Zarah Ziadi
31. August 2023
Die Wikimania ist eine internationale Konferenz, bei der einmal im Jahr aus den weltweiten Projekt-Communitys und rund 40 Wikimedia Ländervertretungen (auch Affiliates genannt) Haupt- und Ehrenamtliche an einem Ort zusammenfinden. Der Fokus der Veranstaltung liegt auf der Zusammenarbeit zum Abbau struktureller und technischer Hürden, die den Zugang zu digitalem Wissen einschränken oder für manche Bevölkerungsgruppen unmöglich machen. Die Wikimedia-Bewegung weiß: Freier Zugang zu Wissen schafft Chancengleichheit, führt zu besseren Entscheidungen, die am Ende unser Zusammenleben auf diesem Planeten positiv beeinflussen.
Hightech-Konferenzanlage mit auf Boden gebliebenen Teppich
Veranstaltungsort ist das Suntec Convention & Exhibition Center in Singapur. Alles sehr schick, alles sehr state-of-the-art. Besonderes Highlight ist die Screen-Wall am Haupteingang, auf der mit 664 individuellen 55” LED Monitoren Bilder und Grafiken zur Wikimania abgespielt werden. Das hat sich nicht nur sehr offiziell und wichtig angefühlt, sondern auch beeindruckend ausgesehen – so wie alles im Suntec Center. Einzig der Teppichboden auf der dritten Etage, auf der sich die Konferenz in mehrere kleine Räume verteilt, erinnert an modern gemeinte Wohnungseinrichtungen aus den 90ern. Der Vorteil ist aber, dass man trotz Hightech und Hochstimmung nicht vergisst, dass man sich immer noch auf der Erde befindet.
Mehr als ein kleiner Aperitif: Die Vorkonferenz
Die zweitägige Vorkonferenz fühlt sich eigentlich schon wie die Hauptkonferenz an, ist aber legerer und hat etwas von einem großen Familientreffen. Viele kennen sich schon seit Jahren und begrüßen sich ausgiebig. Ihre enthusiastischen Gesichter lassen vermuten, dass sie sich voll und ganz dem Freien Wissen verschrieben haben. Viele Besucher*innen kommen aufgrund des kürzeren Anreiseweges aus dem Asien- und Pazifikraum. Zum Beispiel nutzen die Wikimedia-Communitys der ESEAP Staaten (Osten, Südostasien und Pazifikraum-Staaten) die Vorkonferenz, um sich stärker zu vernetzen. Auch die Komitees der Wikimedia-Bewegung begrüßen die Gelegenheit, um künftige Strategien und Strukturen face-to-face zu diskutieren. Darüber hinaus gibt es Veranstaltungen der WikiWomen-Community, es gibt Software-Workshops und den Beginn eines die ganze Wikimania überdauernden Hackathons. On Top finden Exkursionen in den tropischen Botanischen Garten oder in ältere Stadtviertel Singapurs statt, die die Geschichte der wohlhabenden Handelsstadt widerspiegeln. Die Vorkonferenz ist trotz bereits recht dichtem Programm vor allem eins: Ankommen, Warm-up und in den offiziellen Teil einfinden. Highlight der ersten beiden Tage: Ich habe herzliche Gespräche geführt mit vielen Menschen aus Ländern, mit denen ich vorher keine Berührungspunkte hatte. So habe ich zum Beispiel von einem Community-Mitglied aus Tansania gelernt, dass in seinem Heimatland jedes Problem, egal wie klein, ausdiskutiert und niemals totgeschwiegen wird. Hier haben Konfliktvermeider keine Chance.
Eine Eröffnungszeremonie und sechs Auszeichnungen
Und während sich alle auf der Vorkonferenz noch zusammenfinden, werden in einem rund 4000 m2 großen Plenarraum die letzten Vorbereitungen für die ganz großen Veranstaltungspunkte getroffen. Allen anderen voran für die Eröffnungszeremonie und die zeitgleiche Auszeichnung der sechs Wikimedianer*innen des Jahres, die von Jimmy Wales höchstpersönlich verkündet werden. Ausgezeichnet werden Community-Mitglieder, die sich mit besonderen ehrenamtlichen Beiträgen für Wikimedia-Projekte verdient gemacht haben.
Die Bühne ist übrigens bombastisch: Über beinahe die gesamte Breite des Raumes zieht sich eine Leinwand, deren Abschnitte mit unterschiedlichen Projektionen bespielt werden können. Besonders eindrucksvoll wird es, als Tänzer*innen auftreten und der Hintergrund der ganzen Länge nach mit Fantasiegebilden und feuerroten Pfauenfedern bespielt wird. Am Ende der Zeremonie ist die Aufregung auf einmal groß: Alle wollen auf die Bühne und mit Jimmy Wales fotografiert werden! Anlässlich der Eröffnungsfeier haben sich eine Vielzahl der Wikimania-Besucher*innen in traditioneller Kleidung herausgeputzt und sehen einfach umwerfend aus. Viele tragen ihre traditionellen Outfits auch über die weiteren Tage der Hauptkonferenz hinweg und visualisieren damit die internationale Dimension und Diversität der Veranstaltung.
