Digitalpolitik
Für eine menschliche digitale Zukunft: 8 Forderungen zum Global Digital Compact
Friederike von Franqué
26. September 2023
Soziale, politische und ökonomische Teilhabe hängen stark davon ab, ob Zugang zum Internet besteht und Menschen digitale Fähigkeiten entwickeln können. Im Zentrum der Überlegungen zum GDC steht daher die Frage: Was sollte die Weltgemeinschaft tun, damit dies gelingt? Wie können digitale Technologien als Motor für menschlichen Fortschritt genutzt und deren negative Auswirkungen minimiert werden? Erste Hinweise darauf, was der GDC beinhalten könnte, befinden sich im „Policy Brief” des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (UN). Auf Initiative von Wikimedia Deutschland haben sich zivilgesellschaftliche Organisationen und Expert*innen über den Policy Brief gebeugt und festgestellt: Uns fehlt noch einiges! Unsere gemeinsamen Empfehlungen haben wir beim Internet Governance Forum Deutschland (IGF) dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr offiziell übergeben.
Diese 8 Themen und Probleme sollten bei den Verhandlungen zum GDC im Fokus stehen
1. Menschen- und Bürger*innenrechte im Digitalen müssen gestärkt und weiterentwickelt werden
Digitale Teilhabe, insbesondere von Frauen und Minderheiten, ist ein zentrales Ziel des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (UNSG). Ein gutes Zusammenleben der Weltgemeinschaft kann nur funktionieren, wenn Menschenrechte wie etwa die Menschenwürde, das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, das Recht auf Privatsphäre sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information auch im Digitalen gewahrt werden. Technische Anwendungen müssen dementsprechend diskriminierungsfrei gestaltet werden. Digitalpolitische Vorhaben müssen auf ihre Vereinbarkeit mit Menschenrechten geprüft werden. Entsprechend sollten Menschenrechtsprinzipien bei technischen und politischen Lösungen berücksichtigt werden.
2. Der GDC sollte progressive Entwicklungen in der globalen Digitalpolitik kraftvoll ausbauen, statt hinter bestehende Vorschläge zurückzufallen
Die Wahrung von Menschenrechten funktioniert nur unter bestimmten rechtlichen und politischen Voraussetzungen. Auch wenn ihre Bedeutung im Text erwähnt wird, vermissen wir die konkrete Nennung dieser Voraussetzungen: das Recht auf Anonymität, die Möglichkeit zur Verschlüsselung (siehe auch A/HRC/29/32, UN-Sonderbeauftragter für Meinungsfreiheit), Schutz vor Online-Gewalt, Datensparsamkeit bei der Speicherung personenbezogener Daten und strikt regulierte Nutzung. Und die Implementierung von Regeln, die unangemessene staatliche und private Überwachung oder Zensur verhindern. Damit fällt der Policy Brief in seinen Empfehlungen an vielen Stellen hinter vorherigen UN-Publikationen zurück.
3. Globale digital commons sollten die starke Zielvision des GDC werden
Wenn der Generalsekretär ernsthaft das Ziel verfolgt, das Digitale von einem Raum des Trennenden (“divide”) zu einem Raum des Verbindenden und des gemeinsamen Wachsens verändern zu wollen, dann sollten die „digital commons“ klar definiert und als Ziel gesetzt werden – also öffentliche Räume, gemeinschaftliche Güter, gemeinwohlorientierte Prozesse und Werte. Auch im Digitalen sollte es öffentliche Räume wie Parks geben, als sichere, anlasslose Treffpunkte, um die „civic fabric” der globalen Gesellschaft zu stützen. Sie ermöglichen Lern- und Emanzipationsprozesse, in denen Menschen unabhängig von einer Markt- und Konsumlogik Eigeninitiative entwickeln und Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Sie erlauben im Digitalen, was analog nur begrenzt möglich ist: grenzenlose Zusammenarbeit, Solidarität und unendlich teilbare Wissensressourcen. Wikipedia und die vielen Wikimedia-Projekte sind ein Beispiel dafür.
4. Eine gerechte und inklusive globale digitale Transformation fußt auf offenen Infrastrukturen, Codes und Standards
Zu den entscheidenden Instrumenten für selbstbestimmte und lebenslange Bildung und menschliche Entwicklung gehören der Zugang zu allen Arten von Datenbanken, zu Bibliotheken und Medien, aber auch offene digitale Infrastrukturen, offene Technologien und Codes mit möglichst offener Lizenzierung von Daten nach Standards der Creative Commons. Dies sollte im künftigen GDC konkretisiert und vorangetrieben werden.
