Panoramafreiheit ist einerseits schnell erklärt, andererseits alles andere als eine Selbstverständlichkeit in Europa. Das Grundkonzept sieht eine Einschränkung des strikten urheberrechtlichen Schutzes bei Werken vor, wenn diese sich permanent im öffentlichen Raum befinden. Das betrifft natürlich zu allererst Gebäude, die als Werke der Architektur üblicherweise (außer bei simpelsten Gebrauchsbauten) urheberrechtlich geschützt sind, und daneben auch öffentlich auf-/ausgestellte Kunst wie Skulpturen oder Gemälde an Fassaden. Die Einschränkung besagt, dass man Werke, die fest zum öffentlichen Raum gehören, fotografisch vervielfältigen und verbreiten darf, sprich, dass man Fotos mit ihnen drauf machen und auch veröffentlichen darf.
Bei den Details aber wird es schon sehr schwierig. In manchen Ländern sind die Regeln, wann etwas als “permanent” im öffentlichen Raum installiert gilt, sehr unklar. In manchen Ländern ist nur eine nicht-kommerzielle Vervielfältigung bzw. Veröffentlichung erlaubt, wieder andere unterscheiden nach öffentlichen Straßen und Plätzen und öffentlich zugänglichen Innenräumen. Und mitunter gibt es gar keine Panoramafreiheit in einem Land oder sie wird durch konkurrierende Regelungen faktisch neutralisiert, etwa bei Ländern mit Antikengesetzen, die eine staatliche Erlaubnis fordern, bevor man Fotos von antiken Stätten veröffentlichen darf. Eine gute Übersicht dazu bietet diese Grafik von Chumwa, durch die auch deutlich wird, wie dringend eine Harmonisierung notwendig wäre, um die Komplexität zu senken.
Die so weit auseinander gehenden rechtlichen Feinheiten treffen vor allem Projekte wie die Wikipedia, weil jedes dort bzw. auf Wikimedia Commons verfügbare Foto natürlich überall auf der Welt abrufbar, also definitiv keine Privatangelegenheit mehr ist (bei der in Sachen Panoramafreiheit alles nicht so eng gesehen wird), und weil es gemäß dem Grundverständnis der freien Enzyklopädie auch frei lizenziert zu sein hat. Wenn jedes Foto, das irgendein noch nicht gemeinfreies Gebäude oder Kunstwerk zeigt, nur mit einer Einzelerlaubnis (seitens einer Verwertungsgesellschaft oder einer Antikenbehörde) hochgeladen werden darf, dann funktioniert eine community-basierte Materialsammlung wie Wikimedia Commons ganz schlicht nicht mehr. Das liegt schon daran, dass die Freigabe unter CC-Lizenz weltweit, für alle Nutzungsarten und bis zum Ablauf der Schutzfrist gilt. Dafür eine Erlaubnis zu erwerben würde teuer, denn die Preise staffeln sich typischerweise nach Anzahl lizenzierter Nutzungsarten, Reichweite der Nutzung und Dauer. Bei allen dreien ist die Freigabe, wie sie auf Wikimedia Commons vorgesehen ist, am oberen Anschlag des Möglichen, fiele also in die höchste Preiskategorie.
