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Digitales Ehrenamt

Was sich im Gemeinnützigkeitsrecht ändern muss

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Reformierung des Gemeinnützigkeitsrechts angekündigt. Das weckte Optimismus bei ehrenamtlich tätigen Personen und Organisationen, die immer wieder um den Status der Gemeinnützigkeit füchten – oder denen er bisher nicht zuerkannt wurde. Der aktuelle Entwurf für das Jahressteuergesetz zeigt nun: Die angekündigte Reform ist maximal halbherzig. Wer ist betroffen?

Franziska Kelch

15. Juli 2024

In Deutschland engagieren sich tausende Menschen ehrenamtlich für Demokratie und politische Bildung, betreiben gemeinnützigen Journalismus oder entwickeln und pflegen Freie bzw. Open Source Software. Und doch sind diese Zwecke bislang nicht oder nicht explizit Teil des Katalogs gemeinnütziger und damit steuerbegünstigter Zwecke. Oder die Organisationen müssen, wie im Fall des Engagements für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus, darauf hoffen, dass Finanzämter unklare Formulierungen in der Abgabenordnung zu ihren Gunsten auslegen. Das schafft keine Rechtssicherheit.

Die Abgabenordnung, oder genauer gesagt der Paragraph 52, regelt, welche Tätigkeiten von den Finanzämtern als gemeinnützig eingestuft werden und damit steuerbegünstigt sind. Dazu gehören etwa die Förderung des Tierschutzes, des Sports, der Kunst und Kultur oder Wissenschaft und Forschung. Auch die Förderung des demokratischen Staatswesens ist unter bestimmten Bedingungen gemeinnützig. Insgesamt 26 Zwecke sind gelistet. Aber die Abgabenordnung ist lückenhaft und veraltet. Das zeigen immer wieder Fälle, in denen Vereinen, die dem Gemeinwohl dienen, die Gemeinnützigkeit entzogen wird.

In einem eigenen Positionspapier und in einem offenen Brief mit der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung  machen wir konkrete Vorschläge für notwendige Ergänzungen und Änderungen in der Abgabenordnung.

Wer fällt durch die Lücken in der Abgabenordnung und was muss sich ändern?

Engagement für ein besseres Internet unterstützen

Mastodon ist ein dezentrales, nicht-kommerzielles und von Communitys selbst verwaltetes Kommunikationsnetzwerk. Darüber, welche Inhalte Nutzende sehen entscheidet kein Algorithmus. Besonders polarisierende oder schockierende Inhalte werden nicht bevorzugt, um Nutzende im Netzwerk zu halten. Mastodon ist einer der wenigen Gegenspieler zu den toxischen Social Media Plattformen der Tech-Giganten. Mastodon wurde als Freie Software entwickelt und die Pflege sowie der Betrieb der Server werden fast ausschließlich spendenfinanziert. Das Mastodon auf Freier Software basiert, bedeutet zudem: Sie kann nicht von Unternehmen privatisiert werden. Jede und jeder kann Freie Software für eine eigene Anwendung nutzt und diese auch weiterentwickelt – muss die Resultate oder Verbesserungen dann auch frei zur Verfügung stellen. Daher sollten Freie Software-Projekte in der Abgabenordnung explizit als gemeinnützig gelistet werden. Die Bundesregierung behauptet, die Anerkennung als gemeinnützig werde durch die Zwecke der Förderung der Wissenschaft oder der Bildung bereits abgedeckt. Eine explizite Aufnahme in die Abgabenordnung sei daher nicht notwendig. Dass das nicht stimmt, zeigt die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Mastodon 2024.

Wir fordern daher in unserem Positionspapier, dass auch die Entwicklung gemeinwohlorientierter und freier Software, Plattformen oder Apps als gemeinnützig gilt. Ergänzend könnte auch der Unterhalt und Betrieb dieser Netzwerke in die Auflistung der Zweckbetriebe in § 68 AO aufgenommen werden. Der Begriff Zweckbetrieb meint die wirtschaftlichen Unternehmungen eines gemeinnützigen Vereins, mit denen er seinen nicht-wirtschaftlichen Vereinszwecke fördert. Dazu gehören beispielsweise Altenpflege, Kinder- und Jugendarbeit oder Inklusionsarbeit.

