Franziska Kelch
21. März 2024
Natürlich kann man die Wikipedia nicht einfach abschalten. Die Online-Enzyklopädie ist ein Projekt der ehrenamtlichen Community. Die handelt gemeinsam Regeln und Entscheidungen aus. So war es auch, bevor am 21. März 2019 der freie und digitale Zugang zu Wissen für einen Tag lahmgelegt wurde. In einem sogenannten Meinungsbild sprach sich die deutschsprachige Community mehrheitlich für diesen gravierenden Schritt aus.
Aktivismus für ein freies Internet
Der Grund: Am 26. März stand im EU-Parlament die Abstimmung über die Urheberrechtsrichtlinie an. Artikel 13 (heute 17) sollte Plattformen dazu verpflichten, Inhalte vor dem Hochladen auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen. Die Community der Ehrenamtlichen, Wikimedia Deutschland, zahlreiche Verbände sowie Urheberrechtsexpert*innen befürchteten: Das könnte zu massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit führen, da solche Prüfungen bei der Masse des täglich hochgeladenen Materials nur mit automatisierten Upload-Filtern möglich wären. Das Problem daran: Community kann Kontext, Filter nicht.
So lautete der Titel einer Kampagne, die Wikimedia Deutschland bereits 2017 gestartet hatte. Denn Filter können zwar einen Inhalt erkennen, nicht aber den Nutzungskontext korrekt bewerten. Die technologische Entwicklung war und ist nicht so weit, dass Filter zuverlässig Satire oder Parodien erkennen können. Oder – und das ist besonders für die Wikipedia relevant – ein zulässiges Zitat aus einem urheberrechtlich geschützten Text von einem Urheberrechtsverstoß unterscheiden können. Die Community und Wikimedia Deutschland sahen die freie Verbreitung von Wissen im Internet gefährdet. Die Befürchtung war, dass massenhaft rechtskonforme Inhalte in den Upload-Filtern hängen bleiben würden.
Genauer hat es John Weitzmann, damals Justiziar bei Wikimedia Deutschland, erklärt.
Wir haben daher im Rahmen unseres juristischen Diskussionsformats Monsters of Law mit Rechtsexpert*innen und Politikschaffenden über die Risiken von Upload-Filtern gesprochen und Argumente für eine grundrechtsfreundliche Umsetzung der EU-Urheberrechtsrefom diskutiert. Mit der Kaffeefilter-Aktion beim Parteitag der SPD in Berlin am 7. Dezember 2017 haben wir Politikschaffende für die grundrechtsgefährdenden Potenziale von Upload-Filtern sensibilisiert.
Weithin sichtbar war eine Projektion, die wir am 4. April 2019 an das Bundeskanzleramt geworfen haben: Keine Uploadfilter – Stehen Sie zum Koalitionsvertrag. Denn obwohl die Koalition aus CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag zugesagt hatte, Plattformen nicht zum Einsatz von Upload-Filtern zu verpflichten, hatte die Bundesregierung dem Entwurf zur EU-Urheberrechtsreform zugestimmt. Die Richtlinie der EU verpflichtet zwar nicht explizit zum Einsatz von Upload-Filtern. Die Vorgaben in Artikel 17 machten sie aber unabdingbar. Und nachdem in Brüssel die Reform des Urheberrechts beschlossen worden war, ging es um die Umsetzung in nationales Recht. In einem offenen Brief gemeinsam mit dem Digitalverband Bitkom, dem Verbraucherzentrale Bundesverband, dem Chaos Computer Club und verschiedenen Wirtschaftsverbänden haben wir die Bundesregierung dazu aufgefordert, eine zukunftsgerichtete Digital- und Urheberrechtspolitik auf nationaler Ebene zu gestalten.
Haben die Proteste etwas bewirkt?
