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Reflexionen zu Wikipedia und Hochschule

WMDE allgemein

15. März 2013

Gastbeitrag von Teilnehmenden des Hochschulprogramms an der Universität Bremen im Wintersemester 2012/2013

 

Liebe Wikimedia Foundation,

im Rahmen des Hochschulprogramms haben wir, Studentinnen und Studenten der Universität Bremen, an einem sozialwissenschaftlich-didaktikschen Seminar zur Anwendung und zur Mitarbeit in der Wikipedia teilgenommen.

Gelernt haben wir dabei:

  • Wie die Wikipedia strukturiert ist und wie sich die Wikimedia zusammensetzt und agiert (vielen Dank dabei nochmals an den Wikipedia-Referenten)
  • Wie man einen Wikipedia Artikel verfasst und editiert, ebenso woran man gute Artikel erkennt und wie man verbesserungswürdige Artikel ergänzen kann.
  • Wer in der Wikipedia aus welchen Gründen Artikel verfasst.
  • Welche Vor- und Nachteile die Wikipedia für den persönlichen Einsatz und den Einsatz in der Schule bieten.

Besonders bemerkenswert war dabei:

  • Der Einblick in die Wikipediastruktur durch den Wikipedia-Referenten
  • Die Motivation der Autoren Artikel aus freien Stücken zur Wissensvermittlung zu verfassen, ohne jede Gegenleistung.
  • Vielschichtiger Aufbau der Wikipedia und transparente Kontrollinstanzen hat die vormals kritische Sicht auf die wissenschaftliche Qualität der Wikipedia geringfügig verbessert.
  • Wie einfach es eigentlich ist, einen Artikel zu verfassen.

Foto: Itzuvit, cc-by-sa 3.0 unported

Zur Frage, ob sich unser Nutzungsverhalten geändert hat, gibt es jedoch differenzierte Meinungen. Manche sagen, dass sie mehr Mut zur Verbesserung kleinerer Fehler haben, Artikel aufmerksamer in Bezug auf die Qualität lesen. Andere sagen, dass sich ihr Nutzungsverhalten in Wikipedia selbst nicht geändert hat. Dennoch ist der Entstehungsprozess eines Artikels (Wissens) interessant nachzuverfolgen. Der Background, den wir über Wikipedia erfahren haben, hat somit keinen bis geringen Einfluss auf das bestehende und aktuelle Nutzungsverhalten.

 

Wikipedia zur Erkundung des digitalen Raums im Unterricht nutzen

Es lohnt sich, über Formen digitalen Lernens nachzudenken. Wikipedia könnte einen Startpunkt zur Erkundung des digitalen Raums im Unterricht darstellen, da Schüler_innen bereits durch Rechercheaufträge vertraut damit sind. Ein bewusster und kritischer Umgang mit lebensweltlich und im Schulalltag relevanten Recherche-/Informationstools ist ein wichtiges Ziel (Wikipedia als Medium, Tool, vergleichbar mit Quellenkritischer Analyse aus dem Geschichtsunterricht). Aus einer Perspektive der Didaktik der Sozialwissenschaften kann Wikipedia dabei als Beispiel für die Untersuchung eines digitalen sozialen Raums dienen (Governance im Netz, Veränderung von Öffentlichkeit) und somit selbst zum Gegenstand des Unterrichts werden.

Hierbei zeigen sich mitunter noch Spannungsverhältnisse zwischen einem neuem digital orientierten Lernverständnis und den bisherigen schulischen Lernstrukturen. Dies gilt unter anderem für die Zitierfähigkeit der Wikipedia Artikel aber auch im Allgemeinen für ein  modernes Lernverständnis, welches forschendes Lernen und ein offenes Lernergebnis in den Fokus stellt.

Das Hochschulprogramm der Wikipedia nutzt der Universität insofern, dass der Hintergrund sowie Funktionen der freien Wissensverarbeitung aufgezeigt wird. Interessant könnte die Beteiligung des Fachbereichs der Informatik sein, da dieser vor allem die technischen Gegebenheiten genauer in der Sinnhaftigkeit hin untersucht werden kann (Welche Funktionen könnte WP noch haben? Wie kann die Erweiterung von Funktionen zur Verbreitung von Freiem Wissen beitragen?).

