

Patrick Wildermann
19. Juni 2025
Jüngst fand die 50. Ausgabe des Erfolgsformats GLAM digital statt. Anlass für ein Gespräch mit Holger Plickert, Referent für Kultur- und Gedächtnisinstitutionen bei Wikimedia Deutschland und Miterfinder der Veranstaltung.
Holger, was ist das Besondere an GLAM digital?
Holger Plickert: Auf beiden Seiten – bei den Ehrenamtlichen und bei den Institutionen – werben die GLAM digital-Veranstaltungen für mehr Vertrauen und Verständnis füreinander, das ist nicht hoch genug zu einzuschätzen und schafft die Voraussetzung für Offenheit auf beiden Seiten. Wenn in der Folge einer unserer Veranstaltungen neue Wikipedia-Artikel entstehen, oder bereits existierende ergänzt, verbessert und aktualisiert werden, ist das umso schöner…
Welche Artikel sind beispielsweise im Zuge von GLAM digital entstanden?
Im vergangenen Jahr hatten wir zum Beispiel den Themenschwerpunkt „Wiki Loves Demokratie“, der großen Zuspruch fand. Darüber sind viele Artikel aus dem Kontext Demokratie und Parlamentarismus hinzugekommen, der Text zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold – ein Verband zum Schutz der Demokratie in der Weimarer Republik – wurde deutlich aufgewertet und aktualisiert. Über verschiedene Veranstaltungen, die wir mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel gemacht haben, haben viele Frauenbiografien Eingang in die Wikipedia gefunden. Man sieht auf jeden Fall, dass GLAM digital etwas bewegt.
Wie kam die Idee zu dem Format überhaupt auf?
GLAM digital ist ein Kind der Corona-Pandemie. Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, trotz Lockdowns und Kontaktbeschränkungen sowohl mit den Kultur- und Gedächtnisinstitutionen, als auch mit der Wikimedia-Community im Austausch zu bleiben. Die Idee war, unsere bereits erprobten und bekannten Veranstaltungsformate ins Digitale zu übertragen – was den Nerv der Zeit traf, denn auch die Museen fingen an, mit virtuellen Rundgängen oder digitalen Führungen zu experimentieren. Konkret bestand damals seitens der Ehrenamtlichen der Wunsch, sich die Ausstellung „Passion Leidenschaft. Die Kunst der großen Gefühle“ am LWL Museum in Münster anzusehen. Statt einer Wikipedianischen KulTour vor Ort haben wir diese Veranstaltung also digital angeboten. Das war die Geburtsstunde des Formats – mit allen technischen Pannen und Widrigkeiten, die es anfangs natürlich gab. GLAM digital war für uns alle Neuland.

Habt ihr gleich beschlossen, das Format zu verstetigen?
Anfangs dachten wir noch, wir würden nach der Pandemie zum gewohnten Prozedere zurückkehren. Wir haben aber schnell festgestellt, dass das digitale Format einen Gewinn bedeutet, weil es mehr Menschen aus der deutschsprachigen Wikimedia-Community den Kontakt mit Institutionen ermöglicht: eine Person aus der Schweiz, die sich zum Beispiel für das Berliner Technikmuseum interessiert, kann sich online schon mal einen Eindruck verschaffen. Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von Wikimedia Österreich und Wikimedia CH haben wir entsprechend beschlossen, die Veranstaltung zu verstetigen und einen Wiedererkennungswert zu schaffen, indem wir dem Kind einen Namen geben. So kamen wir auf GLAM digital als monatliches Format. Inzwischen können wir auf die 50. Ausgabe zurückblicken, die im Mai 2025 mit dem Brenner-Archiv in Österreich stattfand. Wir versuchen, unsere GLAM-Arbeit in Gänze abzubilden, also alle Buchstaben vorkommen zu lassen: Gallerys, Librarys, Archives & Museums.
Sind die Kultureinrichtungen generell offen für das Format?
Auf Seiten der Institutionen hat es in den vergangenen Jahren einen großen Schub gegeben, sowohl, was die technischen Möglichkeiten, Kapazitäten und die Akzeptanz betrifft, als auch hinsichtlich des Mindsets. Immer häufiger fragen uns Einrichtungen an, weil sie von GLAM digital gehört haben. Aber wir setzen natürlich auch selbst Themen, wie im vergangenen Jahr mit unserem Schwerpunkt zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich oder der schon erwähnten Reihe „Wiki Loves Demokratie“ – beides haben wir auch mit dem Format GLAM digital abgedeckt. Online waren wir in der Hamburger Kunsthalle in der Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“, das Thema Demokratie haben wir zum Beispiel in Veranstaltungen mit den Wissenschaftlichen Diensten des deutschen Bundestages oder dem August Bebel Institut bespielt.
Was waren für Dich Highlights unter den 50 GLAM-digital-Veranstaltungen?
Ein Highlight ist generell, dass wir nach wie vor so viele Ehrenamtliche für die Veranstaltungen begeistern können – für sie machen wir diese Angebote schließlich. Wenn wir im Schnitt 20 bis 30 oder in der Spitze sogar 50 Teilnehmende haben, zeigt uns das: es interessiert die Community. Aber natürlich sind mir auch viele Veranstaltungen positiv im Gedächtnis geblieben…
Zum Beispiel?
Ein absolutes Highlight – auch weil es relativ am Anfang stand – war eine GLAM-digital-Ausgabe mit dem Museum Barberini in Potsdam. Wir hatten einen hervorragenden Kurator als Vortragenden und weit über 50 Teilnehmende, die Zahl ist bis heute unübertroffen. Nicht zuletzt ist daraus eine langfristige Kooperation mit dem Museum Barberini entstanden. Auch das bereits erwähnte Demokratie-Thema im vergangenen Jahr war ein Highlight, weil wir damit viele Menschen erreichen und gewinnen konnten, die vorher noch nie bei GLAM digital mitgemacht haben. Manchmal erweisen sich Themen aber auch ganz überraschend als Highlight. Wir hatten mal eine Veranstaltung, die von Wikimedia Österreich gehostet wurde, bei der es um die Kulturhistorie von Haushaltsgeräten wie der Waschmaschine ging – klingt erstmal nicht nach einem Krimi, war aber faszinierend. Nicht zuletzt, weil der Vertreter des Technischen Museums Wien so für sein Thema brannte und es mitreißend vermitteln konnte.

