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Auf dem Pfad der Dämmerung

Nicole Ebber

5. August 2014

Das Projekt „Chapters Dialogue“ hat seinen Abschluss gefunden

Vielleicht kann sich die eine oder der andere noch erinnern: vor gut einem Jahr initiierte ich in der Stabsstelle Internationales von Wikimedia Deutschland das Projekt „Chapters Dialogue“. Hauptziel des Projektes war, es zu erfahren, was die Menschen in den Wikimedia-Chaptern (Ländervertretungen) weltweit bewegt, was sie motiviert und vor welchen Problemen sie stehen. Nach 94 Interviews mit Wikimedianerinnen und Wikimedianer auf der ganzen Welt haben sich sechs Fragen herauskristallisiert, die für das Wikimedia Movement von Bedeutung sind. Im Folgenden eine deutschsprachige Zusammenfassung des Projektberichtes.

Projektleiterin Nicole Ebber (links) und Projektmanagerin Kira Krämer
(by Dominic Ernst, CC-by-sa-4.0, via Wikimedia Commons)

Wikimedia ist eine globale Bewegung. Die Wikimedia Foundation betreibt Onlineprojekte wie die Wikipedia, sammelt Spenden und verteilt diese an die weltweiten Communities. Diese kämpfen und arbeiten gemeinsam für Freies Wissen. In den letzten zehn Jahren hat sich ein ganzes Netzwerk aus Wikimedia-Organisationen gegründet, die alle gemeinsam die gleiche Idee vor Augen haben: Eine Welt, in der das gesamte Wissen der Menschheit jedem frei zugänglich ist. Gemeinsam betreten diese Organisationen Neuland, denn etwas Vergleichbares, das die Gesellschaft auf diese Art beeinflusste und die Welt veränderte, gab es bisher nicht.

Die Wikimedia-Chapter, zu Deutsch in etwa „Ländervertretungen“, sind Teil dieser internationalen Bewegung. Sie sind sogar elementar, denn sie übernehmen viele Aufgaben und viel Verantwortung. Sie unterstützen lokale Communities und kämpfen vor Ort für Freies Wissen. Und sie stehen für die Vielfalt der Bewegung.

Diskussionen und Dissenz

Doch gleichzeitig gibt es auch viele Diskussionen und Dissenz in der Wikimedia-Bewegung. Es geht um die Beziehungen untereinander, Verantwortlichkeiten und die Herausforderungen, vor denen diese Bewegung bestehend aus Foundation, Chaptern, Freiwilligenkommittees und Communites steht. Diese Diskussionen werden jedoch selten offen ausgetragen und genau so selten sind alle Beteiligten miteinbezogen. Außerdem gibt es kein gemeinsames Verständnis davon, was die Chapter eigentlich erreichen sollten, können oder wollen. Es wurde nie vereinbart, welche Aufgaben und Ziele sie konkret haben, noch welche Unterstützung sie brauchen. Und auch nicht, wer diese Unterstützung leisten soll.

Wir von Wikimedia Deutschland wollten deswegen herausfinden, was eigentlich hinter diesen sagenumwobenen „Chaptern“ steckt. Uns war es wichtig, dass die Bewegung eine fundierte Grundlage hat, um ihre zukünftigen Pläne und Entscheidungen auf ein solides Fundament zu stellen. Aus diesem Grund begann im Frühjahr 2013 ein Projekt, um die Bedürfnisse, Ziele und Geschichten der Chapter und ihrer Anspruchsgruppen („Stakeholder“) zu erfahren. Um den offenen und kommunikativen Charakter des Projektes hervorzuheben, haben wir es „Chapters Dialogue“ genannt.

Wie aus 94 Interviews eine „Landkarte der Wikimedia-Welt“ wurde

Von Anfang an war klar, dass dies ein Projekt qualitativer Forschung sein musste. Denn es ging hier vorrangig nicht um Zahlen, sondern eben darum, Geschichten, Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln und diese miteinander zu verknüpfen – quasi eine „Landkarte der Wikimedia-Welt“ zu erstellen. Um dies zu erreichen, stellten wir im Juli 2013 Kira Krämer ein, eine Design-Thinking-Expertin, die diese Methodologie dem Chapters-Dialogue-Projekt entsprechend anpasste.

Von August 2013 bis Februar 2014 interviewte Kira insgesamt 94 Menschen des Wikiversums. Nicht nur Freiwillige und Angestellte der Wikimedia-Chapter, sondern auch die der Wikimedia Foundation, des Funds Dissemination Committees und des Affiliations Committees. Bei der Zusammenstellung und Zusammenfassung der Interviews arbeiteten wir die Schlüsselthemen heraus. Jedes Interview hatte für sich eine Bedeutung und stellte einen wichtigen Teil der Landkarte dar.

