Immer neue Paare bildeten sich als Projektionen an einer Wand des Veranstaltungsraumes bei Wikimedia Deutschland, der passenderweise “Mosaik” heißt. Meist nachdenklich erwiderten die jungen Europäerinnen und Europäer den Blick der Betrachter. Die Fotografien des Projektes “I´m not afraid of anything” von Edgar Zippel zeigen die Pläne, Wünsche und Ängste junger europäischer Menschen, ausgedrückt in Blicken und Antworten auf die Fragen: – Was willst Du machen? – Worauf freust Du Dich? – Wovor hast Du Angst? “Die EU-Urheberrechtsreform” wäre vielleicht eine passende Antwort auf alle drei Fragen gewesen, denn damit beschäftigten sich die Gäste Julia Reda, Joe McNamee, Elisabeth Kotthaus und Dimitar Dimitrov auf dem Podium.
Gemeinsam an einem Reform-Strang! Oder?
Im Zentrum der Diskussion stand neben dem Ausgang des nun anlaufenden Drafting-Prozesses zur Urheberrechtsreform die Frage, wie der Aushandlungsprozess zwischen den politischen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft in der “Brussels Bubble” eigentlich funktioniert. Die Entscheidungen werden in Brüssel getroffen, diese Erkenntnis hat sich inzwischen gerade bei zivilgesellschaftlichen Organisationen für verschiedenste Themenbereiche durchgesetzt und führt nach und nach zu entsprechendem Handeln vor Ort. Einige Initiativen haben sich in den letzten Jahren in Brüssel in Stellung gebracht, um ihre Interessen gegenüber der Europäischen Kommission zu vertreten und politischen Entscheidern Wege zu einem zeitgemäßen Urheberrecht aufzuzeigen. Doch wie gut funktioniert diese Arbeit in der Praxis?
So viele Abgeordnete, so wenig Fürsprecher für ein freies Netz
Joe McNamee, Geschäftsführer der Organisation EDRi (European Digital Rights), beschrieb die konkrete Arbeitsweise des kleinen Teams in Brüssel und der Mitglieder in verschiedenen europäischen Ländern. Das Problem sei nicht der mangelnde Zugang zum politischen Prozess. Wer einen Termin ausmache, bekomme in der Regel auch sein Gespräch. “Aber seit der Finanzkrise ist das Lobbying in Brüssel anders. Unternehmen sagen einfach: Wir müssen das haben.” Da effektiv gegenzuhalten, sei angesichts der schieren Fülle und Vielfalt der Generaldirektionen, Mitgliedsländer und Abgeordneten, mit denen EDRi und andere Gruppen theoretisch intensiv sprechen müssten, “eine interessante Herausforderung”, wie McNamee freundlich umschrieb. Gefragt nach seiner Einschätzung zum Ausgang des aktuellen Verhandlungsprozesses antwortete er unumwunden: “Wenn ich in meinem Job nicht optimistisch wäre, müsste ich wohl vom Dach springen.”
Sein Counterpart in der Diskussion bildete gewissermaßen Elisabeth Kotthaus, Mitglied der Vertretung der Europäischen Kommission, die nach kurzfristiger Absage Günther Oettinger vertrat. Die Kommission habe die Aufgabe, als “ehrlicher Makler” möglichst alle an sie herangetragenen Interessen und Themengebiete zu vertreten oder zumindest zu verstehen. Kotthaus berichtete vom schwierigen Prozess innerhalb der Kommission, als Institution möglichst neutrale Positionen zu erarbeiten und Vorschläge zu machen, die einen Interessenausgleich herstellen und für die Mehrheit der Abgeordneten akzeptabel sind. Das Ziel ihrer Arbeit sei letztlich im besten Fall, dass am Ende alle gleichmaßen unzufrieden seien.
