Patrick Wildermann
23. Mai 2024
Bei GLAM-Veranstaltungen begegnen sich Wikipedia-Aktive und Kulturinstitutionen wie Galerien, Bibliotheken (Libraries), Archive und Museen – mit dem Ziel, das Wissen dieser Institutionen über die Wikimedia-Projekte für alle zugänglich zu machen. Zum Start der Reihe „Wiki Loves Demokratie“ trafen Wikipedia-Aktive virtuell auf Hilmar Sack von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages und Tobias Kaiser von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien.
Demokratie neu denken
Demokratie erfordert viel Arbeit. Hilmar Sack veranschaulicht das mit einem Organigramm: Abgebildet ist darauf die verzweigte Struktur der Verwaltung des Deutschen Bundestages, die allein über 3000 Mitarbeitende hat. „Der gesamte Orbit des Parlaments“, erklärt Sack, „hat die Größenordnung einer Kleinstadt.“
Der Historiker leitet den Fachbereich Geschichte, Politik und Kultur bei den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages. An diesem Abend nimmt er 25 Wikipedianer*innen mit auf einen Streifzug durch die Historie des Parlamentarismus in Deutschland. Auf dem Programm steht die erste GLAM-digital-Verstanstaltung des Jahres, die das Motto „Wiki Loves Demokratie“ trägt – 2024 ein Schwerpunktthema der Online-Reihe, die Kultur- und Gedächtnisinstitutionen oder Einrichtungen der politischen Bildung mit der Wikipedia-Community zusammenbringt.
Die Ehrenamtlichen hören hier nicht nur spannende Fachvorträge – wie von Hilmar Sack sowie von Tobias Kaiser, Mitarbeiter der 1951 gegründeten Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien (KGParl) – sie beginnen vor allem eine engagierte Diskussion: Welche anderen Demokratie-Formen als unser Parteiensystem wären denkbar? Könnten Bürger*innen-Räte mehr Beteiligung schaffen? Und, als Frage aufgebracht von einem Wikipedianer: Wie könnte die Wikipedia-Community selbst demokratischer werden? Was im Chat der Videokonferenz zu lebhaften Kontroversen führte.
Eine Fülle an Wissensangeboten für Wikipedianer*innen
Zum Begriff „Demokratie“ selbst existiert in der Wikipedia ein ausführlicher Artikel, der dank der akribischen Arbeit der Autor*innen keine Fragen offen lässt und den Bogen von der Antike bis ins Heute spannt. Trotzdem – darauf deutet auch der letzte Punkt des Eintrags „Demokratie-Gefährdungslagen“ hin – kann es zum Thema Demokratie natürlich nie genug Wissen geben. Auch deshalb widmen sich 2024 gleich mehrere GLAM on Tour– und GLAM digital-Stationen diesem Feld – was besonders passend ist in einem Jahr, in dem nicht nur 75 Jahre Grundgesetz und 75 Jahre Parlamentarismus in Deutschland gefeiert werden, sondern in Deutschland, Europa und den USA auch etliche wichtige Wahlen anstehen.
Und natürlich geht es auch konkret darum, wie die Arbeit an der Wikipedia gewinnen kann. Die mit acht Fachbereichen breit aufgestellten Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages etwa fertigen für Abgeordnete ausführliche, fundierte Ausarbeitungen zu allen möglichen politischen Themen an, die nach vier Wochen auf der Homepage des Bundestages veröffentlicht werden: „Eine unglaubliche Fülle an Wissensangeboten“ auch für Wikipedianer*innen, findet Hilmar Sack. Und Tobias Kaiser berichtet, dass die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien bald 50 ihrer Publikationen digital frei zur Verfügung stellt – das Themenspektrum reicht von politischer Architektur bis zum Problemfeld Rechtsextremismus. Ebenfalls eine Fundgrube für die Ehrenamtlichen der Wikipedia.