Erkenntnisse und Schlüsselfragen

Visual Recording der Präsentation bei der Wikimedia Conference
(Foto: Nicole Ebber, CC-by-sa-4.0, via Wikimedia Commons)

Die Erkenntnisse des Projektes betreffen einige der relevantesten Themenfelder der Bewegung. Es geht sehr viel um Rollen und Beziehung, um Erfahrungen und Entscheidungen der Vergangenheit, die die Bewegung zu der haben werden lassen, die sie heute ist. Diese Themenfelder sind

  • Leidenschaft für Wikimedia
  • Entdeckung von „Neuland“
  • Messung von Erfolg
  • Spenden sammeln und verteilen
  • Herausforderungen für Chapter
  • Gegenseitige Wahrnehmung von Chaptern und der Wikimedia Foundation
  • Entwicklung der Strukturen der Wikimedia-Bewegung
  • Das Organisationsmodell der Wikimedia-Bewegung

Das Projekt begann mit sehr vielen Fragen. Und mit den vielen Antworten der Interviewten kamen zahlreiche neue, spezifischere Fragen auf. Dieses Projekt endet daher auch nicht mit etwa mit Lösungen oder Vorschlägen  denn das wäre zum jetzigen Zeitpunkt fast schon verantwortungslos – sondern mit sechs Schlüsselfragen, die die Wikimedia-Bewegung angehen und bearbeiten muss.

  1. Was wollen wir als Wikimedia-Bewegung erreichen?
  2. Wie definieren wir Wirkung („Impact“) und Erfolg?
  3. Was ist die Rolle der Wikimedia Foundation?
  4. Wie wollen wir miteinander und untereinander kommunizieren?
  5. Wo kommt das Geld her und wohin wird es verteilt?
  6. Was ist der beste Organisationsmodell für die Wikimedia-Bewegung, um die gemeinsame Vision zu verwirklichen?

Ein Aspekt, der sich durch das ganze Projekt wie ein roter Faden zog, war der Mangel an gegenseitigem Einfühlungsvermögen (Empathie) bei allen Beteiligten. Der Wechsel von Perspektiven ist unerlässlich, um gerade „alte Wunden“ zu schließen und „olle Kammellen“ hinter sich zu lassen. Natürlich ist das einfacher gesagt als getan. Der detaillierte Abschlussbericht soll eine solide Grundlage für mögliche nächste Schritte bieten. Um Antworten auf die brennenden Fragen zu finden, ist es jedoch absolut notwendig, systematisch und strukturiert vorzugehen. Es geht vor allem darum, nicht weiter an vorhandenen Symptomen herumzudoktern, sondern die grundlegenden Ursachen anzugehen.

Gegenseitiges Verständnis allein ist die Vorbedingung für Wandel. Jetzt ist es an der Zeit, die Zukunft gemeinsam zu gestalten.

Update (20. August) Chapters Dialogue – Der Film

Zum Projekt Chapters Dialogue hat Wikimedia Deutschland einen englischsprachigen, 30-minütigen Film produzieren lassen, der das Projekt zusammenfasst und die wichtigsten Erkenntnisse nennt. Es ist auf Vimeo sowie auf Wikimedia Commons verfügbar (inklusive englischsprachiger Untertitel). Premiere feierte der Film auf der Wikimania in London.


Der gesamte Projektbericht ist in einem Dossier im Meta-Wiki aufbereitet (englischsprachig). Ebenso gibt es diesen Bericht als pdf-Datei (1,24 MB) auf Wikimedia Commons. Bei Fragen zum Projekt stehe ich, Nicole Ebber, unter nicole.ebber@wikimedia.de zur Verfügung, und bin auch bei der Wikimania – unter anderem bei meiner Session am Samstag (9. August) um 12:15 Uhr – und auch sonst ansprechbar.

Kommentare

  1. poupou
    18. August 2014 um 10:49 Uhr

    vielen dank auch für das video zum chapters dialogue, das war sehr instruktiv. imho ziegt es aber, dass die probleme letztlich ganz “normale” sind, wie sie zwischen verteilern und empfängern von geldern eben auftreten. ich vermute, man könnte fast dasselbe video für das antragswesen bei der dfg oder über bauern, die eu-subventionen beantragen, produzieren. gibt es ideen, bei der lösung der aufgeworfenen probleme mal etwas über den tellerrand zu schauen? man muss ja das rad nicht neu erfinden…

  2. Nicole Ebber
    6. August 2014 um 09:28 Uhr

    Danke vielmals, Goldzahn. Und bei der Signpost werde ich tatsächlich mal anklopfen, merci!

  3. Goldzahn
    6. August 2014 um 02:59 Uhr

    Noch etwas: Ihr könntet in der en:WP auf Wikipedia:Wikipedia Signpost/Newsroom/Suggestions einen Hinweis auf den englischen Text auf meta hinterlassen. Wahrscheinlich wird das dann in der nächsten Signpost aufgenommen und die wird international gelesen.

  4. Goldzahn
    6. August 2014 um 02:48 Uhr

    Ich glaube das Projektergebnis kann eine wirkliche Hilfe sein, speziell nach dem Wechsel bei WMF. Gelesen habe ich den Text auf meta, wahrscheinlich komplett. Persönlich finde ich soziale Innovationen sehr wichtig, ähnlich wichtig wie technische Innovationen. Schön das WMDE sich daran wagt und ich glaube der forschende Ansatz ist erfolgreich (Imho ist das jetzt das zweite derartige Projekt von WMDE. Hoffentlich wird der Ansatz von WMDE fortgeführt.)

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