Open Parliament TV
Parlamentsdebatten werden mit Wikidata transparenter und besser zugänglich
Joscha Jäger
20. Dezember 2021
Videoaufzeichnungen von Parlamentsdebatten sind nicht nur eine Materialsammlung für Journalist:innen oder Mitarbeitende des Parlamentsbetriebs, sondern eine unmittelbare Umsetzung des Credos „Der Bundestag verhandelt öffentlich“ (Art. 42, GG). Transparente und zugängliche demokratische Prozesse schaffen Vertrauen in die Demokratie selbst.
Die in Nachrichten oder auf sozialen Medien veröffentlichten Videos der Reden basieren jedoch meist auf kurzen, prägnanten Momenten ohne Kontextinformationen (wie einem Verweis auf die gesamte Rede, andere Reden zum selben Thema, relevante Dokumente, oder zivilgesellschaftliche Diskurse).
In den vorhandenen Plattformen der Parlamente fehlen Möglichkeiten der Partizipation und des Dialogs. Die Videoinhalte sind nicht (inhaltlich) durchsuchbar und aufgrund fehlender Schnittstellen auch nicht über Parlamentsgrenzen hinweg verknüpfbar. Auch als Quelle beispielsweise in Wikipedia-Artikeln eignen sich die Videoaufzeichnungen nur bedingt, da sich nur die gesamte Rede aus der Mediathek verlinken lässt.
Videos und Sitzungsprotokolle besser nutzbar machen
Ein Großteil aller Parlamente veröffentlicht Videoaufzeichnungen sowie Text-Protokolle der Sitzungen, aber in inkompatiblen Formaten und auf proprietären Plattformen. Das läuft dem Prinzip von Freiem Wissen fundamental entgegen.
Mit Open Parliament TV wollen wir diese Inhalte besser zugänglich machen. Eine Synchronisation von Videoaufzeichnungen und Plenarprotokollen macht Bundestagsreden durchsuchbar und über interaktive Transkripte, Zitiermöglichkeiten und eine Open Data API leichter nutzbar:
Darüber hinaus werden die Redebeiträge auf der Plattform mit Zusatzinformationen zu Redner:innen, Drucksachen, Gesetzestexten, Parteien und Fraktionen verknüpft. Über die Schnittstellen des Bundestages lassen sich Informationen wie Stammdaten der Abgeordneten oder Parteizugehörigkeiten mittlerweile recht einfach abrufen. Aber was ist, wenn eine Person im Bundestag spricht, die gleichzeitig einer Landesregierung angehört? Oder wenn Abgeordnete von einem Landtag in den Bundestag wechseln? Wie lassen sich die unterschiedlichen Datenmodelle und -strukturen parlamentsübergreifend zuordnen und über eindeutige Identifikatoren (IDs) verknüpfen? Allein der Deutsche Bundestag verwendet in seinen Systemen mindestens 8 verschiedene “eindeutige” IDs für ein und dieselbe Person. Die parlamentsinternen Systeme kommen hierfür also kaum in Frage.
Wikidata als Basis
Um Daten aus unterschiedlichen Quellen verknüpfen zu können braucht es zunächst eine gemeinsame “Wissensbasis”. Entsprechende Strukturen gibt es bereits seit längerem. Und fast alle haben gemeinsam, dass sie inhaltlich auf Wikimedia Projekten basieren (bspw. DBpedia oder Google Knowledge Graph). Mit Wikidata entsteht eine durch die Community kuratierte und erweiterbare Wissensdatenbank. Projekte wie Open Parliament TV können diese Daten nicht nur nutzen, um Daten zu Personen, Organisationen oder Gesetzen abzurufen sondern auch um Datenobjekte mit eindeutigen Bezeichnern zu versehen (https://www.wikidata.org/wiki/Wikidata:Identifiers).
Die Datenstruktur von Open Parliament TV basiert zu großen Teilen auf Wikidata IDs, also festen Codes, die Objekten in Wikidata zugewiesen sind. So lassen sich bspw. Personen unabhängig von parlamentsspezifischen Systemen dauerhaft eindeutig zuweisen:
Was, wenn die entsprechende Information auf Wikidata gar nicht vorhanden ist?