Hauptkonferenz: Ein Kaleidoskop des Freien Wissens
Konnte man sich während der Vorkonferenz vor lauter interessanten Veranstaltungen schon nicht entscheiden, wird jetzt noch eine Schippe draufgelegt.
Das Themenspektrum hat sich durch weitere Programmpunkte im großen Plenarraum deutlich erweitert. Es gibt jetzt noch mehr Workshops – unter anderem welche, die Konzepte zum Thema Leadership und Zusammenarbeit in kollaborativen Prozessen vermitteln. Es gibt einen Kurs, der sich an Introvertierte richtet und verrät, wie sie auch mit Zurückhaltung das Beste aus der Konferenz herausholen. Weiterhin werden Themen, wie die Möglichkeiten von AI für Wikimedia, die Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen, Open Science, Diversität, Rechtsfragen, marginalisierte Sprachen und die Arbeit mit ethnischen Minderheiten aus der Perspektive einzelner Projekte und Länder besprochen. Das Ganze wird flankiert von offiziellen Informationsveranstaltungen zu aktuellen Zahlen und Strategien der Wikimedia Foundation in den USA, dem Mutterschiff aller Wikimedia Organisationen und Gruppierungen. Parallel werden überall national-typische Süßigkeiten verteilt, die verschiedene Besucher*innen mitgebracht haben. Ein großes Wikimedia-W thront vor dem Plenarsaal. Mehrere Besucher*innen toben sich daran aus, indem sie Grüße in ihrer Landessprache auf dessen Oberfläche kritzeln und Fotos in allen möglichen Varianten machen. Alleine, in der Gruppe, stolz, spielerisch, akrobatisch.
Mein Höhepunkt: das WikiWomen’s Lunch. Nahezu alle anwesenden Wikimedianer*innen haben miteinander gespeist und anschließend für ein Gruppenfoto posiert. Es wurde die ein oder andere bewegende Rede gehalten, die zeigt, wie wichtig die weibliche Community ist, denn die meisten Wikimedia-Projekte sind immer noch Männerdomäne mit zu wenig Akzeptanz für andere Geschlechter. Dank der WikiWomen gibt es Rückhalt und eine entschiedene Bewegung in Richtung Gleichberechtigung.
Foto-Preisverleihung & Abschluss
Im Juni und Juli fand vor der Konferenz ein Fotowettbewerb in Singapur statt. Aufgabe war es, das aktuelle kulturelle, sogenannte „lebendige“ Erbe einzufangen. Die Bilder der 10 Gewinner*innen wurden auf der Wikimania ausgestellt und jede*r Besucher*in konnte seinen bzw. ihren Favoriten wählen. Daraus ergaben sich die Preisträger*innen des Wettbewerbs, die auf der Abschlusszeremonie offiziell ausgezeichnet und mit Gutscheinen für Fotobedarf beglückt wurden. Und dann, nach einer langen Wikimania-Woche, erfolgt schließlich die Übergabe des aktuellen Organisationsteams an das Team, das die Wikimania 2024 realisiert: Als nächstes wird es uns nach Krakau in Polen verschlagen. Wehmütig, von der Veranstaltung inspiriert, etwas erschöpft und mit Vorfreude auf das Abschlussfest, findet die Wikimania 2023 so ihren Abschluss.
Nachtrag: Der Kern der Wikimania
Bevor wir die Wikimania wieder verlassen, möchte ich noch einmal innehalten und die engagierten, meist ehrenamtlichen Menschen hervorheben, die der Veranstaltung ihren besonderen Glanz verleihen. Mir wurde gesagt, dass einige Besucher*innen es gar nicht schaffen, so viele Vorträge und Workshops zu besuchen, wie sie sich vorgenommen haben. Sie verbleiben oft irgendwo zwischen Flur und Buffet, wo sie sich langsam von einem interessanten Gespräch ins nächste begeben. Aber das scheint das Entscheidende auf der Wikimania als Präsenzveranstaltung! Der direkte Austausch und die Kollaborationen, die daraus entstehen und im Sinne der Wikimedia-Bewegung das große Ziel eines global frei verfügbaren Wissens verfolgen. Egal ob Suntec Convention-High-Tech oder 90er Jahre Teppich – Hauptsache mal wieder in Präsenz vereint.
Dieses Jahr nahmen etwa 670 Besucher*innen vor Ort teil. 1500 Teilnehmer*innen schalteten sich virtuell dazu. Die Wikimania 2023 gehört damit zu den bestbesuchten. Wer es nicht geschafft hat dabei zu sein, kann sich hier die Videoaufzeichnungen der Veranstaltung anschauen.