Von der Revolution zum Parlament
Der Boden für die tiefere Beschäftigung mit dem Thema Demokratie wurde bereits im vergangenen Jahr bereitet: Mit der GLAM-digital-Veranstaltung „Wiki Loves Revolution – ein virtueller Austausch zur Revolution 1848/49“, die in Kooperation mit der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung und der Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte stattfand. Hier ging es zentral um die Frauen, die als Journalistinnen, Schriftstellerinnen oder Streiterinnen auf den Barrikaden den Kampf für Demokratie mittrugen – aber in der Wikipedia bis dato kaum Erwähnung fanden.
Einen Link zum Thema hatte auch die GLAM on Tour-Station im Museum Barberini in Potsdam. Hier fand parallel zum Museumsbesuch ein bemerkenswerter, auch als Film festgehaltener Drohnenflug der Ehrenamtlichen statt. Dabei entstanden unter anderem Fotos des Museums Barberini, des Potsdam Museums, der Nikolaikirche und auch des brandenburgischen Landtags – ein Gebäude, „das die Ehrenamtlichen als Ort der demokratischen Auseinandersetzung ins Bewusstsein rücken wollten“, wie Holger Plickert erzählt, Projektmanager Kultur- und Gedächtnisinstitutionen bei Wikimedia Deutschland. Daran zeige sich einmal mehr, welchen großen Stellenwert gelebte Demokratie für die Community habe und wie sie tagtäglich Bestandteil ihrer Arbeit für die Wikimedia-Projekte sei.
Begegnung mit dem Reichsbanner
Eine weitere GLAM digital-Veranstaltung in der Reihe „Wiki Loves Demokratie“ hat die Ehrenamtlichem mit dem Verein „Reichsbanner Schwarz Rot Gold – Bund aktiver Demokraten“ und dessen Bundesvorsitzendem Fritz Felgentreu zusammengeführt. Und damit zurück in die Geschichte: Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold wurde 1924 in Magdeburg als überparteiliches Bündnis von SPD, der liberalen Deutschen Demokratischen Partei und der katholischen Zentrumspartei gegründet. Ein demonstrativer Schulterschluss, mit dem die Demokrat*innen auf die zahlreichen Morde sowie die extremistischen Umsturzversuche in den Anfangsjahren der Weimarer Republik reagierten.
Mit einem Gründervater der Sozialdemokratie in Deutschland hat schließlich die dritte „Wiki Loves Demokratie“-Veranstaltung am 3. Juni zu tun: Ein virtueller Besuch im August Bebel Institut. Auf welche Geschichte diese Institution der politischen Bildung blickt, wie sie arbeitet und welche Impulse von ihrem Namensgeber bis heute ausgehen, erfahren die Teilnehmer*innen an dieser GLAM-digital-Station im Gespräch mit ABI-Geschäftsführer Reinhard Wenzel.
Die Mütter des Grundgesetzes
Auch der Austausch mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung wird fortgesetzt: Im Rahmen einer GLAM on Tour vom 13. bis 15. September in Kassel werden sich die Ehrenamtlichen mal nicht mit den vielbeschworenen Vätern, sondern mit den Müttern unseres Grundgesetzes beschäftigen. Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit – das ist ein eigenes Feld, das die Auseinandersetzung lohnt. Was ebenfalls schon bei der ersten GLAM-digital-Veranstaltung zur Geschichte des Parlamentarismus deutlich wurde. Hilmar Sack verwies da auf ein aktuelles Buch mit dem Titel „Der nächste Redner ist eine Dame“ – ein Sammelband mit Portraits über die ersten Frauen des Bundestages. Auch hier sind noch Entdeckungen für die Wikipedia zu machen!
Ausblick und Mitmachen!
Neben der Reihe „Wiki Loves Demokratie“ veranstaltet Wikimedia Deutschland noch viele weitere spannende GLAM-Events, wie zum Beispiel im November eine GLAM on Tour in Greifswald zu 250 Jahren Caspar David Friedrich. Über alle Events informiert der GLAM-Terminkalender.
Die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es auf den jeweiligen Projektseiten der Veranstaltungen. Achtung: die Zahl der möglichen Teilnehmer*innen ist begrenzt.