Wir haben folgende Anknüpfungspunkte zur Politischen Bildung entdeckt:

  • die Stellung von Wikipedia in ihrer Rolle innerhalb der öffentlichen Meinungsbildung
  • freies Wissen

 

Wikipedia im Politikunterricht

In einer Diskussion haben wir über konkrete Anwendungsszenarien von Wikipedia im Politikunterricht gesprochen. Es ist dabei folgende beispielhafte Skizze für ein Unterrichtsprojekt entstanden:

Wikipedia und Wahlkampf

Stichwörter: Wikipedia als Medium und Gegenstand, Online-Wahlkampf, Regeln und

Governance innerhalb der Wikipedia

  • Einstieg: Vergleich einer Kandidatenwebseite und eines Wikipedia-Eintrags zur entsprechenden Politiker_in (Bilder, inhaltl. Darstellung, sonstige Aufmachung)           → Wikipedia ist um einen neutralen Standpunkt bemüht, unabhängige Informationsmöglichkeit (→ wichtig für Wahlen)
  • Fall: Manipulation des Wikipedia-Artikel “Christian Lindner” von einem Landtagsbüro

    aus: Lektüre des entsprechenden Zeitungsartikels, worin liegt der Skandal?

  • Vertiefung: Wikipedia-interne Governance: Wie versucht Wikipedia die Qualität der

    Seiten zu gewährleisten? (Review-Mechanismus; Vereinbarungen zu Neutralem

    Standpunkt, Relevanz; Versionsgeschichten) → Wikipedia als Bsp. für Verregelung/Governance im digitalen Raum

  • Zusammenspiel der Medien als Korrektiv: Journalismus thematisiert Lindner-Fall in anderen Medien

Wikipedia in autoritären Staaten

Einschränkung von Netzfreiheit durch staatliche Bürokratien (Bsp. China), Rolle der Wikipedia als unabhängiger Informationslieferant für die Zivilgesellschaft

 

Offene Fragen

Wir stellten uns die Frage, ob es sinnvoll sei, diesen oder ähnliche Kurse häufiger anzubieten und warum? (Alternative Themenvorschläge? Was sollte anders sein/gleich bleiben?)

Wir kamen zu dem Ergebnis, dass Seminare dieser Art eine größere Varianz an Ansätzen für das Digitale Lernen thematisieren sollten (vgl. PB21). Es könnte sich eine stärkere Zentrierung auf verschiedene Wissenschaftsbereiche (bspw. Informatik, Erziehungswissenschaften) anbieten, um verschiedene Schwerpunkte im Umgang mit Wikipedia zu setzen. Da wir zu keinen konkreten Ergebnissen kommen konnten, was die universale Antwort zur Nutzungsmöglichkeit der Wikipedia ist, müssten noch genauere Anwendungsvorschlägen für den Unterricht ausgearbeitet werden, insbesondere solche, die Wikipedia als Gegenstand betrachten. Man könnte kontrastierend betrachten, wie andere Webseiten verwaltet werden und wie andere Organisationen/Unternehmen im Netz funktionieren (Google, Facebook, etc.).

Eine vertiefende Analyse zu einzelnen Wissenschaftsbereichen sollte aufgestellt werden, z.B. die Rolle von Wikipedia aus sozialwissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher Sicht (welche Angebote werden von wem auf welche Art und Weise hergestellt: Wikipedia als Produktionsort eines Kollektivguts). Uns fehlte ein Einblick in wikipediainterne Diskussionen/Konfliktlinien.

Beim Editieren stellten wir uns die Frage ob die Bedienoberfläche mit HTML geschrieben werden muss, wenn Optionen wie eine einfache Word-Oberfläche einfacher wären.

Wir hoffen, dass diese Anmerkungen Ihnen und kommenden Studenten bei der Organisation solcher Seminare helfen werden. Wir sind jedenfalls froh, dass wir ein solches Angebot wahrnehmen konnten.

