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Datenpolitik

Innovative Datenpolitik: Wie mehr Daten uns allen nützen können

Egal ob wir bewusst im Netz unterwegs sind, im analogen Raum Mobilitätsanbieter oder sogenannte smarte Produkte nutzen: Ständig und überall hinterlassen wir Daten. Behörden und Unternehmen sitzen auf Datenbergen – die Datenschätze sein könnten. Doch wer darf welche Daten wie nutzen? Welches Potenzial haben Daten für das Gemeinwohl und Innovationen? Und welche Hürden sollte die Politik aus dem Weg räumen, damit Daten uns allen nützen? Darum ging es in der Stellungnahme von Wikimedia Deutschland in einer Anhörung im Digitalausschuss des Bundestages.
Das Foto zeigt den Begriff Open Data. Die Buchstaben wurden aus Buttons / Ansteckpins gelegt. Die Buchstaben des Wortes Open bestehen aus Buttons mit jeweils einer Null und die Buttons aus denen das Wort Data gelegt wurde, sind mit dem Wikidata-Logo versehen. Jan Ainali, Open Data CC0 Wikidata, CC0 1.0

Aline Blankertz

Franziska Kelch

1. Juli 2024

Gemeinwohl oder auch das öffentliche Interesse sind wohlklingende Konzepte – und doch abstrakt und interpretationsoffen. Was es konkret braucht, um Daten für mehr Gemeinwohl zu nutzen, klärte Aline Blankertz, Referentin für Politik und öffentlicher Sektor, zu Beginn ihrer Stellungnahme gegenüber den Digitalpolitiker*innen in Berlin.

Das Bild stellt eine grafische Übersicht von 8 Faktoren für gemeinwohlorientierte Digitalpolitik dar. Sie lauten: 1. Transparenz – z.B. über das Ziel von Datennutzung // 2. Wirksame Beteiligung von verschiedenen Betroffenen und weiteren Perspektiven // 3. Schädliche Auswirkungen – z.B. durch mehr Emissionen oder Daten Bias – vermeiden // 4. Grundrechte schützen – z.B. über Datenschutz // 5. Durch Datennutzung Ungleichheiten verringen // 6. Ergebnisse oder Produkte von Datenprojekten offenlegen // 7. Zugang zu Daten, digitalen Infrastrukturen oder Diensten erleichtern // 8. Ergebnisse gemeinsam und dynamisch verwalten und erneuern. Grafik: Franziska Kelch (WMDE), CC BY-SA 4.0
Grafik: Franziska Kelch (WMDE), CC BY-SA 4.0

Weniger Innovationshype und mehr gesellschaftlicher Nutzen

„Innovative Datenpolitik: Potenziale und Herausforderungen“, so lautete das Thema der Anhörung im Digitalausschuss des Bundestages. Und auch zahlreiche Fragen aus dem Katalog, der an die Sachverständigen geschickt wurde, machten deutlich: Auf politischer Ebene herrscht die Vorstellung, dass Daten ein oder sogar der Motor für Innovationen sein sollen und können. Es gibt aktuell geradezu einen Innovationshype, also einen übersteigerten Glauben an Innovation. Dabei braucht es an vielen Stellen gar keine technologischen Neuerungen, um gesellschaftliche Probleme zu adressieren. Wir brauchen vielmehr eine konsequente Nutzung von bekannten und bewährten Konzepten und Prozesse. Das zeigt sich am Beispiel der öffentlichen Verwaltung. Der mangelt es aktuell an einer soliden Datenarchitektur und -infrastruktur. Die brauchen Behörden, um effizienter zu werden – und nicht etwa “Künstliche Intelligenz”. Beim Reden über Innovationen wird gerne vergessen, dass wir den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen sollten. Und der erste Schritt, nämlich die technischen und personellen Grundlagen der Verwaltungsdigitalisierung zu schaffen, ist noch nicht einmal vollzogen.

