Zarah Ziadi
21. März 2024
Transparenz, Bürgerbeteiligung und freier Zugang zu Informationen sind grundlegende Aspekte für eine demokratische Gesellschaft, die sich besonders gut durch digitale Anwendungen realisieren lassen. Die Agora Digitale Transformation argumentiert auf ihrer Website, dass die Stabilität der Demokratie davon abhängt, wie digitale Technologien im Interesse der Bürger*innen genutzt werden. Sie fordert daher ein Update dieser Technologien. Auch Franziska Heine, neben ihrer Tätigkeit bei Wikimedia Deutschland im Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur aktiv, sieht eine sorgfältige Digitalisierung als Chance, um die Stabilität eines modernen demokratischen Staates zu erhöhen.
Hallo Franziska, du hast lange die Software-Entwicklung bei Wikimedia Deutschland geleitet, die offene und freie Software baut. Du setzt dich schon lange für gemeinnützige Digitalisierung ein – wenn du aus diesen beiden Perspektiven auf die aktuelle Digitalpolitik blickst – was sollte sich ändern?
Eine offene, freie, selbstverwaltete digitale Infrastruktur wird in Zukunft, mehr denn je, ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Wirtschaft, einen handlungsfähigen Staat und eine freie Gesellschaft sein. Wir sind in Deutschland dafür sogar bereits gut aufgestellt; nur wird das noch nicht ausreichend genutzt. Es gibt inzwischen viele freie Software- und Datenprojekte wie Nextcloud, Mastodon, OpenStreetMap, LibreOffice, Linux Varianten und nicht zuletzt unsere eigenen Projekte wie Wikipedia und Wikidata. Wesentliche Bestandteile einer freien und offenen Infrastruktur sind ebenfalls vorhanden. Es gibt viele Freiwillige im digitalen Ehrenamt, zum Beispiel bei der Wikipedia, die seit Jahrzehnten beweisen, wie stabil und zuverlässig nicht-kommerzielle Infrastrukturen betrieben werden können.
Was sich daher ändern muss, ist der politische Wille zur digitalen Souveränität – dass wir uns nicht mehr bei digitalen Belangen auf große kommerzielle Unternehmen verlassen, sondern gemeinnützige Projekte einsetzen, die für mehr Sicherheit, Transparenz und Beteiligung sorgen. Natürlich hängt da sehr viel Arbeit und Investition dran, das bestehende System der proprietären Abhängigkeit zu verlassen und den Mut zur digitalen Freiheit zu haben. Gleichzeitig gibt es aber so viele gute Gründe, dieses Abenteuer zu wagen, denn die Alternative ist eine Abhängigkeit von Big Tech, größtmöglicher Intransparenz und das unkontrollierbare Absaugen der Daten unseres Verwaltungsapparates und Bürger*innen.
Welche Chancen bietet die Digitalisierung aus deiner Sicht für die Demokratie?
Wenn Digitalisierung erfolgreich umgesetzt wird, ermöglicht sie mehr Menschen den Zugang zu für sie relevanten Informationen. Es können neue Werkzeuge entstehen, die ihnen ganz praktisch den Alltag erleichtern, aber eben auch Behörden und staatliche Institutionen in ihrer Arbeit effizienter und wirksamer machen. Menschen können an mehr Prozessen auf die für sie passende Art beteiligt werden. An Entscheidungsprozessen zum Beispiel oder daran, ihre ganz konkrete Umwelt lebenswerter mitzugestalten. Ein schönes Beispiel dafür sind die Projekte des CityLAB Berlin wie giessdenkiez.de, bei denen eine Kombination aus Verwaltungsdaten, in diesem Fall Geoportal Berlin der Senatsverwaltung, OpenStreetMap als Community Projekt und freie Software gemeinsam mit der Kiez Community in der realen Welt einen Beitrag leisten. giessdenkiez.de gibt Bürger*innen die Möglichkeit Straßenbäume zu adoptieren und regelmäßig zu gießen, damit diese nicht der durch den Klimawandel entstandenen Trockenheit zum Opfer fallen. Das ist ein tolles Projekt der Stadt Berlin, das alle drei Akteure digital miteinander verbindet.
Warum ist ein Thinktank wie die Agora Digitale Transformation wichtig und was kann die Initiative zu einer gelungenen Digitalpolitik beitragen?