Mit freundlichen Grüßen

die Studierenden

Kommentare

  1. Marcus Cyron
    19. März 2013 um 03:16 Uhr

    “Gelernt haben wir dabei:

    Wer in der Wikipedia aus welchen Gründen Artikel verfasst.”

    ich möchte hier einschränkend sagen, warum manche Mitarbeiter aus ihren Gründen das tun. Bei Vielen wissen wir es nicht, können natürlich vermuten. Aber die Gründe sind sicher sehr vielfältig. Und die Meisten haben ja auch nicht “den einen Grund”, es ist eine Ansammlung von vielen Gründen.

    Übrigens bekommt man durchaus Gegenleistungen wenn man Artikel schreibt, aber die sind eben nicht “Geldwert” und darum leider in unserer Gesellschaft etwas am Rande. Aber Anerkennung etwa ist schon eine Gegenleistung, auch die Vertiefung meines eigenen Wissens oder zu wissen, daß ich “gelesen werde”.

    Ansonsten kann ich nur empfehlen, wenn diese Beschäftigung mit Wikipedia noch weiter an Universitäten Verbreitung findet. Gar nicht einmal wegen Wikipedia, sondern etwa weil man hier das schreiben einer weiteren Textform lernt. Und wieviele der Studenten können heute schon noch nach dem Studium eine akademische Hochschulkarriere einschlagen, bei der man die wissenschaftliche Art zu schreiben benötigt, die man auf der Universität lernte.

  2. Sonja Borski
    18. März 2013 um 16:45 Uhr

    Hallo Alice,

    als Dozentin des Kurses an der Uni Bremen fühle ich mich von deinem Kommentar angesprochen. Schön, dass du neugierig geworden bist. Ich habe dem Team “Bildung und Wissen” meine Eindrücke geschrieben. Wenn du Lust hast, kannst du sicher Cornelia Trefflich fragen, ob sie Teile daraus veröffentlichen möchte oder du ihn ganz lesen kannst.
    Ich fand die Beschäftigung mit Wikipedia sehr lohnenswert. Die Lehrveranstaltung richtete sich an Lehramtsstudierende und deutlich geworden, dass es notwendig ist, ein differenziertes Bild von den Möglichkeiten zu zeichnen, die WP im Unterricht bietet. Im Beitrag der Studierenden klingt es ja schon an, dass es spannend ist, sich vermittelt durch die Beschäftigung mit WP auch auf Themen wie “freies Wissen”; WP als (indirektes) Meinungsmedium usw. einzulassen und zu sehen, wie weit das auf Politik-, Geschichts- und Geografieunterricht zu übertragen ist. Aus Sicht der eben genannten Fächer ist WP eben weit mehr als eine Online-Enzyklopädie: das Projekt als Ganzes ist im Kontext der Veränderung der Gesellschaft durch die Digitalisierung auch (wenn auch nicht nur) ein politisches. Die Arbeit an Unterrichtsinhalten, die diese Dimension stärker hervorheben, geht auf jeden Fall weiter.
    Herzlichen Gruß
    Sonja

  3. Alice Wiegand
    16. März 2013 um 22:55 Uhr

    Liebe Teilnehmende des Hochschulprogramms der Universität Bremen, vielen Dank für den Rückblick und die Anregungen, die sicher von den Verantwortlichen aufgegriffen werden. Ich bin durch euch als Kuratoriumsmitglied der Wikimedia Foundation zwar angesprochen, gebe den Stab aber weiter an die Macher des Hochschulprogramms hier in Deutschland, die beim Verein Wikimedia Deutschland e.V. angesiedelt sind und von engagierten Freiwilligen unterstützt werden. Die Wikimedia Foundation selbst betreibt zwar auch ein Hochschulprogramm, das aber, wie ich eurem Bericht entnehme, etwas anders ausgerichtet ist. Näheres dazu findet ihr auf http://outreach.wikimedia.org/wiki/Wikipedia_Education_Program

    Die Zusammenarbeit mit der Universität Bremen wurde im letzten Jahr einmal hier im Blog angerissen, nähere Informationen gab es bislang nicht. Dies ist, soweit ich mich erinnern kann, auch die erste direkte öffentliche Rückmeldung von Teilnehmern solcher Veranstaltungen überhaupt. Und das weckt die Neugier auf die andere Sicht, die der Veranstalter oder des Dozenten. Ich fände es sehr schön, von beiden Seiten etwas zu hören und das Bild runder zu bekommen. Ist da was geplant?

    Grüße, Alice.

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