenstimmen fände ich besonders nett, sie brächten Vielfalt in die Hörbeispiele. Mir gefallen auch sehr die mundartlichen Aussprachen, z.B. Bairisch. Leider gibt es sie viel zu selten. (Und ich kann kein Bairisch.) „Gefühlt“ arbeiten sehr viele bei Wikipedia und viel weniger beim Wiktionary.

Das ist eine meiner Motivationen: Ich kann hier bleibende „Basisarbeit“ leisten, viel eher, als bei Wikipedia. Wenn ich an die aktuelle Wunschliste noch fehlender Worte denke, da sind viele wichtige Lemmata, die einfach bearbeitet gehörten.

Wenn wir mehr Einsprecher wären, dann würde ich persönlich mehr charakteristische Wortkombinationen einsprechen. Die Verknüpfung der Worte, das könnte dem Leser, hier besser: Hörer, wirklich helfen.

Noch etwas: ich möchte eine Lanze für die Admins brechen: Wieviel sie sichten, was sie an lästigem Vandalismus verhindern, wieviel Organisationsarbeit sie leisten, Chapeau! (mußte mal gesagt werden …)

 

Was könnte beim Wiktionary besser laufen?

Den Gesamtprozess des Einsprechens empfinde ich als ineffizient. Das Einsprechen selber vor dem Mikro geht schnell, aber das Schneiden, Hochladen, Kategorisieren und Verlinken im Lemma, das kostet zusammen (zu) viel Zeit. Ich schätze, dass auf dict.cc der Prozess mindestens um den Faktor drei (!) schneller geht, als bei uns. Unser Prozess ist leider zu technisch gedacht und nicht genug anwenderorientiert. Der Upload-Prozess geht auch erkennbar von Fotos und Videos aus, an Tonaufnahmen wurde anfänglich möglicherweise nicht gedacht. Der erhöhte Aufwand hält meines Erachtens auch potentielle Einsprecher von unserem Projekt ab. Hier müßte eine komplett andere technische Lösung her.

Als ein weiteres Problem empfinde ich die fehlerhaften Verlinkungen in unserem Projekt: beispielsweise von earthquake wird auf earth und quake verlinkt. Die englische Bedeutung von quake ist aber dort nicht angegeben, sondern nur der Imperativ des deutschen quakens. Das mag man ja noch als komisch empfinden. Das gleiche Problem gibt es aber auch systematisch bei Synonymen oder sinnverwandten Wörtern in adjektivischen Lemmata. Wenn ich beispielsweise von kultiviert das sinnverwandte Wort geschliffen aufrufe, dann erwarte ich das Adjektiv und nicht das Partizip von schleifen. Selbst wenn der Nicht-Muttersprachler von dort auf schleifen weiterklickt, er wird den figurativen Sinn von geschliffen kaum verstehen können.

Es ist aber leider nicht möglich auf geschliffen#Adjektiv zu verweisen, und damit einen nicht existenten Link in Rot anzuzeigen. Die schiere Anzahl dieser fehlerhaften Verlinkungen ist bedeutend. Letztlich ist das Thema nicht vom Leser her gedacht. Es wurde auf dem Treffen in Wien angesprochen, wir hatten aber keine Lösung …

 

Wenn du einen Wunsch frei hättest …

… würde ich mir einen Programmierer wünschen, der mir programmiert, Auswahlkriterien für Lemmata auf einer eigenen Seite einzugeben und mir selber eine Wort-Liste zu generieren. Beispielsweise zeige mir alle Lemmata, die A) in der Kategorie: Adjektiv (deutsch) sind, die B) mit “z” beginnen, C) aus dem deutschen Sprachschatz stammen, D) aus dem Verzeichnis:Musik stammen, E) kein Hörbeispiel haben und F) kein IPA haben (natürlich auch noch für weitere Kriterien G), H), …). Distrowatch.com hat so etwas unter „Suche“ für Linux-Distributionen gemacht. Eine nette, aber praktische Kleinigkeit, nicht mehr.

Kommentare

  1. DerHexer
    25. Juni 2015 um 12:19 Uhr

    Vielen Dank auch von mir für diesen sehr netten Beitrag. Da werden Erinnerungen an die Zeiten unserer Berlin Speakers’ Corner wieder wach: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProjekt_Gesprochene_Wikipedia/Berlin_Speakers%27_Corner. Und Mahnungen, dass ich für das Wiktionary doch ein paar altgriechische Lautschriften ergänzen und einsprechen wollte. ;-) Zum Beitrag habe ich mich noch gefragt, wie das Problem der unterschiedlichen Aussprache bzw. Betonung des Einzelwortes gegenüber der Verwendung des Wortes im Satz angegangen wurde. Teils müsste man ja beide Aussprachen einfügen.

  2. Frank Schulenburg
    24. Juni 2015 um 14:13 Uhr

    Ein toller Beitrag, der mir sehr gefallen hat. Als im Ausland lebender Deutscher weiß ich selber aus eigener Erfahrung, wie wichtig Hörbeispiele für die korrekte Aussprache sind. Vielen herzlichen Dank an Nicolas und Jens!

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