Wenn wir Innovation schaffen, sollte wir uns daran orientieren, was gesellschaftlich nützlich ist. Das ist oft nicht das, was wirtschaftlich besonders profitabel ist. Das ist eine Herausforderung. Denn digitale Infrastrukturen liegen überwiegend in der Hand weniger, mächtiger Digitalkonzerne. Diese verfolgen nicht das Gemeinwohl als Ziel. Oft schaden sie der Gesellschaft sogar, zum Beispiel indem sie Desinformationen verbreiten, sich die Wertschöpfung von Kreativen und Journalist*innen aneignen, oder durch schlechte Arbeitsbedingungen und Überwachung. Wir müssen die Gemeinwohlorientierung von Plattformen, digitalen Dienstleistungen oder KI-Anwendungen stärken, indem die Politik gesellschaftlichen Interessen mehr Gewicht gibt. Das kann durch Zerschlagung oder Regulierung geschehen. Aber auch, indem die öffentliche Hand selbst in digitale Strukturen investiert und diese aufbaut und dauerhaft pflegt.

Für mehr Datenzugang und weniger Geschäftsgeheimnisse

Wenn wir mehr Daten besser für Innovationen nutzen wollen, die in erster Linie einen gesellschaftlichen Nutzen haben, dann ist der Zugang zu Daten entscheidend. Und ein wesentlicher Teil von Daten zu A wie Automobilität bis Z wie Zahlungsverkehr liegt in den Händen von Unternehmen. Eine der größten Hürden für einen breiten Zugang und eine Nutzung dieser Daten im öffentlichen Interesse ist der Geschäftsgeheimnisschutz.

Wenn es darum geht, den Geschäftsgeheimnisschutz zu verteidigen, hört man oft ein vermeintliches Argument: Wenn Unternehmen Daten nicht exklusiv nutzen können, dann ginge der Anreiz verloren, diese überhaupt zu erheben. Was dabei ignoriert wird: Das Geschäftsgeheimnis verlangsamt die Verbreitung von Wissen – oder unterbindet sie komplett. Denn es gilt zeitlich unbegrenzt. In einer Wissensgesellschaft können Geschäftsgeheimnisse damit zum Hemmschuh von Innovation und Wettbewerb werden. Dementsprechend sollte der Gesetzgeber beim Ausmaß des Geschäftsgeheimnisschutzes abwägen zwischen Anreizen auf der einen und Wissensverbreitung auf der anderen Seite.

Außerdem sollten Gemeinwohlaspekte in die Abwägung einbezogen werden. Besonders deutlich wird dies bei einem Gemeingut, das in unser aller Interesse liegt: Die Umwelt. Mehr Datenzugang kann dabei helfen, Produkte ökologisch verträglicher herzustellen, zu nutzen und wiederzuverwerten. Ein Beispiel dafür, wie das in der Praxis funktionieren kann, ist die Ecodesign for Sustainable Product Regulation (ESPR) auf EU-Ebene. Sie führt digitale Produktpässe ein, um die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Der neue Produktpass wird Informationen über die ökologische Nachhaltigkeit durch Einscannen eines Datenträgers leicht zugänglich machen. Die enthaltenen Daten sollen Auskunft geben über die Haltbarkeit und Reparierbarkeit, den Recyclinganteil oder die Verfügbarkeit von Ersatzteilen eines Produkts. So sollen Verbraucher und Unternehmen besser fundierte Kaufentscheidungen treffen können. Produktpässe sollen zudem Behörden helfen, Kontrollen und Prüfungen besser durchzuführen. Hersteller müssen also möglichst viele Daten für diese Zwecke bereitstellen, auch wenn manche Datenpunkte für Hersteller betriebswirtschaftlich wertvoll sind. Die Pässe können perspektivisch auch nützlich sein, wenn es darum geht, höhere Umweltstandards festzuschreiben und zu überprüfen. Denn über die Pässe würden Daten darüber vorliegen, inwiefern Produkte gerade umweltverträglich sind – oder nicht. Das kann politischen Akteur*innen als Grundlage dafür dienen zu entscheiden, welche Vorgaben oder Standards sinnvoll und effektiv sind.

