„Stellen Sie sich eine Welt vor, in der das gesamte Wissen der Menschheit für jeden frei zugänglich ist.“ Mit dieser Philosophie gründete Jimmy Wales 2001 Wikipedia, und sie leitet bis heute die Vision der einzigartigen Online-Enzyklopädie. Damals konnte sich der Amerikaner kaum vorstellen, dass das größte partizipative Projekt der Internetgeschichte zwei Jahrzehnte später in den Vereinigten Staaten in Frage gestellt werden würde.

Post vom Bundesanwalt

Ein Brief des ehemaligen US-Staatsanwalts Ed Martin an die in San Francisco ansässige Wikimedia Foundation, die Betreiberin von Wikipedia, sorgt derzeit für Schlagzeilen. In dem Brief wird Wikipedia vorgeworfen, „die Manipulation von Informationen auf ihrer Plattform, einschließlich der Umschreibung wichtiger historischer Ereignisse“, zuzulassen.

Dazu passt die jüngste Ankündigung von US-Präsident Trump, Steuerbefreiungen von Umweltgruppen und insbesondere der Bürgerrechtsorganisation „Citizens for Responsibility and Ethics in Washington“ (CREW) auf den Prüfstand zu stellen. Ed Martin weist darauf hin, dass sich steuerbefreite Organisationen ausschließlich für religiöse, wohltätige und wissenschaftliche sowie weitere Zwecke einsetzen dürfen. In der Wikipedia könnten nach seinem Kenntnisstand aber „ausländische Akteure Informationen manipulieren und Propaganda verbreiten“.

Wikimedia Foundation betont Wert von Wikipedia

Die Wikimedia Foundation wurde gebeten, bis zum 15. Mai eine detaillierte Liste von Fragen von Bundesstaatsanwalt Martin zu beantworten.

Die Stiftung erklärte zuvor in einer Medienerklärung, dass die Online-Enzyklopädie einer der letzten Orte sei, der das Versprechen des Internets verkörpere und mehr als 65 Millionen Artikel enthalte, die „zur Information und nicht zur Überzeugung geschrieben“ seien. „Der gesamte Prozess der Inhaltsmoderation wird von fast 260.000 Freiwilligen überwacht und ist für alle offen und transparent.“ Es gehe darum, zu informieren, nicht zu überzeugen. Informationen würden – angeleitet durch das Regelwerk – von dem Autorenkollektiv „so genau, fair und neutral wie möglich“ dargestellt. Der neutrale Standpunkt zählt zu den vier unveränderlichen Grundprinzipien der Wikipedia, denen sich alle ehrenamtlichen Autor*innen verpflichten.

Auch zahlreiche deutsche Medien berichten über die aktuellen Entwicklungen in den USA. Hier eine Auswahl:

WDR: Angriff auf Wikipedia (Audio)
RedaktionsNetzwerk Deutschland:
Wikipedia: Der US-Angriff auf das freie Wissen hat begonnen
Deutschlandfunk Kultur:Trump-Regierung greift Wikipedia an
Zeit Online:
Angriff auf das Wissen der Welt (hinter Bezahlschranke)
heise online: Angebliche Verbreitung von Propaganda: US-Regierung bedroht die Wikipedia
Süddeutsche Zeitung: Nicht zu verkaufen (hinter Bezahlschranke)

Drohung gegen Ehrenamtliche

Bereits im Februar hatte ein Bericht des Forward Magazine Anlass zur Sorge gegeben. Demnach wolle die konservative US-Denkfabrik Heritage Foundation Autor*innen der englischsprachigen Wikipedia-Community „identifizieren und ins Visier nehmen“ (netzpolitik.org berichtete). Den Autor*innen wurde vorgeworfen, ihre Position auf der Plattform zu „missbrauchen“. Um die wahre Identität aktiver Wikipedianer*innen zu ermitteln, wurden verschiedene Methoden angedroht, darunter die Analyse von Schreibstilen und Benutzernamen, die Auswertung von Datenlecks, digitale Fingerabdrücke, Hinweise aus persönlichen Kontakten und gezielte technische Recherchen. Laut Forward wird die Aktion von einem ehemaligen FBI-Agenten geleitet.

Es ist auf Wikipedia gängige Praxis, dass Freiwillige Pseudonyme verwenden, um ihre Privatsphäre zu schützen und persönliche Drohungen zu vermeiden. Die Offenlegung persönlicher Informationen von Redakteuren ohne deren Zustimmung wird als „Doxing“ bezeichnet und ist gemäß den Regeln von Wikipedia strengstens verboten.

