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Verschlusssache Prüfung

Etappensieg mit Fragezeichen: Baden-Württemberg veröffentlicht alte Prüfungsaufgaben

Das Kultusministerium Baden-Württemberg hat angekündigt, ab diesem Jahr alte Prüfungsaufgaben frei und öffentlich zur Verfügung zu stellen. Das Ministerium setzt damit eine Forderung um, die wir mit der Kampagne „Verschlusssache Prüfung“ seit fünf Jahren erheben, damit alle Schüler*innen sich selbstständig auf Prüfungen vorbereiten können. Warum wir den Korken trotzdem noch in der Sektflasche lassen.

Franziska Kelch

2. Juli 2024

Der Südwestrundfunk (SWR) und Spiegel berichteten zunächst über die Neuigkeiten aus Stuttgart. Demzufolge plant man dort nun, zunächst Abituraufgaben aus Vorjahren und dann auch die alten Prüfungsaufgaben anderer Schulformen digital und frei zugänglich zu machen. Alle Schüler*innen können damit unkompliziert auf die Aufgaben zugreifen. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Schulen oder Lehrkräfte sie ihnen zur Verfügung stellen und können somit selbsständig lernen. Zuvor hatte der SWR bereits über unsere Kampagne und die dazugehörige Petition zur Veröffentlichung von Prüfungsaufgaben berichtet.

Hat über 54.000 Unterstützer und Unterstüterinnen – die Petition von FragDenStaat und Wikimedia Deutschland zur Freigabe von alten Prüfungsaufgaben. Foto: Screenshot Franziska Kelch (WMDE) CC BY-SA 4.0

Die Entscheidung, die Aufgaben nun zu veröffentlichen, habe nichts mit unserer Kampagne zu tun, sagt das Ministerium. Oder mit der Petition zur Veröffentlichung von Aufgaben, die weit über 50.000 Unterschriften erhalten hat. Oder mit der Medienberichterstattung zur Kampagne und zur Petition in diesem und im letzten Jahr. Die auch thematisiert hat, dass FragdenStaat und Wikimedia Deutschland aufgedeckt haben, dass auch das Kultusministerium in Baden-Württemberg Prüfungsaufgaben an Verlage verkauft, statt sie Schüler*innen einfach digital zur Verfügung zu stellen. Verlage nutzen diese Aufgaben dann in Übungsheften – die sich nicht alle Prüflinge leisten können oder wollen.

Aber wir schweifen ab. Zurück zu den guten Nachrichten für künftige Prüflingsgenerationen in Baden-Württemberg!

Wir begrüßen, dass im Kultusministerium offenbar ein Umdenken stattgefunden hat und Aufgaben digital und öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Baden-Württemberg. Auch den Umstand, das nicht nur junge Menschen, die das Abitur machen, sondern Schüler*innen aller Schulformen Zugang zu Prüfungsaufgaben bekommen sollen, sehen wir als Fortschritt. Aber es gibt zwei offene Fragen und damit potenzielle Kritikpunkte.

Was sagt das Ministerium zum Verkauf der Aufgaben?

Kurz gesagt: Nichts. Zumindest ist der Berichterstattung nichts dazu zu entnehmen. Das führt uns zu der Frage: Betrifft das Umdenken im Kultusministerium in Baden-Württemberg auch den Verkauf der Aufgaben und wird dieser eingestellt?

Aktuell erteilt das Kultusministerium in Baden-Württemberg mindestens einem Verlag gegen eine Gebühr die Erlaubnis, die Abschlussaufgaben aller Schulformen zu veröffentlichen. Das ist leider nicht ungewöhnlich, mindestens neun weitere Bundesländer verfahren so. Das Kultusministerium in Baden-Württemberg aber erhält zusätzlich 10% vom Netto-Buchpreis von Lehr- und Übungsbüchern, die der Verlag verkauft. Nach unserem Wissen ist Baden-Württemberg damit das einzige Bundesland, das in diesem Umfang am Verkauf der Hefte beteiligt ist. Wir kritisieren diese Praxis, denn wir sind der Ansicht, dass mit öffentlichen Mitteln erstellte Aufgaben nicht monetarisiert, sondern der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten.

Mit Prüfungsaufgaben alleine ist es nicht getan

Darüber hinaus stellen wir uns die Frage, in welchem Umfang Prüfungsaufgaben veröffentlicht werden. Denn der Mehrwert von Prüfungen aus Vorjahren entsteht für Schüler*innen vor allem dann, wenn sie auch die Lösungen erhalten – oder zumindest die sogenannten Erwartungshorizonte zu den einzelnen Prüfungen. Denn nur so wissen sie auch, was von ihnen erwartet wird. Wenn etwa Schüler*innen aus Niedersachsen sich Abituraufgaben aus den Vorjahren herunterladen, dann erhalten sie nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Erwartungshorizonte.

Ein weiterer Faktor dafür, wie nützlich die Aufgaben für Prüflinge sind, ist die Verfügbarkeit von Texten, Statistiken, Fotos oder Karten, die in der Aufgabe verwendet wurden. Baden-Württemberg kündigt an, dass solche Drittmaterialien teilweise aus urheberrechtlichen Gründen geschwärzt und durch Quellenangaben ersetzt werden. Schleswig-Holstein macht das ähnlich und schwärzt leider auch Gedichte von Goethe, die schon seit über hundert Jahren gemeinfrei sind.

In Niedersachsen ist man stärker darum bemüht, die Aufgaben, die entsprechenden Erwartungshorizonte und Drittmaterialien zu veröffentlichen. Dafür werden teilweise Texte, Statistiken oder Bilder genutzt, die gemeinfrei oder frei lizenziert sind. Oder bei der Entwicklung der Aufgaben werden digital verfügbare Drittmaterialien genutzt, deren URL dann bei der Veröffentlichung angegeben wird. So können Schüler*innen häufig Aufgaben für die Vorbereitung nutzen, die einen großen Mehrwert haben, weil sie zusätzlich Erwartungshorizonte und Drittmaterialien enthalten.

Wir sind gespannt, ob sich Baden-Württemberg daran ein Beispiel nehmen wird. Die Veröffentlichung der Aufgaben ist laut Berichterstattung für den Oktober geplant.

Kommentare

  1. John von Neumann
    4. Juli 2024 um 15:37 Uhr

    Wenn die Menschen nicht glauben, dass Mathematik einfach ist, dann nur, weil sie nicht wissen, wie kompliziert das Leben ist.

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