Das Team von Open Parliament TV hat sich mit der Entscheidung für Wikidata als grundlegende Struktur automatisch verpflichtet, regelmäßig als Teil der Community zum Wikidata Projekt beizutragen. Denn wenn bspw. eine Landtagsabgeordnete nicht auf Wikidata existiert, kann sie auch im Datenmodell von Open Parliament TV nicht existieren. Davon, dass Initiativen wie Open Parliament TV oder abgeordnetenwatch.de ein Eigeninteresse an aktuellen und gut gepflegten Datensätzen haben, wird sich die Qualität von Wikidata als Wissensbasis für politisch relevante Inhalte insgesamt verbessern. Für den Moment werden die Wikidata Identifikatoren auf Open Parliament TV genutzt, um Bundestagsdaten untereinander zu verknüpfen. Sobald aber zusätzliche Parlamente (Landtage, andere nationale Parlamente) in die Plattform integriert werden, lassen sich über diese Struktur Querverbindungen zwischen den Parlamenten herstellen.
Da Open Parliament TV open source ist, ließen sich auch vom ursprünglichen Projekt unabhängige Plattformen betreiben. Die jeweiligen Inhalte wären dann aber trotzdem über eine Open Data Schnittstelle und die zugrunde liegenden Wikidata IDs parlamentsübergreifend durchsuchbar und verknüpfbar.
Warum machen das die Parlamente nicht selbst?
Auf Open Parliament TV werden Inhalte des Parlamentsfernsehens mit anderen Daten zusammengeführt, indexiert und zukünftig auch automatisiert mit Zusatzinhalten verknüpft (Wikipedia-Artikel, Erklärvideos der Bundeszentrale für politische Bildung, Gesetzestexte). Hierdurch wird ein Mehrwert generiert, der weit über die Rohdaten hinausgeht. Wir sind der Auffassung, dass eine Aufbereitung der Inhalte, wie sie Open Parliament TV vornimmt, nicht Aufgabe der Parlamente ist und im Sinne des Staatlichen Rundfunkverbots auch nicht sein sollte. Die inhaltliche Analyse und Einordnung des Parlamentsgeschehens kann nicht von Parlamenten selbst vorgenommen werden. Open Parliament TV wird hierzu mit unabhängigen Journalist:innen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen wie abgeordnetenwatch.de zusammen arbeiten. Die Verantwortung der Parlamente ist es, Rohdaten in standardisierter Form über frei zugängliche und gut dokumentierte Schnittstellen zur Verfügung stellen.
Forderung: Mehr Unterstützung für gemeinnützige Open Data Infrastruktur
Regelmäßig entstehen als Teil von Forschungsvorhaben oder zivilgesellschaftlichen Open Data Projekten größere Sammlungen an Daten zu Parlamentsdebatten.
Auch an internationalen technischen Standards, mit welchen die Daten in einheitliche Formate gebracht werden können, mangelt es nicht. Was steht also der Idee einer parlamentsübergreifenden Verknüpfung von Debatten entgegen?
Einerseits haben Parlamentsverwaltungen selten ein Eigeninteresse, Inhalte über die Grenzen “ihres” Parlaments hinaus verknüpfbar zu machen. Entsprechende Standards werden nicht beachtet, entsprechende Schnittstellen nicht angeboten und eine Kommunikation hierzu findet zwischen Parlamenten auch nicht statt (der “Parlamentsspiegel” ist eine seltene Ausnahme, gleichzeitig aber auch symptomatisch für das Problem). Im Falle des Deutschen Bundestages machen die Nutzungsbedingungen zudem eine Einbindung der Videoinhalte in Wikipedia-Artikel unmöglich.
Auf der anderen Seite fehlt es an struktureller Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen, welche das Problem selbst in die Hand nehmen und meist ehrenamtlich Lösungen erarbeiten. Um ein Projekt wie Open Parliament TV dauerhaft als parlamentsübergreifende Infrastruktur betreiben zu können, ist neben entsprechenden Rahmenbedingungen (bspw. Rechtsanspruch auf Open Data und freie Lizenzierung der Videoinhalte) auch langfristige finanzielle Unterstützung für strukturrelevante Open Source Technologien nötig.
Der kürzlich vorgelegte Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP lässt hier auf Besserung hoffen. Auch die breite politische Unterstützung beim Thema Förderung offener digitaler Basistechnologien stimmt erst einmal zuversichtlich. Das neue Bundestagspräsidium kann nun den Weg bereiten und mit dem Bundestag eine Blaupause für offene Daten in anderen Parlamenten schaffen.
Joscha Jäger ist Projektleiter von Open Parliament TV (Twitter: @OpenParlTV). Zusammen mit Wikimedia Deutschland fordert er mehr Transparenz und offene Daten in den Parlamenten.