Ein Schwerpunkt der Arbeit der Wikimedia Foundation ist der Schutz der Sicherheit und Integrität der Wikimedia-Projekte, einschließlich der laufenden Bemühungen zum Schutz der Wikimedia-Freiwilligen. Beispielsweise bietet die Wikimedia Foundation in Zusammenarbeit mit Menschenrechts-NGOs weltweit Sicherheitsschulungen in mehreren Sprachen an. Im Allgemeinen werden nur sehr wenige personenbezogene Daten über die Nutzer*innen von Wikimedia-Projekten erfasst. Darüber hinaus bieten einige Sprachversionen aufbauend auf den im letzten Jahr begonnenen Arbeiten nun sogenannte temporäre Konten an, die einen besseren Schutz der Privatsphäre gewährleisten. Bisher wurden Bearbeitungen von nicht registrierten Nutzer*innen öffentlich mit deren IP-Adresse angezeigt. Temporäre Konten ersetzen diese Anzeige durch automatisch generierte Benutzernamen (z. B. ~2025-1234567), die von Außenstehenden nicht zurückverfolgt werden können.

Mehr Informationen zum Risikomanagement der Wikimedia Foundation gibt es in diesem Blogbeitrag.

Wie sicher ist das Freie Wissen?

Wie gut sind das Wissen und die digitalen Infrastrukturen von Wikipedia im Ernstfall geschützt? Es zeigt sich, dass zahlreiche Regierungen versuchen, Archive und Regierungswebsites zu zensieren, deren Inhalte sie als problematisch erachten. Die Tagesschau bezeichnet dies als „groß angelegte Löschkampagne“, von der insbesondere Beiträge und Bilder betroffen sind, die Frauen, queere Menschen oder People of Color zeigen. Als Reaktion darauf hat das in Kalifornien ansässige Internet Archive, das sich der langfristigen Speicherung digitaler Daten in einem frei zugänglichen Format widmet, aus Sicherheitsgründen damit begonnen, seine Server in Kanada zu spiegeln.

Die gute Nachricht: Inhalte vollständig und dauerhaft aus dem Internet zu entfernen, ist nach wie vor alles andere als einfach. In den USA gibt es zivilgesellschaftliche Projekte wie das Data Rescue Project, das kompromittierte Daten sammelt und sich aktiv für deren Erhaltung einsetzt. Und Wikipedia selbst ist widerstandsfähig. Selbst in Russland wurde die Plattform noch nicht vollständig blockiert. Zwar warnt die russische Regierung beim Zugriff auf die Seite vor angeblich „unzuverlässigen Inhalten“ und es wurde ein staatlich kontrollierter Klon namens ‚Ruwiki‘ eingerichtet, doch das Original bleibt zugänglich und wird weiterhin genutzt.

Entsprechend bleibt Franziska Heine, Vorständin von Wikimedia Deutschland, angesichts der Entwicklungen in den USA ruhig. „Die Mechanismen der englischsprachigen Wikipedia haben sich über viele Jahre bewährt.“ Das stimme sie für die Zukunft optimistisch.

Hilfe vom Human Rights Team

Aufgrund der zahlreichen Fälle weltweit, in denen Wikipedianer*innen wegen ihrer ehrenamtlichen Arbeit ins Visier genommen werden, hat die Wikimedia Foundation 2021 ein Human Rights Team eingerichtet. Dieses widmet sich der Wahrung und Verteidigung der Sicherheit der Ehrenamtlichen und soll sie nach besten Kräften vor Angriffen schützen. Zuvor wurde ein Menschenrechtsbericht (Human Rights Impact Assessment) in Auftrag gegeben, um die mit Wikimedia-Projekten verbundenen Risiken zu identifizieren und Möglichkeiten zu ihrer Minderung aufzuzeigen. Auch Wikimedia Deutschland bietet rechtliche Unterstützung für Ehrenamtliche der Wikipedia, die aus verschiedenen Gründen unter Druck geraten. Diese reicht von der Einholung von Rechtsgutachten bis zur vollständigen Übernahme der Prozesskosten in mehreren Instanzen.

Verbunden ist damit die Botschaft: Wer sich für Freies Wissen einsetzt, kann auf Unterstützung zählen.

Dieser Artikel wurde am 22. Mai 2025 aktualisiert.

Wie eine wehrhafte Community die Wikipedia vor Manipulation schützt

Politische Einflussnahme, Vandalismus, Fake News: Als größtes freies Wissensprojekt der Welt ist die Wikipedia immer wieder Manipulationsversuchen ausgesetzt. Zum Glück gibt es in der deutschsprachigen Community eine Vielzahl von Ehrenamtlichen, die sich auf die Abwehr genau solcher Angriffe spezialisiert haben. Ihnen steht ein wirksames Instrumentarium zur Verfügung.

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