Frank Böker
Jan-David Franke
1. September 2022
Ob Bilder, Filme, auch kürzere Videoclips, Audioinhalte wie Musik oder Podcasts – urheberrechtlich geschützte Werke dürfen in der Öffentlichkeit nicht einfach so wiedergegeben werden. Jedenfalls nicht ohne die ausdrückliche Genehmigung derjenigen, die das fragliche Werk erstellt haben. Aber ist die Wiedergabe etwa eines Videos im Klassenverband überhaupt öffentlich? Und selbst wenn eine Wiedergabe im Unterricht erlaubt ist: In welchem Maße dürfen eigentlich Veränderungen an einem Werk vorgenommen werden, etwa um es an die Bedürfnisse einer Unterrichtseinheit anzupassen?
Ein Gutachten gibt Aufschluss
Viele Lehrkräfte dürften angesichts solcher Fragestellungen Unsicherheit verspüren. Wer im Internet nach Aufklärung sucht, stößt schnell auf widersprüchliche Aussagen. Deshalb hat Wikimedia Deutschland ein Gutachten erstellen lassen. Dr. Gerald Spindler ist Professor am Institut für Wirtschafts- und Medienrecht der Georg-August-Universität Göttingen. Er hat die relevanten Gesetzestexte und die bisherige Rechtsprechung untersucht und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis:
„Die Wiedergabe von Werken in einem geschlossenen Klassenverband ebenso wie in einem Kursverband in einer Schule stellt keine öffentliche Wiedergabe nach § 15 II, III UrhG bzw. Art. 3 I InfoSoc-Richtlinie dar. Dies gilt ebenso für Seminare an einer Hochschule, unabhängig davon, ob sie in Präsenz abgehalten werden oder über digitale Lehrformate mit Zugangsbeschränkung.“Prof. Dr. Gerald Spindler, Gutachten im Auftrag von Wikimedia Deutschland, S. 13.
Lehrkräfte dürfen demnach urheberrechtlich geschützte Werke im Schulunterricht zeigen, solange ein geschlossener Klassenverband oder Kurs vorliegt, denn der ist rechtlich gesehen nicht öffentlich. Eine reine Vorführung für die Klasse, etwa durch direktes Abspielen aus Mediatheken ohne Speicherung auf Endgeräten, ist demnach keine „öffentliche Wiedergabe” im urheberrechtlichen Sinne. Deshalb muss hier weder eine individuelle Erlaubnis eingeholt werden noch greifen die Quotenerlaubnisse des Urheberrechtsgesetzes für Nutzung im Unterricht. Auch digitale Lehrveranstaltungen sind nicht öffentlich in diesem Sinne, solange eine digitale Zugangsbeschränkung wie etwa Passwortschutz besteht und die Teilnehmendenzahl mit der geschlossener Präsenzformate vergleichbar ist.
Wiedergabe ja, Speichern und Verändern nein
Gute Nachrichten also für Lehrkräfte. Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn Lehrkräfte ein urheberrechtliches Werk speichern oder verändern wollen. Denn alles, was über das reine Vorführen hinausgeht, ist und bleibt als urheberrechtliche Nutzungshandlung klärungsbedürftig. Der wohl wichtigste Vorgang, den es zu vermeiden gilt, dürfte in der Praxis die Speicherung sein. Wer speichert, vervielfältigt das betreffende Werk, und Vervielfältigung ist stets erlaubnispflichtig.
Wollen Lehrkräfte beispielsweise eine Videodatei herunterladen, weil das WLAN im Klassenzimmer zu langsam für das direkte Abspielen aus der Mediathek ist, braucht es die Erlaubnis der jeweiligen Urheber*innen oder muss von den oben genannten Quotenregelungen gedeckt sein, siehe § 60a UrhG. Die Verwendung von Werken in Arbeitsblättern ist sogar nicht nur eine Vervielfältigung, sondern auch noch eine Bearbeitung und betrifft somit gleich zwei Urheberrechte.
Dabei könnte gerade die Möglichkeit, Inhalte zu verändern, sie an die Bedürfnisse der Schüler*innen anzupassen und sie in Arbeitsmaterialien einzuarbeiten, den Schulunterricht weitaus mehr bereichern als ihre bloße Wiedergabe. Das sieht auch Prof. Dr. Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, so:
„Um in der Oberstufe als Zeitzeuge die zeitbedingte Wahrnehmung eines bestimmten Themas, z. B. über Atomkraft in den verschiedenen Jahrzehnten, deutlich machen zu können, muss ich für die unterrichtliche Darstellung aus verschiedenen Dokumentationen auswählen und sie zusammenschneiden können. Hierfür brauchen wir die Möglichkeit der Weiterbearbeitung und Veränderung. Dann werden die medialen Inhalte unter zeitlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten ‚unterrichtskompatibel‘.“
Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!
Eine Lösung liegt auf der Hand: Freie Lizenzen ermöglichen es allen Nutzer*innen, die so gekennzeichneten Inhalte zu speichern, zu teilen und zu bearbeiten. Am bekanntesten und besonders empfehlenswert sind die Creative-Commons-Lizenzen CC BY und CC BY-SA. Natürlich kommen diese Lizenzen für viele Unternehmen nicht in Frage, die mit dem Verkauf oder Verleih von Inhalten ihr Geld verdienen. Wenn Inhalte jedoch maßgeblich mit öffentlichem Geld finanziert werden, muss die Öffentlichkeit auch entsprechend davon profitieren.
Wikimedia Deutschland setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Wissens- und Bildungsinhalte der öffentlich-rechtlichen Sender mehr und mehr unter freie Lizenz gestellt werden. ARD, ZDF und Co. dürfen bzw. sollen einen kleinen Teil ihres Programms zwar mit Werbung finanzieren, den weitaus größten Anteil bezahlen aber wir alle mit unserem Rundfunkbeitrag. Wo immer die Finanzierungsstruktur es zulässt, sollten Inhalte deshalb unter freien Creative-Commons-Lizenzen veröffentlicht werden.
So können zum Beispiel Erklärvideos der ZDF-Reihe Terra X in die Wikipedia eingebunden werden. Und auch Lehrkräfte dürfen die zahlreichen Bildungs- und Wissensinhalte der Öffentlich-Rechtlichen dann nicht nur im Unterricht zeigen, sondern auch rechtssicher bearbeiten, auf die Bedürfnisse der Schüler*innen zuschneiden und in ihre Lernmaterialien integrieren.
Das ganze Gutachten zum Gebrauch von urheberrechtsgeschützten Werken im Unterricht und in der Lehre gibt es hier zum Download:
Guten Tag,
wäre es nicht sinnvoll, bereits bei der Produktion der Medien das Einverständnis aller Beteiligten für eine freie Verwendung im Schulunterricht einzuholen und dies im Vorspann auch anzuzeigen ?
Freundliche Grüße
Ja, Wikimedia Deutschland setzt sich dafür ein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Wissens- und Bildungsinhalte unter freien Creative-Commons-Lizenzen veröffentlichen. So gekennzeichnete Inhalte können im Schulunterricht zum Einsatz kommen, aber z.B. auch in der Wikipedia verwendet werden. Lizenzfragen sollten immer möglichst früh im Produktionsprozess geklärt werden. Mehr Infos zu unserer Forderung „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!“ auch hier: https://www.wikimedia.de/oeffentliches-geld-oeffentliches-gut/
Sehr hilfreich, vielen Dank!