Dass über 100.000 Menschen wegen eines digitalpolitischen Themas auf die Straßen gehen und über 5 Millionen Menschen eine Petition gegen Upload-Filter unterzeichneten, hatte es bis dahin noch nicht gegeben – und auch seitdem nie wieder. Und die Proteste haben Wirkung gezeigt, wie Felix Reda, Urheberrechtsexperte und von 2014 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments, beschreibt.
Die Demonstrationen und die Kritik von zivilgesellschaftlichen Institutionen haben dazu geführt, dass etwa in Deutschland die Umsetzung von Artikel 17 in nationales Recht vergleichsweise grundrechtsfreundlich erfolgt ist.Felix Reda — Urheberrechtsexperte
Denn das deutsche Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz legt fest, dass „mutmaßlich erlaubte“ Inhalte nicht automatisch gefiltert werden dürfen. Als mutmaßlich erlaubt gelten Inhalte, die weniger als die Hälfte eines fremden Werks enthalten, dieses mit anderen Inhalten verbinden oder erlaubte Nutzung enthalten – wie ein Zitat oder eine Parodie. Als mutmaßlich erlaubt gelten auch Uploads, in denen nur in geringfügigem Maß andere Inhalte genutzt werden. Geringfügig sind laut Gesetz bis zu 160 Zeichen eines Textes, 15 Sekunden von einem Video oder Musikstück und bis zu 125 Kilobyte von einem Foto, einer Grafik oder einem Bild.
Die Proteste haben auch dazu beigetragen, dass Artikel 17 im finalen Gesetzentwurf überarbeitet wurde – im Sinne der Nutzenden. Die europäischen Gesetzgeber haben den Passus ergänzt, dass legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen. Eine frühere Version von Artikel 17, die diese Schutzvorkehrung nicht enthielt, hatte das Europaparlament infolge der Proteste abgelehnt.Felix Reda — Urheberrechtsexperte
Außerdem legte Polen vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen Artikel 17 ein. In seinem Urteil gab das Gericht der Klage zwar nicht statt, aber:
Das Urteil des EUGH hat die Grundrechte eher gestärkt. Es hat Artikel 17 zwar nicht für unvereinbar mit Grundrechten erklärt, aber geurteilt, dass Filter nur so genutzt werden dürfen, dass sie offensichtlich illegale Inhalte sperren.Felix Reda — Urheberrechtsexperte
Was aus den Upload-Filtern geworden ist
Wie genau große Plattformen Upload-Filter einsetzen, ist meistens nicht nachvollziehbar. Dass massenhaft Inhalte in den Filtern hängen bleiben, ist nicht zu erkennen.
Wenn man sich die Transparenzberichte von Tech-Giganten wie Meta und Co. anschaut, die diese aufgrund des DSA veröffentlichen müssen, dann sieht man: Artikel 17 ist sehr selten die Grundlage für die Sperrung von Inhalten. Die Plattformen moderieren Inhalte vor allem nach ihren Terms of Service. Wenn ein Uploadfilter eine legale Nutzung Parodie nicht erkennt, führt das seltener zu einer vollständigen Sperrung, sondern eher zur Demonetarisierung, die Werbeeinnahmen werden also der falschen Person zugeordnet. Das ist für Content Creator zwar ebenfalls ärgerlich, aber ein weniger großes Problem für die Meinungsfreiheit.Felix Reda — Urheberrechtsexperte
Meistens entfernen Plattformbetreibende Inhalte, weil es sich um Hassrede, Bedrohungen, Betrug oder Verletzung der Privatsphäre bzw. des Datenschutzes handelt. Sperrungen aufgrund von Urherrechtsverstößen kommen vergleichsweise selten vor.
Dass die EU-Urheberrechtsreform das Internet kaputt macht, wie manche Protestierende befürchteten, ist nicht eingetreten. Das liegt auch an den vielfältigen Aktionen und Protesten. Sie haben dazu geführt, dass die Mitgliedsstaaten der EU dazu verpflichtet wurden, Schutzvorkehrungen zu treffen, damit legale Inhalte gar nicht erst gesperrt werden.