Was ist passiert?
Die neue Europäische Kommission arbeitet daran, noch in 2015 eine Urheberrechtsreform vorzuschlagen. Im Kontext der Europäischen Union wird es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Umgestaltung der Urheberrechtsrichtlinie von 2001 (auch InfoSoc genannt) handeln. Diese wurde erlassen, um das Urheberrecht für das Internet einsatzbereit zu machen. Es wurde eine Reihe Schranken und Ausnahmen gewährt (einschließlich der Panoramafreiheit), die allerdings von den Mitgliedsstaaten nicht verpflichtend umgesetzt werden müssen. Statt einen klar verständlichen rechtlichen Rahmen zu schaffen, hat dies zu einem Flickenteppich an Regeln geführt.
Währenddessen meißelt, einige Straßenzüge von der Kommission entfernt, das Europäischen Parlament an einem Eigeninitiativbericht über die Umsetzung ebendieser Richtlinie. Da das Parlament nicht selbst Gesetzesänderungen anstoßen kann, ist dies seine Art, sich mit anstehenden Themen zu beschäftigen. Der Bericht wird am Ende Reformvorschläge machen, die das Parlament gerne umgesetzt sehen würde. Der Rechtsausschuss, der für diesen Bericht zuständig ist, hat Julia Reda (Piratenpartei, Grüne/EFA, DE) zur Berichterstatterin ernannt. Sie hat ihren ersten Entwurf vor einigen Wochen vorgestellt.
Dieser ruft die Europäische Kommission dazu auf, neue Schranken und Ausnahmen einzuführen und die gegenwärtigen zu vereinheitlichen. Darüber hinaus versucht er die Stellung von Künstlern gegenüber Rechteinhabern zu stärken und fordert eine Stärkung und Schutz der Gemeinfreiheit. Konkret wird vorgeschlagen, die Schutzfristen auf Berner Konventionsminimum zu drosseln (d.h. Lebenslang plus 50 Jahre, statt wie bisher ein Minimum von Lebenslang plus 70 Jahre), das Zitatrecht auf Bilder und Videos auszuweiten, eine offene Norm in Europa einzuführen, die das US-amerikanische Fair-Use-System nachahmt, die Rechtmäßigkeit von Hyperlinks sowie Text- und Data Mining zu verankern und Büchereien zu erlauben, ihre Bücher auch digital zu verleihen.
Reflexartige Reaktionen
Reaktionen in Brüssel lassen sich auf jeden beliebigen Punk auf einer Skala von “Geil!” über “Ach, was soll’s?” bis “Verdammter Mist” ansiedeln (die Berichterstatterin hat sogar selbst Kommentare zusammengestellt). Es gibt Interessengruppen, die meinen, dass so ein “einseitiger” Vorschlag niemals durchginge. Manche sind sogar davon überzeugt, dass sie ihren Job verlören, falls es doch passierte. Auf der anderen Seiten finden sich wiederum Gruppen, denen das Ganze bei Weitem nicht weit genug geht. Auch zwischen diesen Extremen findet sich jede beliebige Position.
Trotzdem, es scheint als würde die leichte Panik in Brüssel eher zu Gesprächsbereitschaft führen. Während Extremreaktionen eher Angst machen, scheint es, als ob die von allen Seiten kommende Kritik dem Papier eine Chance eröffnet, sich als vernünftig zu positionieren. Starke Reaktionen haben nebenbei auch den Vorteil, sehr viel Aufmerksamkeit zu generieren. Etwas, was dem Urheberrecht oft fehlt. Dies ist auch eine Möglichkeit, eine Substanzdebatte anzustoßen. Die Brüsseler Netzgemeinde hat sich in einen Bienenschwarm verwandelt. Alle fliegen ständig herum, um neue Informationsquellen zu finden und ihre eigenen Argumente zu verbreiten.
Was steht an?
Als Nächstes wird sich der Rechtsausschuss mit dem Berichtsentwurf beschäftigen und bis zum 3. März Änderungsvorschläge annehmen. Über diese wird dann im Ausschuss selbst abgestimmt, bis ein Textvorschlag angenommen ist, der dann dem ganzen Parlament zur Abstimmung vorgelegt wird. So ein Eigeninitiativbericht hat vor allem zwei Funktionen: Zum einen versucht er, die Position des EP abzuklopfen und eine einheitliche Position herauszuarbeiten, zum anderen zeigt er allen – also auch der Kommission, die den eigentlichen Gesetzesgebungsvorschlag ausarbeitet – was realistisch sein kann.
Insgesamt ist mit großen Abänderungen zu rechnen. Alle Interessengruppen werden versuchen, bestimmte Textabschnitte herauszuschreiben, eigene Vorschläge hineinzutragen oder sogar den ganzen Prozess zu stoppen. Es wird wichtig sein, uns klar hinter den Vorschlag als Ganzes zu stellen und insbesondere diejenigen Punkte zu unterstützen, bei denen wir mit Eigenerfahrung und Expertise punkten können.
Die jetzige Version des Entwurfes fordert die Kommission dazu auf “Werke, die vom öffentlichen Dienst erschaffen wurde – als Resultat von politischen, rechtlichen und administrativen Prozessen – vom Urheberrecht auszunehmen” (Punkt 5). Dies entspricht unserer Forderung staatliche Werke nutzen und nachnutzen zu können (PDGov). Das Dokument schlägt ebenfalls vor, den “Gebrauch von Abbildungen und Videos von Werken, die sich dauerhaft im öffentlichen Raum befinden zu erlauben” (Punkt 16), welches unserer Empfehlung nach einer europaweit gültigen Panoramafreiheit voll nachkommt (FoP).
Was wir machen und wie du mitmachen kannst
Da Änderungen im jetzigen Text nicht zu verhindern sein werden, müssen wir alles daran setzen, insbesondere unsere Kernforderungen im Ausschuss und im EP als Ganzes zu verteidigen. Die Free Knowledge Advocacy Group EU steht bereits in Kontakt mit relevanten Mitgliedern des Europäischen Parlaments und versucht, die Angst vor Veränderungen zu nehmen. Wir versuchen auch zu erklären, wieso PDGov und FoP keineswegs extreme, sondern notwendige Forderungen sind. Darüber hinaus stellen wir, dass die europäischen Chapter und einzelne Ehrenamtliche an dem Vorstoß beteiligt und mit den neuesten und effektivsten Argumenten und Antworten gut gerüstet sind.
Falls du mithelfen magst, bitte melde dich:
- um mit relevanten MEPs aus deiner Region in Kontakt zu treten
- um uns zu helfen, das EP als Ganzes und seine Mitglieder abzutasten
- um an einer für 2015 geplanten brüsseler Veranstaltung teilzunehmen (“Freedom of Panorama Workshop” und “Meet the Authors” sind beide noch in Planung und werden demnächst bestätigt)
- Wir suchen für dieses Jahr Ehrenamtliche die für 2-4 Wochen nach Brüssel kommen um an der Lobbying-Initiative mitzuarbeiten (“Visiting Weasel”-Stipendien in Aussicht aber noch nicht fix, bitte Interesse anmelden).
Wir haben eine Chance bekommen, das EU-Urheberrecht zu verändern. Lasst uns alles tun, um diese zu nutzen!
* vgl [1]