Dr. Christian Humborg
Frank Böker
30. November 2022
Ein freies, offenes Internet, von dem alle profitieren und in dem sich alle zum Wohl der Gemeinschaft einbringen können – dafür setzt sich Wikimedia ein. Doch über die entscheidenden politischen Rahmenbedingungen für Freies Wissen wird nicht nur auf nationaler Ebene entschieden. Von der Urheberrechtsreform über die Regulierung großer Online-Plattformen bis hin zum Umgang mit offenen Daten – weitreichende Gesetzesinitiativen der letzten Jahre wurden in Brüssel angeschoben.
Neu ist die Erkenntnis natürlich nicht. Deshalb wurde vor fast zehn Jahren die „Free Knowledge Advocacy Group EU“ (FKAGEU) ins Leben gerufen. Die Arbeitsgruppe vertritt die Interessen der Wikimedia-Bewegung bei den EU-Institutionen in Brüssel. 2013 gegründet, wird die Gruppe heute von Anna Mazgal und Dimitar Dimitrov koordiniert, unterstützt von rund 30 aktiven Ehrenamtlichen und den Mitarbeitenden der beteiligten Wikimedia-Chapter. Wikimedia Deutschland übernimmt dabei eine tragende Rolle, unterstützt die FKAGEU organisatorisch und finanziell.
Politische Veränderungen rechtzeitig anstoßen
Warum es für die Wikimedia-Bewegung so wichtig ist, sich auf europäischer Ebene einzubringen, fasst Anna Mazgal aus dem Brüsseler Team so zusammen: „Wir müssen uns zu einem Zeitpunkt Gehör zu verschaffen, wenn sich die politischen Ziele und Gesetzesvorlagen noch ändern lassen. Werden die Gesetze und Verordnungen der EU in den einzelnen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt, ist es meist schon zu spät.“
Ein sehr anschauliches Beispiel für den Erfolg ihrer Arbeit ist das Engagement der FKAGEU beim Gesetz über digitale Dienste: Mit dem Digital Services Act, wie die Verordnung im Original heißt, hat die EU im Frühjahr 2022 europaweit geltende Regeln für die Moderation von Inhalten auf Online-Plattformen eingeführt. Grundsätzlich ein sehr begrüßenswertes Anliegen, um Desinformationsversuchen und Hassrede im Netz etwas entgegenzusetzen. Doch in den ersten Entwürfen der EU-Kommission wurde dabei überhaupt nicht differenziert, ob diese Regeln von den Betreiber*innen der Plattform erstellt und durchgesetzt werden oder von einer ehrenamtlichen Community.
Für die Wikipedia und andere Community-Projekte hätte das schwerwiegende Folgen haben können – wenn die FKAGEU nicht unermüdlich auf die Unterschiede zwischen kommerziellen Plattformen und gemeinnützigen, community-getragenen Projekten hingewiesen hätte. In der finalen Fassung wird diese Differenzierung nun vorgenommen. Zum Glück für freie Wissensprojekte wie die Wikipedia.
Trotz solcher Erfolge: Mit ihrer bisherigen Struktur stößt die Free Knowledge Advocacy Group EU immer wieder an Grenzen. Anna Mazgal beschreibt das so: „Wie sehr wir uns auch bemühen, Prioritäten zu setzen und effizient zu planen, die Themen sind einfach zu vielfältig für zwei Hauptamtliche. Das Ergebnis ist, dass wir der EU-Gesetzgebung hinterherlaufen. Das geht auf Kosten der proaktiven Entwicklung politischer Ideen und der Kontaktaufnahme mit Politiker*innen.“
Wikimedia-Chapter gründen Wikimedia Europe
Schon länger gab es Gespräche, um die Zusammenarbeit der Wikimedia-Bewegung auf europäischer Ebene zu stärken. Im Sommer 2022 wurde es jetzt endlich konkret: Gemeinsam beschlossen 22 Wikimedia-Organisationen die Gründung von Wikimedia Europe. Die neue Organisation wird in Brüssel ansässig sein und die Rechtsform einer Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht nach belgischem Recht haben. Mitglied werden können alle in Europa ansässigen Wikimedia-Affiliates. Neben den 22 Gründungsmitgliedern sind auch andere europäische Chapter eingeladen, sich der neuen Organisation anzuschließen.
Ein für zwei Jahre gewählter Vorstand vertritt Wikimedia Europe nach außen hin, übernimmt administrative Aufgaben und soll – gerade in der Anfangszeit – den Aufbau der Organisation leiten. Das Amt der Präsidentin übernimmt bis 2024 Claudia Garád von Wikimedia Österreich. Die weiteren Vorstandsmitglieder sind Capucine-Marin Dubroca-Voisin (Wikimedia Frankreich), Maciej Nadzikiewicz (Wikimedia Polen), Rebecca McKinnon (Wikimedia Foundation) und Gonçalo Themudo (Wikimedia Portugal).
Wichtige strategische Entscheidungen treffen die Mitgliedsorganisationen gemeinschaftlich bei der jährlichen Generalversammlung in Prag. Die neue, demokratische Struktur soll die Zusammenarbeit der einzelnen Wikimedia-Chapter verbessern, der Interessenvertretung auf EU-Ebene eine demokratische Legitimierung geben und Raum für einen möglichen Stellenaufbau schaffen.
Wie geht es weiter?
Noch ist der Gründungsprozess von Wikimedia Europe nicht abgeschlossen. Im Dezember wird der Antrag auf rechtliche Anerkennung beim belgischen Bundesjustizministerium eingereicht, die weiteren rechtlichen Schritte folgen in den kommenden Monaten. Die beiden Mitarbeitenden der bisherigen FKAGEU bilden dann, zusammen mit voraussichtlich zwei neuen Kolleg*innen, das hauptamtliche Team von Wikimedia Europe: Anna Mazgal als Executive Director und Dimitar Dimitrov als Policy Director.
Auf eine Veränderung freut sich Anna Mazgal besonders: „Dass die Free Knowledge Advocacy Group EU zumindest dem Namen nach keinen Bezug zu Wikimedia aufweist, hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Fragezeichen geführt. Wikimedia Europe ist da viel klarer. Das wird nicht nur den ehrenamtlichen Communitys viel besser gerecht, sondern uns auch in Gesprächen mit Politiker*innen helfen.“
Wir freuen uns auf die noch engere Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Wikimedia-Chaptern – und auf die neuen Möglichkeiten, die Wikimedia Europe uns für die Mitgestaltung der digitalen Zukunft eröffnet.
Grundsätzlich prima, da ich in alter DDR aufgewachsen bin, bitte wenig Anglizismen oder wie das neudeutsch heißt… Europa- und weltweit wichtige Datenschutzregeln müssen geschaffen werden… Nochmals: PRIMA!… Ein alter Daddy (sorry) von 87 Jahren… MfG UP-DE-OS