Der Thinktank ist wichtig, weil er auf einzigartige Weise Politik, Forschung, Verwaltung, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft zusammenbringt. Es ist der Initiative gelungen, unglaublich tolle und kompetente Menschen aus all diesen Bereichen im Thinktank zu versammeln. Das zeigte sich besonders eindrücklich in der Interaktion und den Redebeiträgen während der konstituierenden Sitzungen des Beirats. Dort werden die Konzepte und Ideen der Projektarbeit des Thinktanks mit den Realitäten von Ministerialbürokratie, zivilgesellschaftlichen Perspektiven und wirtschaftlichen Gegebenheiten konfrontiert.
Der Rat der Agora Digitale Transformation ist nun am 12. März, das erste Mal zusammengetreten – wie ist die erste Sitzung gelaufen? Kannst du uns verraten, um welche Themenschwerpunkte es ging?
Zunächst einmal haben wir das Team besser kennengelernt, das über die letzten Monate aufgebaut wurde und seine Arbeit an verschiedenen Projekten aufgenommen hat. Zwei der gestarteten Projekte haben Einblicke in ihre Arbeit gegeben und die Mitglieder des Beirats eingeladen, Fragen zu stellen und Feedback zu geben.
Das Projekt “E-Valuate” beschäftigt sich damit, die Arbeit an ministeriellen Projekten wirkungsorientierter zu gestalten und mithilfe von OKRs messbarer zu machen. OKRs steht für Objectives and Key Results, also Zielsetzungen und Schlüsselergebnisse und stellt ein Management-Framework dar, das speziell auf die sich permanent verändernden Rahmenbedingungen unserer modernen Welt zugeschnitten ist. Das Projekt steht damit ganz unter dem Motto „Lernender Staat“. Das zweite Projekt geht der Frage nach, wie viel Geld die Bundesregierung in den letzten Jahren für die Digitalisierung der Verwaltung ausgegeben hat. Auch dazu gab es regen Austausch.
Jenseits dieser beiden Schwerpunkte haben wir uns in den Pausen auch über zivilgesellschaftliche Perspektiven auf die Verwaltungsarbeit, Zukunftsfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und spannende Podcasts unterhalten.
Was wirst du im Austausch mit den anderen Ratsmitgliedern beitragen? Was wird deine Rolle sein?
Zum einen werde ich die Perspektive der Zivilgesellschaft vertreten. In unseren Projekten tragen täglich viele Ehrenamtliche dazu bei, das Wissen über unsere Welt zu dokumentieren und allen zugänglich zu machen. Gleichzeitig haben sie in ihrer Zusammenarbeit über zwei Jahrzehnte Strukturen und Aushandlungsprozesse entwickelt, die transparent und zutiefst demokratisch sind und teilweise sehr komplexe Herausforderungen lösen. Ich würde mir wünschen, dass dieser Aspekt der Arbeit, die in unseren Projekten geleistet wird, mehr Aufmerksamkeit bekommt, weil ich glaube, dass sie als Modelle für eine resiliente Demokratie dienen können.
Zum anderen bringe ich unsere Expertise in der nachhaltigen Entwicklung von Open-Source-Softwarelösungen mit. Wikipedia und Wikidata sind lebende Beispiele dafür, dass es möglich ist, offene und freie Software-Systeme nachhaltig zu entwickeln und zu betreiben. Wir gehören noch immer zu den 10 meistbesuchten Webseiten der Welt, unsere Daten werden von allen großen digitalen Innovationen der letzten Jahrzehnte genutzt. Unter anderem von Google, persönlichen Assistenten und generativer KI, basierend auf Large-Language-Modellen. Wir sind sozusagen der lebende Beweis dafür, dass es weder notwendig noch richtig ist, auf proprietäre Softwarelösungen zu setzen und diesen Punkt werde ich natürlich stark machen, wenn es um die Digitalisierung der Verwaltung geht.
Der dritte Aspekt sind freie und offene Daten: Wenn wir unsere Demokratie transformieren wollen, dann gehört der Freie Zugang zu den Daten, die unsere Demokratie produziert, dazu. Wir haben mit der freien Wissensdatenbank Wikidata und der Open-Source-Software Wikibase inzwischen erprobt, wie gut das funktionieren kann.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Der Thinktank wird von der Stiftung Mercator gefördert und arbeitet in verschiedenen Projekten an Lösungen für die Digitale Transformation in den Themenfeldern “Lernender Staat”, “Digitale Öffentlichkeit”, “Digitale Partizipation” und “Regierungshandeln & Digitalisierung”. Die Ergebnisse werden dem Rat, der Feedback gibt, über mehrere Sitzungen vorgelegt. Alle Projekte zielen darauf ab, praxisorientierte Handlungsempfehlungen für die Politik zu entwickeln.