Folgen die GLAM-digital-Stationen einem klassischen Ablauf?
Ja. Es ist ein zweistündiges Format, das aus zwei Teilen besteht. Zu Beginn gibt es einen Input von Seiten der Institution, die sich vorstellt und mit einem Fachvortrag in das Thema einführt. In diesem Zusammenhang hatten wir 2024 übrigens auch schon ein Jubiläum: 100 Gastvortragende bei GLAM digital. Nach einer kurzen Pause gibt es dann einen dialogischen Teil, der dem offenen Austausch dient: Wie können wir weiter am jeweiligen Thema arbeiten? Was wichtig ist: Wir bitten die Institutionen im Vorfeld immer, sich die Wissensbereiche, die sie vertreten, in der Wikipedia anzuschauen und uns Empfehlungen und Hinweise zu geben, wo Artikel verbessert werden können, wo es vielleicht einen aktuellen Forschungsstand gibt, der so noch nicht abgebildet ist. Das ist auch für die Ehrenamtlichen sehr hilfreich und willkommen. Obwohl wir oft von den Institutionen hören: die Artikel sind schon so gut, die empfehlen wir selbst weiter.
An wen richtet sich GLAM digital?
An Menschen, die Interesse an den Wikimedia-Projekten haben und im besten Fall schon in der Wikipedia unterwegs sind. Und es richtet sich an Menschen in Kultur- und Gedächtnisinstitutionen, die ihrer Einrichtung in unseren Projekten zu mehr Sichtbarkeit verhelfen wollen, die ihre Institution vorstellen, aber auch niederschwellig in den Kontakt mit der Community treten wollen. Wir schaffen einen geschützten Online-Raum und Rahmen, in dem es wirklich möglich ist, sich zu begegnen.
Wie kann man mitmachen?
Man kann sich in der Wikipedia auf eine Mailingliste setzen lassen. Wer sich dort registriert hat, bekommt immer die neuesten Informationen und Einladungen zugeschickt. Ganz unkompliziert. Und wir achten während der Veranstaltungen darauf, dass alle mitwirken können, also alle inhaltlichen Fragen oder Anliegen eingebracht werden können.. Das ist einer der Gründe, weswegen GLAM digital in der Community so gut angenommen wird.
Was ist GLAM?
GLAM steht für Galleries, Libraries, Archives, Museums. Das Ziel der GLAM-Projekte ist es, das gesammelte Wissen dieser Institutionen mithilfe der Wikimedia-Projekte allen frei zugänglich zu machen. GLAM digital ist eine Veranstaltungsreihe von Videokonferenzen mit ausgewählten Kultur- und Gedächtnisinstitutionen. Die üblicherweise zweistündigen Einzelveranstaltungen bestehen aus einem Fachvortrag der Institution zu einem bestimmten Thema. Anschließend treten die Wikipedia-Community und die Institutionen in den Dialog. Die Reihe wird gemeinsam von Wikimedia Deutschland und Wikimedia Österreich koordiniert und unterstützt.
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