Friederike von Franqué
19. Juni 2023
„Es ist unglaublich, dass Wikimedia Europe erst letztes Jahr gegründet wurde“, bemerkte Anna Mazgal, Geschäftsführerin der Organisation, bei der Eröffnungssitzung der ersten Mitgliederversammlung in Prag. Sie hat recht: In sehr kurzer Zeit wurde viel erreicht – eine Satzung wurde verfasst, ein Vorstand ernannt, es wurde sich für Belgien als Sitz der Organisation und für Prag als Ort der Mitgliederversammlung entschieden.
Als jüngster Teil der Wikimedia-Struktur ist Wikimedia Europe eine der Erfolgsgeschichten der Bewegung, die direkt in die Globale Movement-Strategie einzahlt. Schon jetzt besteht Wikimedia Europe aus 27 Mitgliedern und Freund*innen, von denen viele bei der Versammlung vertreten waren. Das dreiköpfige Team (Dimitar Dimitrov, Anna Mazgal, Michele Failla) wird noch durch eine Person für Fundraising vervollständigt werden, die Position ist ausgeschrieben. Der festliche Charakter der ersten Mitgliederversammlung von Wikimedia Europa wurde am Vorabend durch die Unterzeichnung eines Memorandums über die Zusammenarbeit zwischen Wikimedia Česká Republika und der berühmten Nationalbibliothek der Tschechischen Republik in Anwesenheit eines Vertreters des Kultusministeriums im wunderschönen Clementinum unterstrichen.
Zielerklärung engere Zusammenarbeit: Es wächst zusammen, was zusammen gehört
In einem präzisen und klaren Überblick eröffneten Claudia Garad, Präsidentin von Wikimedia Europe und Anna Mazgal die Veranstaltung und führten später durch den strategischen Plan der Organisation, der sich aus dem in ihrer Satzung beschriebenen Zweck ableitet. Die Hauptziele von Wikimedia Europe sind die Förderung der Zusammenarbeit zwischen europäischen Wikimedianer*innen, um dadurch den Zugang zu Wissen in Europa zu verbessern, eine öffentliche Stimme zu sein, die sich für ein Internet im öffentlichen Interesse einsetzt, und sich für Freiheit und Grundrechte im digitalen Zeitalter einzusetzen. Wikimedia Europe soll diesen Zweck durch die Fortsetzung der guten Arbeit der Free Knowledge Advocacy Group (FKAGEU) erreichen, indem sie im Namen ihrer Mitglieder im Interesse der Wikimedia-Bewegung bei den Institutionen der Europäischen Union vorstellig wird. Darüber hinaus wird Wikimedia Europe ihre Mitglieder mit Training, Kapazitätsaufbau und Fundraising unterstützen – je nach ihren spezifischen Bedürfnissen. In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass vor allem die Mitglieder unterstützt werden müssten und es wurde deutlich, dass Wikimedia EU selbst Hilfe und technisches Wissen benötigt, um die technischen Aspekte von „good tech“ erklären zu können.
In vielen weiteren Programmpunkten teilten Mitglieder ihre Erfahrungen oder sammelten Input von anderen: Wikimedia Polska hat beispielsweise erst kürzlich einen eigenen Strategieprozess abgeschlossen. Am Ende eines gut organisierten Prozesses standen die Werte (Liebe, Freiheit, Authentizität) und eine zukunftsfähige Strategie. Wichtigste Erkenntnis: Es gibt keine goldene Regel für Strategien und es ist in Ordnung, Fragen zu stellen. Regelmäßige Treffen sind ebenso wichtig wie gemeinsames Handeln mit Feedback aus der Community. Wikimedia Europe erläuterte, dass politische Prozesse für Mitgliedsländer der Europäischen Union recht genau beobachtet und die Mitglieder gut mit Analyse und Positionierung unterstützt werden können. Idealerweise kann durch frühe Lobbyarbeit idealerweise die politische Agenda selbst beeinflusst werden. Aber was ist mit den Ländern, die nicht in den EU-Entscheidungsprozess eingebunden sind, etwa Norwegen oder die Ukraine? Die Gruppe diskutierte verschiedene Möglichkeiten. Oberste Maxime war natürlich, dass die jeweiligen Länderorganisationen stets eingebunden werden müssen. Wikimedia Espana freut sich auf Teilnehmende im Rahmen der nur alle drei Jahre stattfindenden Internationalen Konferenz der Museen (ICOM) in Valencia. Wikimedia Deutschland organisierte einen Workshop zur Zukunft der Entscheidungsfindung im Wikimedia Movement. Nicole Ebber und Eva Martin nahmen die laufende Ausarbeitung der Movement Charta zum Anlass, mit den Mitgliedern von Wikimedia Europe über die künftigen Rollen und Verantwortlichkeiten im Wikimedia Movement zu diskutieren. Die angestrebten Governance-Änderungen und die Einführung eines globalen Rates werden auch die Zusammenarbeit auf europäischer und nationaler Ebene beeinflussen, und der Workshop war ein erster Schritt auf dem Weg zur Entwicklung gemeinsamer Positionen.
Strategiewechsel in der Policyarbeit: von Delfinen und Fischer*innen
Die Wikimedia Foundation stellte einen Strategiewechsel in ihrer Policy-Arbeit vor und nutzte dafür eine Fischerei-Metapher: Wenn Wikipedia ein Delfin ist und Politiker*innen sind Fischer*innen, dann sollten diese Fischer*innen darüber informiert werden, wie sie vermeiden können, Delfinen zu schaden. Politische Entscheidungsträger brauchen ein Grundverständnis von Wikipedia und Wikimedia-Projekten, um sich daran zu erinnern, wenn sie ein Gesetz entwerfen. Beispielsweise wissen Politiker*innen meistens nicht, dass Wikipedia getragen wird von Menschen wie du und ich, oder dass Wikipedia nach Sprache strukturiert ist, nicht nach Nation. Dafür müssen wir erzählen, wie Wikipedia funktioniert. Wikimedia Europe stellte zur Diskussion, wie in Zukunft Kapazitäten für die aktuelle Advocacy-Arbeit in der EU gestärkt werden könnten. Bislang gibt es ein jährliches Treffen von von Freiwilligen und Mitarbeiter*innen (Big Fat Brussels Meeting) zum Erfahrungsaustausch. Unter den Vorschlägen war ein längerer Aufenthalt in Brüssel, eventuell mit einem MEP-Briefing zu aktuellen Themen.
Das Failfest am Ende, organisiert von Wikimedia Nederland, dem CEE hub und Wikimedia Deutschland, leitete den lockereren Teil des Tages ein: Hier wurde mit viel Humor und Sarkasmus geschildert, was man machen muss, um seine Organisation zum Scheitern zu bringen – und am Ende wurde dann aufgelöst, wie solche Fehler vermieden werden können. Die Session sollte ein Zeichen dafür sein, dass Wikimedia Europa sich als Raum für Versuch und Irrtum sowie Solidarität zwischen den Mitgliedern versteht, und dass man gemeinsam von Fehlern lernen kann.
Mit einer Stadttour durch Prag endete der insgesamt sehr informative und kooperative Tag in Prag.