Als prominentestes Negativbeispiel für mangelnde Panoramafreiheit muss meist Frankreich herhalten. Der Eiffelturm in Paris ist als architektonisches Werk zwar schon eine Weile gemeinfrei und Bilder davon dürfen deshalb ohne Lizenz verbreitet werden. Die nächtliche Lichtinstallation am Eiffelturm ist aber ziemlich neu, wird auch öfter mal verändert und ist für sich genommen keineswegs gemeinfrei. Daher darf man Nachtaufnahmen vom pariser Wahrzeichen eigentlich nur mit Lizenz der zuständigen Verwertungsgesellschaft veröffentlichen. In der Praxis wir da zwar nicht konsequent durchgegriffen, aber die Regeln sind trotzdem so strikt in Frankreich und hängen wie ein Damoklesschwert über allen, die sich nicht dran halten. In Deutschland gibt es deutlich liberalere Regeln zur Panoramafreiheit, aber auch hier bei uns sind nur solche Aufnahmen von dieser Freiheit erfasst, die man von ebener Straße aus ohne Aufstiegshilfen gemacht hat (siehe z.B. Hundertwasserentscheidung des BGH). Fotos, die von einer Leiter aus gemacht wurden, sind daher ebenso “unverbreitbar” wie Luftbilder von Drohnen aus und dergleichen. Und überhaupt sind Innenräume nach dem deutschen Recht von der Panoramafreiheit ausgenommen, selbst wenn es sich um öffentliche und öffentlich zugängliche Gebäude wie Regierungsbauten oder Museen handelt.
So besteht also ein wahrer Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen in Europa, den WMDE auch schonmal hat untersuchen lassen. Umso besser ist es da, dass die EU-Kommissare Ansip und Oettinger die Panoramafreiheit als eines der wenigen Themen entdeckt haben, die sie noch in dieser Legislaturperiode zur Reformierung und Vereinheitlichung vorschlagen können, ohne ganz sicher zu scheitern (wie es bei manch anderem urheberrechtlichen Streitpunkt vorprogrammiert wäre) und ohne ihr Gesicht dadurch zu verlieren, dass sie trotz großer Ankündigung am Ende gar keine Reform anstoßen. Da aber eben derzeit so viele verschiedenen Regeln in Europa existieren, könnte es bei der Harmonisierung – auch je nach Ergebnis der jetzigen Konsultation – am Ende auf eine “Harmonisierung nach unten”, orientiert an den restriktivsten bestehenden Regimen geben. So ein kleinster gemeinsamer Nenner würde für Länder wie Deutschland eine rechtliche Verschärfung bedeuten, etwa in Form einer “Freiheit” nur noch für nicht-kommerzielle Nutzungen, und wäre für die Europa betreffenden Teile der Wikipedia und die Freiwilligen damit eine große Belastung. Also muss man das der EU-Kommission oft und deutlich sagen. Deshalb …
Noch bis Mitte Juni läuft nun die öffentliche Konsultation zur Panoramafreiheit und wir rufen alle auf, dort eine Antwort einzureichen. Das ist gar nicht schwierig und es gibt dazu bereits von den Wikimedians in Brüssel eine Hilfestellung mit Antwortvorschlägen. Auch die Initiative C4C hat unter http://youcan.fixcopyright.eu ein Tool zur Beantwortung bereitgestellt.
Das Ziel ist klar: Das Wikiversum braucht dringend liberale und einheitliche Panoramafreiheitsregeln in ganz Europa.
@Marcus: Darum ist ja auch die Hilfe unter youcan.fixcopyright.eu auf Deutsch.
@Meinhardt: Für die WP besteht die Beschlusslage, dass die Inhalte CC BY oder CC BY-SA freigegeben sein müssen, was kommerzielle Nachnutzungen erlaubt und was ein Uploader folglich nicht mehr tun kann, wenn er selbst seine Panoramen nur nicht-kommerziell nutzen darf.
> So ein kleinster gemeinsamer Nenner würde für Länder wie Deutschland eine rechtliche Verschärfung bedeuten, etwa in Form einer „Freiheit“ nur noch für nicht-kommerzielle Nutzungen, und wäre für die Europa betreffenden Teile der Wikipedia und die Freiwilligen damit eine große Belastung.
Wieso? Ist Wikipedia nicht Nicht-kommerziell?
Eine der Amtssprachen in der EU ist Deutsch. Nicht jeder kann Englisch. Also muß es doch auch möglich sein, sich zu äussern ohne Beamten- und Rechtenglisch zu können. Ansonsten ist das alles nutzlos.