Die Aufklärung als zweischneidiges Schwert

Die Ideen der Aufklärung, die rationale Vernunft und die naturwissenschaftliche Revolution fallen zeitlich mit kolonialer Unterdrückung und Rassismus zusammen. Diese Ambivalenz diskutierten die indische Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan von der TU Dresden, die jamaikanisch-stämmige Wikipedianerin Kelly Foster und der Forscher und Künstler meLê yamomo von der University of Amsterdam. Jan-David Franke, Projektmanager für Politik und öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland, hat die Session moderiert und zieht ein ambivalentes Fazit: „Mit der Aufklärung geht zwar auch ein belastetes historisches Erbe einher. Wir sollten sie trotzdem nicht beiseite legen und die Prinzipien Gleichheit, Menschenrechte und Demokratie vor denjenigen verteidigen, die die Aufklärung zur Legitimation von Unterdrückung, Kolonialismus und Chauvinismus heranziehen. Die Wikipedia kann dabei eine wichtige Rolle spielen, wenn sie sich weiter kritisch reflektiert und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse ernst nimmt.“

Was nimmt eine Wikipedianerin von der Konferenz mit?

Katsumo war neben anderen Ehrenamtlichen bei der Konferenz dabei: „Zwei Momente haben mich besonders beeindruckt: die multimediale Installation von meLê yamomo und der Vortrag von Nikita Dhawan. Yamomos Installation hat mir gezeigt, dass Wissen nicht isoliert im Kopf entsteht, sondern durch den Körper und den Dialog mit anderen. Faszinierend fand ich die Beispiele, wie in einigen Kulturen Wissen durch Gesänge weitergegeben wird – eine lebendige und körperliche Form des Erinnerns.“
Bedenkenswert fand sie auch das Argument, „dass es kein ,reines’ Wissen gibt, da alles bereits von kolonialen Einflüssen geprägt ist und wir dennoch die positiven Werte der Aufklärung wie Gleichheit und Menschenrechte gegen einen ,normativen Nihilismus’ verteidigen sollten.“

Dhawans Schlussfolgerung: Die Aufklärung ist zugleich Gift und Medizin. Sie zitierte dazu einen Satz des Schwarzen Bürgerrechtlers W.E.B. Dubois, der mich berührt hat: ,Die Enzyklopädie ist niemals fertig’ – ein Motto, das sich Wikipedia einrahmen könnte!“
Katsumo, Wikipedianerin

Barcamp zu bedrohtem Wissen

Am Nachmittag stellten die Teilnehmenden ihre eigenen Fragen ins Zentrum und diskutierten sie beim Who Owns-Free-Knowledge-Barcamp. Ein Barcamp ist immer auch ein Risiko. Man weiß nie, wer welche Fragen beisteuert – und ob sie auf Interesse stoßen. So blickt Barcamp-Organisator Dominik Scholl, Leiter des Teams Kultur und marginalisiertes Wissen bei Wikimedia Deutschland, auf das Workshop Format:

„Wir haben festgestellt, dass dieses Format für einige Teilnehmende noch komplett neu war. Trotzdem haben sich nach sechs Stunden Konferenz noch viele aktiv daran beteiligt. Es war toll zu sehen, zu welchen Themen und Fragen-Sessions angeboten wurden: Wie lassen sich Forschungs- und Kulturdaten aus den USA retten? Wie können wir mit dem Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit und Verwundbarkeit marginalisierter Gruppen umgehen?“

Bedrohte Daten, bedrohtes Wissen

Um die Rettung von Forschungs- und Kulturdaten ging es in der Session des Historikers Henrik Schönemann. Er beschrieb, wie er mit anderen Engagierten im Projekt Safeguarding Research Data and Cultural Heritage versucht, so viele Daten wie möglich zu retten. Aktuell entzieht die amerikanische Regierung immer mehr öffentlichen Einrichtungen Mittel, so dass diese ihre IT-Infrastruktur nicht aufrechterhalten können und Speicherplatz aufgeben müssen. Oder sie zwingt öffentliche Institutionen, Informationen zu löschen oder politisch motiviert zu ändern. Um die dadurch bedrohten Wissensbestände zu schützen, sammelt die Gruppe Informationen über bedrohte Daten und sichert sie bei Bedarf. Franziska Kelch aus dem Kommunikationsteam von Wikimedia Deutschland war dabei und schildert ihre Erkenntnis:

„Dank der technologischen Entwicklungen können wir in enormem Umfang Wissen speichern oder vermitteln. Aber wer die Technologien kontrolliert, kann diese Wissensbestände auch vernichten. Wir müssen daher besser darauf achten, wer Infrastrukturen des Wissens, Forschungseinrichtungen oder Kulturinstitutionen kontrolliert und Mechanismen gegen Missbrauch entwickeln. Wir müssen außerdem Projekte wie die Wikipedia erhalten. Denn sie gehört nicht einer Person, einem Unternehmen oder einem Staat, sondern wird von einer globalen Community selbst betrieben, die offen ist für die Teilhabe der Vielen.“

Eine Lobrede auf Wikipedia

Das Erbe des Kolonialismus, technologische Infrastruktur und die Politik zum Gemeingut. Die Konferenz hat gezeigt, dass ihr Verhältnis zueinander auch in Zukunft prägen wird, wie wir Wissen produzieren und rezipieren. Die Konferenz am Weizenbaum Institut hat die Beteiligten aus Forschung und Praxis zusammengebracht. Hier weiterhin im Austausch zu bleiben, begrüßen die Teilnehmenden sehr – trägt das eigene Engagement doch zu einem größeren gemeinsamen Ziel bei. So fasst Katsumo trefflich zusammen: „Eigentlich waren die Beiträge, bei aller Kritik, implizit eine Lobrede auf die Wikipedia und motivierten mich, bei diesem großartigen Projekt weiterhin enthusiastisch mitzumachen.“

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