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Meinungsfreiheit nach Wittgenstein

Mathias Schindler

14. Mai 2014

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Tractatus Logico-Philosophicus

Ludwig Wittgenstein, 1921

Ich möchte ein wenig ausholen:

Monsters of Law am 12. Mai 2014,
Foto: Katja Ullrich (WMDE) (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 )], via Wikimedia Commons

Im an Bestrafungsmethoden nicht gerade armen Römischen Reich war eine Maßnahme für die besonders harten, verfluchenswerten Menschen und ihre Taten vorbehalten, von der Nachwelt später “Damnatio memoriae” genannt. Die Namen der zu Bestrafenden wurden gelöscht, öffentliche Referenzen auf diese entfernt und es galt obendrein als Unsitte, ihren Namen zu erwähnen.

Diese Kulturtechnik des Damnatio memoriae feiert dieser Tage ein Revival aus anderen Gründen und weniger als damnatio denn als privilegium. Das Konzept des “Recht auf Vergessen” erlaubt einer Person von einem Dritten zu fordern, eine Information über sie zu löschen und nicht weiter zu verbreiten, sei sie auch wahr oder inhaltlich nicht zu beanstanden. Berühmter Aufhänger in der Vergangenheit war eine öffentlich einsehbare Webseite, auf der die Zugehörigkeit bestimmter Personen zu einem Kirchenchor aufgezeigt wurde, teils entgegen ihrer Zustimmung.

Seit dem 13. Mai 2014 haben wir für die Europäische Union Klarheit bei folgender Spielart des Rechts auf Vergessen: Ein (im Urteil namentlich genannter) Spanier beschwerte sich bei einer Zeitung darüber, dass im online gestellten Zeitungsarchiv ein Hinweis enthalten sei, nach dem er vor vielen Jahren aus finanziellen Gründen sein Haus verkaufen musste. Zwar konnte er nicht damit durchdringen, diese Information aus dem Pressearchiv löschen zu lassen, in der EuGH-Entscheidung wird ihm jedoch das Recht zugesprochen, von einem Suchmaschinenanbieter zu verlangen, bei der Suche nach seinem Namen nicht mehr diesen Zeitungsartikel als Treffer anzugeben.

Harry: And who owned that wand?

Mr. Ollivander: We do not speak his name! The wand chooses the wizard, Mr. Potter. It’s not always clear why. But I think it is clear that we can expect great things from you. After all, He-Who-Must-Not-Be-Named did great things. Terrible! Yes. But great.

Harry Potter and the Sorcerer’s Stone, 2001

J. K. Rowling

Thorsten Feldmann,
Foto: Katja Ullrich (WMDE) (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Am Vorabend dieser nun die Schlagzeilen der Tageszeitungen beherrschenden EuGH-Entscheidung Google ./. Spanien fand in den Räumen von Wikimedia Deutschland die zweite Ausgabe unserer Veranstaltungsreihe “Monsters of Law” statt, bei der wir uns den juristischen Fragen rund um Freies Wissen und seine Rahmenbedingungen annehmen. Diese Ausgabe wurde – Premiere! – gestreamt und aufgezeichnet und mit Thorsten Feldmann, LL.M., Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht bei JBB Rechtsanwälte in Berlin, haben wir den denkbar geeignetsten Referenten für das Thema Datenschutz vs. Meinungsfreiheit gefunden. Feldmann führte in die Grundlagen von Meinungsfreiheit und Datenschutz ein, die entscheidenden Urteile und den Verlauf und Ausgang bisheriger Auseinandersetzungen, z.B. beim Lehrerbewertungsportal spickmich.de.

Im Raum steht die Kollision zweier Denkschulen. In der Schule der Datenschützer sind Handlungen verboten, wenn sie nicht ausdrücklich durch Gesetz oder Rechtsvorschrift erlaubt sind oder der Betroffene in sie eingewilligt hat. Dies steht im krassen Gegensatz zu den Grundsätzen der Meinungsfreiheit, deren Beschränkung nur aufgrund enger gesetzlicher Vorgaben – wenn überhaupt – erfolgen darf. Erlaubt ist es, wenn es nicht verboten ist. Fast erscheint es, als falle in diesen Tagen im Lichte der EuGH-Entscheidung zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit der systematische Interessenkonflikt zwischen dem Schutz der Speicherung, Verarbeitung und Übermittlung personenbezogener Daten und dem Recht auf Meinungsäußerung auf, den es nun aufzulösen gelte. Auf diesen Widerspruch, ganz konkret in der Anwendung auf kollaborativ erstellte enzyklopädische Nachschlagewerke, haben wir bereits 2012 in einem Thesenpapier hingewiesen, das aus Anlass einer Konferenz zum Datenschutz im 21. Jahrhundert in Berlin entstand und in dem wir ganz besonders auf Neben- und Wechselwirkungen von “Recht auf Vergessen”-Konstrukten abhoben: Wenn ein Recht auf Vergessen Inhalte einer kollaborativ erstellten und frei lizenzierten Enzyklopädie unter den Vorbehalt stellt, dass einmal eine dort dargestellte enzyklopädisch relevante Person wahlweise mit den dortigen Inhalten nicht einverstanden ist oder andererseits gegen die Erwähnung von richtigen und möglicherweise relevanten Inhalten an anderer Stelle vorgeht, kann schnell einem solchen Enzyklopädieprojekt die Existenzgrundlage entzogen werden.

Recht auf Vergessen vs. Recht auf Nochmaldasganzeanschauen

Für alle, die am Montag nicht bei uns sein konnten oder das Besprochene nachholen wollen, sind die Folien des Vortrags und die Aufzeichnung des Streams nun verfügbar. Einige Eindrücke gibt es auf Wikimedia Commons.

Bei der nächsten “Monsters of Law”-Veranstaltung wird es um eine allgemeine Schranke im Urheberrecht für Kultur- und Gedächtnisinstitutionen gerade im Internet gehen. Der Termin wird über Twitter (#wmdeMoL), auf der Projektseite und per E-Mail bekanntgeben. Mit einer E-Mail an monsters@wikimedia.de nehmen wir gerne Wünsche für kommende Themen oder Bitten um Aufnahme in den Verteiler entgegen.

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