Bei der Ausgestaltung von Datengesetzen und in neuen Gesetzgebungsverfahren müssen wir klarstellen, dass Geschäftsgeheimnisse keine Trumpfkarte sein dürfen, sondern abgewogen werden müssen. Das gilt etwa für das Forschungsdatengesetz, die nachgelagerten Verordnungen zur ESPR, das Mobilitätsdatengesetz und so weiter. Zweitens, wir brauchen ausdrücklich Pflichten, um mehr Datenzugang zu ermöglichen. Dass Anreize nicht funktionieren, zeigt die aktuelle Situation.

Bundestransparenzgesetz: Das wichtigste datenpolitische Vorhaben fehlt bisher

Man fühlt sich ein bisschen wie der Wetteransager Phil Connors, der in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ in einer Zeitschleife gefangen ist und immer und immer wieder den gleichen Tag erlebt. Denn immer und immer wieder betonen Wikimedia Deutschland, zahlreiche andere Organisationen und Akteur*innen: Wir brauchen dringend ein Transparenzgesetz. Das ist breiter Konsens. Das Transparenzgesetz und das Recht auf Open Data sind die wichtigsten Datenvorhaben für diese Legislaturperiode. Doch sie stecken irgendwo im BMI fest.

Befürworten ein Bundestransparenzgesetz: Misbah Khan (Bündnis90/Die Grünen und Mitglied im Digitalausschuss und im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.l.) und Konstantin von Notz (Bündnis90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.r.) bei einer der Übergaben der Petition an Politikschaffende. Foto: Mehr Demokratie e.V. CC BY-SA 2.0
Im Bündnis Transparenzgesetz engagieren wir uns mit neun weiteren Organisationen seit Jahren dafür, dass die Bundesregierung endlich ein Bundestransparenzgesetz verabschiedet. Zuletzt haben wir eine Petition gestartet, um Politikschaffenden zu verdeutlichen, dass viele Menschen diese Forderung unterstützen. Übergeben haben wir die Petition dann an Akteur*innen aus dem verantwortlichen Ministerium und aus Bundestagsausschüssen – hier etwa an Misbah Khan (Bündnis90/Die Grünen und Mitglied im Digitalausschuss und im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.l.) und Konstantin von Notz (Bündnis90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.r.) Beide befürworten ein Bundestransparenzgesetz. Foto: Mehr Demokratie e.V. CC BY-SA 2.0

Dabei ist Transparenz nötig, damit staatliche Stellen rechenschaftspflichtig bleiben. Sie ist eine notwendige Voraussetzung, um Politik und Verwaltung in ihrem Handeln für die breite Gesellschaft transparenter zu machen. Transparenz ist außerdem ein Grundstein für eine effektive Verwaltung und eine solide Dateninfrastruktur.

Bundesbehörden und Ministerien erheben und besitzen Emissionsdaten, Geodaten, Haushaltsdaten, soziodemographische Daten. Mobilitätsdaten und viele weitere mehr. Diese als Open Data zur Nachnutzung verfügbar zu machen, hätte zwar auch einen wirtschaftlichen Mehrwert. Offene Daten aus den Behörden und Ministerien können aber vor allem eine Grundlage für eine effizientere Verwaltung sein. Die bestehenden Transparenzgesetze und Transparenzportale in Hamburg oder Rheinland-Pfalz beispielsweise werden zu einem großen Teil von Behörden selbst genutzt. Denn sie selbst gehören zu den größten Nutznießern der Daten von anderen Verwaltungsteilen. Die Bereitstellung offener Daten durch die Verwaltung nützt also auch den jeweils anderen Behörden innerhalb der Verwaltung. Sie trägt dazu bei, dass Prozesse effizienter werden. Die automatische Bereitstellung von Linked Open Data sollte dabei das Zielbild sein, damit die Daten möglichst verknüpft und barrierearm genutzt werden können. Eine konsequent nach den anerkannten Regeln der Technik digitalisierte Verwaltung schafft nicht nur die Grundlage für Vorhaben wie den Onlinezugang zu Dienstleistungen, sondern sorgt dabei auch für Transparenz und verknüpfbare Register.

Kommentare

  1. Unbekannter Name
    2. Juli 2024 um 07:29 Uhr

    Der Bundestag verabschiedet Gesetze, nicht die Bundesregierung.

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