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Berlinale-Glamour für die Wikipedia

Harald Krichel ist seit 2003 aktives Community-Mitglied: er schreibt, fotografiert und fungiert als Administrator in der Wikipedia. Zusätzlich ist er Beisitzer im Präsidium von Wikimedia Deutschland. Zur Berlinale führten wir ein Gespräch über das Fotografieren für die Wikipedia, Communitys und das Editieren auf 2 Zoll-Handys.

WMDE allgemein

30. März 2018

Gerade bist du zur Berlinale zu Gast in Berlin und lichtest bei eisigen Temperaturen Filmstars für die Wikipedia ab. Was begeistert dich an diesem Hobby?

Über Wikipedia habe ich das Fotografieren so richtig erst gelernt. Kameratechnik hat mich lange interessiert, aber die Fotos habe ich nur für mich gemacht. Die Wikipedia hat meinem Fotografieren einen Zweck gegeben, plötzlich werden Artikel bebildert und meine Fotos so richtig gesehen – und genutzt. Im Januar hatte ich zwei Millionen Views, da kann ich mit professionellen Fotografen konkurrieren. Gestern habe ich zum Beispiel Steven Soderbergh, Joaquin Phoenix und den iranischen Star Leila Hatami vor die Linse gekriegt. Leila Hatami hat so ein Charisma, einfach unvergesslich.

Harald Krichel. Kathrin Krichel, Harald Krichel-6756, CC BY-SA 4.0

Ursprünglich bist du aber wie viele über das Lesen und Schreiben von Artikeln zur Wikipedia gekommen…

Ja, derweil fotografiere ich hauptsächlich und übe meine redaktionelle Rolle als Admin aus. Ich bin aber schon seit 2003 dabei. Vor fast 15 Jahren habe ich mich angemeldet und meinen ersten Artikel angelegt zu Friedrich Theodor Vischer, einem Philosophen und entfernten Verwandten von mir, der in der Frankfurter Paulskirchenversammlung saß. Da habe ich das erste mal ein Artikelchen angelegt, eigentlich kaum mehr als ein Halbsatz. Dann wurde mir allerdings gleich erklärt, dass Wikipedia-Artikel aus ganzen Sätzen bestehen. Es hieß:  “Wir haben den Platz”.

Wie wurde daraus dann ein Hobby?

Das ging eher langsam. 2003 bis 2005 habe ich noch nicht viel beigetragen, erst 2006 ging es richtig los. Das war wahrscheinlich sogar mein aktivstes Jahr. Ich begann, letzte Änderungen zu kontrollieren, Neulinge einzuführen und Vandalen zu jagen und bin dann im November zum Admin gewählt worden. Seitdem bin ich dauerhaft in den Wikimedia-Projekten aktiv.

Wie wurde aus dem Allein-zu-Hause-vorm-Computer-Hocken und Sich-für-Freies-Wissen-Begeistern eine aktive Rolle in der Community?

Es fing an mit Wikipedia-Stammtischen. Ich erinnere mich an den ersten Wikipedianer, den ich damals bei einem Stammtisch in Krefeld kennenlernte (abgesehen von Henriette Fiebig, einer bekannten Wikipedianerin, die ich noch von der Uni kannte). Der sah schon ein bisschen nerdig aus und ich habe sofort gedacht, das muss er sein, der passt hier nicht rein. Das ist kein Krefelder, der seine Abende in einer Braustube verbringt, sondern einer der Nerds, mit denen ich mich verabredet habe. Über die ersten Bekanntschaften bei Stammtischen wurde ich mir der Existenz des Vereins bewusst, der damals erst einen einzigen Angestellten hatte. Auf meiner dritten Mitgliederversammlung habe ich dann fürs Präsidium kandidiert.

Was hat dich dazu bewogen?

Tatsächlich nicht mehr nur allein vorm Computer zu sitzen. Als Programmierer im Schwarzwald war ich damals glücklich mal unter Menschen zu sein, die sich für dieselbe Sache interessierten.

Was interessiert dich an dieser Community?

Die diesjährige Berlinale-Preisträgerin Idina Pintilie, fotografiert von Harald Krichel. Harald Krichel, Adina Pintilie-9078, CC BY-SA 4.0

Als Teil der Community möchte ich das Projekt voranbringen. Das Spannende an den Wikimedia-Projekten ist, dass sich hier auch Menschen engagieren (können), denen sonst verschiedenste Barrieren die Teilhabe erschweren, sei es Schüchternheit oder physische Einschränkungen. Die internetbasierte Zusammenarbeit bringt natürlich neue Hürden mit sich; die Wikimedia-Community ist bekannt für ihre Streitlust. Ich selbst versuche, damit konstruktiv und mit Humor umzugehen, uns allen geht es schließlich um die gemeinsame Sache: dieses Nachschlagewerk zu schaffen, das man jederzeit und überall in der Tasche hat. Ich habe auch vor Wikipedia schon Lexika gesammelt und Brockhäuser gehandelt. Jetzt das Wissen der Welt auf dem Smartphone zu haben, ist ein riesiger Fortschritt.

Vor ein paar Tagen musste ich lachen, als ein Jungwikipedianer ein Foto von einigen der ersten Smartphones postete. Da war ein Sony von 2005 dabei, so antik wie das heute anmuten mag, konnte man damals dennoch schon auf unter 2 Zoll die letzten Änderungen an Wikipedia-Artikeln durchgehen und sehen, wenn jemand vandaliert hat.

Harald Krichel, Idris Elba-4822, CC BY-SA 4.0

Heute fühlen sich viele Neu-Wikipedianerinnen und -Wikipedianer überfordert von der riesigen Anzahl ausführlicher Artikel und wissen nicht so recht, welche Lücken sie noch füllen können. Was empfiehlst du als „alter Hase” interessierten Neulingen?

Als Community müssen wir unbedingt kommunizieren, dass es zahlreiche einfache Möglichkeiten gibt, sich für die Projekte zu engagieren, und dass die Wikipedia von der aktiven Beteiligung lebt. Das ist das Gute an Fotos; sie sind niedrig hängende Früchte. Ich schieße heute bei der Berlinale ein Foto von einer aufstrebenden polnischen Regisseurin und in zwei Wochen ist es bereits das meistgesehene Foto von ihr. Das ist ein toller Anreiz.

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