Im Auge des Lobbying-Orkans
Julia Reda, derzeit die einzige Europaabgeordnete der Piratenpartei, hat sich durch ihren viel diskutierten Evaluationsbericht der InfoSoc-Richtlinie (“Copyright-Directive”) von 2001 innerhalb kurzer Zeit ins Zentrum der entscheidenden Debatten katapultiert – und damit auch ins Auge des Lobbying-Orkans. Lobbyismus sei fester Teil des demokratischen Systems und damit nicht per se problematisch, so Reda. Zutreffend sei jedoch, dass finanzstarke Firmen durch ihre größeren Ressourcen die Möglichkeit hätten, durch mehr Angestellte auch breiteren Einfluss auszuüben als Kleininitiativen mit drei hochmotivierten, aber im Zweifelsfall ehrenamtlich agierenden Mitarbeitenden. Für noch problematischer allerdings hält sie den Umstand, dass politische Debatten auf europäischer Ebene weniger sichtbar und damit weniger Gegenstand des öffentlichen Diskurses seien. Der Prozess des Austarierens von Interessen könne trotz allem funktionieren, gab sie sich optimistisch. Reda plädierte für eine radikale Vereinfachung des Urheberrechtes, das für Laien in der Alltagskommunikation des Internets verständlich und praktikabel sein müsse. Freilich sei nicht jede Harmonisierung per se gut, antwortete sie auf einen Publikumseinwurf mit Blick auf den gesetzgeberischen Status Quo. Während 2001 nur die Verwerterrechte europaweit vereinheitlicht worden seien, müsse man sich jetzt den Nutzerfreiheiten und deren konkrete Ausgestaltung von Schrankenbestimmungen zuwenden.Bitte verklagt uns doch mal!
Dimitar Parvanov Dimitrov beschrieb die Arbeitsweise und die spezifischen Herausforderungen einer sich dezentral, länderübergreifend und größtenteils digital organisierenden Interessenvertretung wie der Free Knowledge Advocacy Group EU, die er als “Wikimedian in Brussels” repräsentiert. Um wirkliche Bewegung in die politischen Prozesse zu bringen, sei es nötig, zunächst wenige Themen zu definieren, die auf der politischen Agenda höher rücken sollen, und dann die grenzüberschreitende, europäische Relevanz dieses Themas nachzuweisen. Im Falle der inzwischen 17 Landesorganisationen unfassenden Wikimedia-Gruppe ist dies etwa die Panoramafreiheit. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Initiativen für ein moderneres Urheberrecht funktioniere gut, aber alle Gruppen hätten naturgemäß andere Foki bezüglich der Punkte, die konkret verändert werden sollten. Die Mühlen mahlen also langsam, aber immer stetiger.
“Wo liegt das Problem?” werde Dimitrov häufig in Brüssel gefragt, wenn er die Nöte etwa der Commons-Community schildere, die in jedem Land auf verschiedene Reglungen des Fotografierens und Publizierens achten müssen, und nicht selten unbewusst die Grenzen der Legalität überschreite. Das Problem sei, dass wir legal arbeiten möchten, erwidere er dann. Hilfreich wäre unter Umständen, einige Male prominent verklagt zu werden. Erst dadurch werde eine Regelungsproblem in der öffentlichen Wahrnehmung groß genug, um auf europäischer Ebene verhandelt zu werden.
“Wir sind doch hier beim ABC des Freien Wissens, es geht doch um viel, viel mehr!”, meldete sich ein Publikumsgast gegen Ende zu Wort. Nicht das Klein-Klein von Youtube-Nutzungsrechten und CD-Privatkopien sollte diskutiert werden, sondern wie Bildungs- und Kulturinhalte wirklich frei genutzt werden können. Dieses Schlusswort deuten den langen Weg an, der allen Reformwilligen noch bevorsteht. Eine konfuzianische Gelassenheit könnte dabei helfen.
Fotos der Veranstaltung auf Wikimedia Commons
Video-Interviews der Gäste (werden noch ergänzt)
Das nächste ABC des Freien Wissens findet am Donnerstag, den 25. Juni, zum Thema “I=Inhalt. Wie partizipativ ist Open Culture?” statt. Zu Gast sind diesmal der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner, Stadtforscherin Dr. Paula Marie Hildebrandt und Prof. Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums.
Kontakt: salon@wikimedia.de