Erst eine explizite Aufnahme von Open Source Entwicklung und Pflege als gemeinnütziger Zweck in die Abgabenordnung schafft die notwendige Rechtssicherheit. Politikschaffende können nicht einerseits – und völlig zurecht – die Tech-Giganten kritisieren und dann keine Anstrengungen unternehmen, um die Menschen zu fördern, die sich für ein besseres Internet engagieren.

Wer sich auf der ursprünglichen, Mastodon-eigenen Instanz ein Profil zulegt, wird ersteinmal freundlich begrüßt. Auch auf Mastodon herrscht nicht immer eitel Sonenschein, aber der Tonfall und Umgang sind nicht zu vergleichen mit dem oft hasserfüllten und diskriminierenden Verhalten von Nutzenden auf Plattformen wie X/Twitter. Grafik: Mastodon gGmbH, Mastodon Welcome, CC BY-SA 4.0

Journalismus geht auch gemeinnützig – wenn er denn anerkannt wird

2014 als Blog gegründet, betreibt Volksverpetzer seit nunmehr zehn Jahren spendenfinanzierten Journalismus. Das Portal hat sich darauf spezialisiert, Desinformation und Falschmeldungen aufzudecken. Es ist einer der Vorreiter der mittlerweile zahlreichen journalistischen Faktencheck-Angebote im Netz. Die Inhalte des Blogs sind kostenfrei verfügbar, zahlreiche „Mitarbeitende“ recherchieren, schreiben und redigieren ehrenamtlich für den Blog. 2019 hatte das Finanzamt anerkannt, dass der Blog sich mit seinem Engagement gegen Desinformationen und allerlei Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit für die „internationale Gesinnung“ einsetzt. Unter Nummer 13 ist dies als gemeinnütziger Zweck in der Abgabenordnung gelistet. 2021 wurde die Gemeinnützigkeit bestätigt. In diesem Jahr wurde dem Volksverpetzer dann die Gemeinnützigkeit entzogen. An den Inhalten des Blogs hatte sich nichts geändert. Auch die Finanzierung über Spenden sowie der kostenfreie Zugang zu den Inhalten sind weiterhin gegeben.

Die Ampel-Koalition hat die Aufnahme gemeinwohlorientierten Journalismus in die Liste der steuerbegünstigten Zwecke im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir halten es für relevant, dieses Ziel gesetzlich zu regeln und schlagen den freien und nicht mit Bezahlhürden verbundenen Zugang zu den Inhalten als ein Kriterium vor.

Politische Bildung muss rechtssicher möglich sein

Das Demokratische Zentrum Ludwigsburg veranstaltet seit 1980 Lesungen, Kabarettabende und Konzerte, bietet Workshops zur politischen Bildung an und engagiert sich gegen Rassismus, Homophobie und andere menschenfeindliche Einstellungen. Es fördert also gleichzeitig die Kultur und das demokratische Staatswesen – zwei Zwecke aus der Abgabenordnung. 2019 wurde dem Zentrum die Gemeinnützigkeit entzogen. Es hatte sich geweigert, Rechtsextreme zu seinen politischen Bildungsveranstaltungen zuzulassen. Das Finanzamt sah darin eine Verletzung des Prinzips der „geistigen Offenheit“. Mehr über den dreijährigen Rechtsstreit, an dessen Ende das Zentrum die Gemeinnützigkeit zurück erhielt, erfahren Sie hier. Das Problem: Eine restriktive Auslegung des Prinzips der „geistigen Offenheit“ führt dazu, dass in der Erinnerungsarbeit und der politischen Bildung die Aufklärung über und Positionierung gegen rassistische, antisemitische oder anderweitig demokratiefeindliche Einstellungen zu einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen kann.

In einem offenen Brief der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung, den Wikimedia Deutschland unterstützt, haben wir Vorschläge gemacht, wie die Abgabenordnung zu verändern ist, damit gemeinnützige Vereine, die:

  • sich für ihre Vereinszwecke auch durch Äußerungen zu tagespolitischen Themen einsetzen,
  • an der politischen Willensbildung mitwirken oder
  • politische Bildung betreiben

dies auch tun können, ohne um den Status der Gemeinnützigkeit fürchten zu müssen.

In Paragraph 52 Absatz 2 Satz 2 unter Nummer 24 sollte der Zweck künftig lauten:

24. die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens einschließlich der demokratischen Teilhabe, insbesondere der politischen Bildung (im Geltungsbereich dieses Gesetzes;) hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder (die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind) die umfassende Unterstützung von einzelnen Parteien oder Wählergemeinschaften verfolgen; — Anmerkung: Gefettete Passagen sind neu in dem Satz, Passagen in Klammern sind alt und sollten gestrichen werden.

Zudem sollte der § 58 der Abgabenordnung um den Passus ergänzt werden: „Gemeinnützige Zwecke werden auch dann nach Absatz 1 Satz 1 verfolgt, wenn eine Körperschaft sie durch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung und der Bildung der öffentlichen Meinung fördert.“

Was sagt der aktuelle Entwurf?

Im Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz II wird lediglich § 58 der Abgabenordnung erweitert. Wenn der Entwurf Gesetz würde, hieße das, dass gelegentliche Stellungnahmen eines gemeinnützigen Vereines zu tagespolitischen Themen diesen Verein nicht mehr von der Gemeinnützigkeit ausschließen. Diese Ergänzung begrüßen wir, weil sie Rechtssicherheit schafft.  Sie fällt jedoch hinter die genannten Lösungsvorschläge und Forderungen aus der Zivilgesellschaft weit zurück. Finanzämter erhalten damit weiterhin keine ausreichend deutlichen Definitionsrahmen für gemeinnützige Zwecke. Auch weitere Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, wie die Anerkennung von gemeinnützigem Journalismus, sind im derzeitigen Referentenentwurf nicht realisiert worden.

Noch handelt es sich um einen Referentenentwurf. In einer Stellungnahme, die wir dem Bundesministerium der Finanzen haben zukommen lassen, appellieren wir an die Bundesregierung, diesen Entwurf im Verlauf der Verbändebeteiligung im Sinne der organisierten Zivilgesellschaft zu überarbeiten. Gemeinnützigkeit, wem Gemeinnützigkeit gebührt!

Kommentare

  1. Steffen
    16. Juli 2024 um 23:51 Uhr

    Ich denke, die inhaltlichen Änderungen sind nur eine Seite. Mindestens genauso wichtig finde ich eine strukturelle Änderung, dass die Gemeinnützigkeit nicht mehr nur vorläufig erteilt und dann für die vergangenen Jahre “geprüft” wird. Wenn für die letzten drei Jahre die Gemeinnützigkeit nachträglich aberkannt wird, sind die meisten Vereine schlicht ruiniert. Hier muss meines Erachtens eine Rechtssicherheit her, die zwar die Gemeinnützigkeit weiterhin regelmäßig prüft, aber nicht mehr auf die Vergangenheit, sondern nur noch auf die Zukunft wirkt.

    1. Franziska Kelch
      17. Juli 2024 um 13:03 Uhr

      Hallo Steffen und danke für diese Ergänzung. Das wäre mit Blick auf die Regularien, die für Vereinsfinanzen bzw. -vermögensbildung gelten sicherlich auch sinnvoll. Aus unserer Sicht wäre das von Ihnen erwähnte Problem aber auch dann gelöst, wenn in der Abgabenordnung bzw. durch ergänzende Ausführungsbestimmungen eindeutig geregelt ist, was gemeinnützige Zwecke sind – und diese auch den Veränderungen im Ehrenamt angepasst würden. Dann wäre sowohl für Ehrenamtliche als auch für die prüfenden Finanzämter klar, was denn nun als gemeinnütziger Zweck gilt.

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