5. Unternehmerische Sorgfaltspflichten, auch für Menschenrechte, und Regulierungsmöglichkeiten, etwa von Plattformen, müssen deutlicher und konkreter angesprochen werden.
Damit Menschenrechte im digitalen Raum gewahrt werden, braucht es bestimmte Voraussetzungen – etwa Verschlüsselung und Anonymisierung. Staaten sollten ihrer Pflicht zur Wahrung von Menschenrechten nachkommen. Sie sollten ihre politischen Instrumente auch dafür nutzen, den Privatsektor zur Verantwortung zu rufen, mit technischen Möglichkeiten zur Wahrung von Menschenrechten beizutragen. Dazu gehören etwa die Menschenwürde achtende und diskriminierungsfreie Zugangsregeln, ein respektvoller Umgang miteinander, aber auch das Recht auf Privatsphäre, die Möglichkeit des Zugangs ohne die Freigabe von persönlichen Daten oder seine Meinung frei äußern und Information im Netz abrufen zu können. Dazu bleibt der Text allerdings noch vage. Standard-Maßstäbe zur Definition von Online-Gewalt und zum Schutz vor Online-Gewalt fehlen. Was mit Inklusion gemeint ist, bleibt im Text unklar. Die Relevanz von Prävention gegen Desinformation und Propaganda bleibt im Entwurf unterbelichtet. Robuste Kriterien zu Verantwortlichkeiten, die ein vertrauenswürdiges Internet voran bringen würden, etwa Multi-Stakeholder- Beobachter-Gremien oder Label für Vertrauen, werden nicht angesprochen.
6. Die zivilgesellschaftliche Beteiligung und der Multi-Stakeholder-Ansatz müssen im weiteren Prozess gestärkt werden.
Widersprüchliche Botschaften sendet der Policy Brief im Hinblick auf zivilgesellschaftliche Beteiligung und Multi-Stakeholder-Ansätze. Einerseits betont er die generelle Bedeutung des Multi-Stakeholder-Ansatzes in der globalen Digitalpolitik, andererseits spielt die digital-technische Community im Trilog aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Regierungen keine eigenständige Rolle mehr. Darüber hinaus wird mit dem „Digital Cooperation Forum” eine Institution vorgeschlagen, deren Aufgaben starke Ähnlichkeit mit dem existierenden Internet Governance Forum der UN aufweisen. Warum es neben einem bereits etablierten Forum mit tiefer Expertise eine weitere Struktur braucht, wird nicht erklärt. Dabei ist die effektive Beteiligung von Zivilgesellschaft, Tech-Community und Wissenschaft angesichts der rasanten technischen Entwicklungen und ihrer komplexen Auswirkungen wichtiger als zuvor, um gemeinschaftlich und für das Gemeinwohl eine bessere Zukunft zu gestalten.
7. Nachhaltigkeit und die Umsetzung der 2030-Agenda sollten im gesamten GDC sichtbares Leitmotiv sein, nicht nur in einzelnen Unterkapiteln.
Der Policy Brief enthält starke Referenzen zur Umsetzung der 2030-Agenda, sowie ein eigenes Kapitel mit entsprechenden Zielen und Handlungsempfehlungen. Leider fehlt in den übrigen Kapiteln des Policy Briefs eine konsequente Ausrichtung auf eine nachhaltige Gestaltung der digitalen Infrastrukturen, Produkte und Ansätze weltweit. Insbesondere die Chancen und Risiken der digitalen Transformation für Biodiversität, Umwelt- und Klimaschutz bleiben unterbelichtet.
8. Digitalisierung ist weit mehr als Künstliche Intelligenz.
Seltsam losgelöst vom Zielbild bleiben die Äußerungen zu Künstlicher Intelligenz (KI). Kriterien für ihren Einsatz oder ihre Auswirkungen bleiben ungenannt. So begrüßenswert es ist, dass KI als eigenständiges Kapitel angesprochen wird, so wichtig bleibt dennoch ihre Einbettung in die übergeordneten Ziele der Weltgemeinschaft. Konkrete Vorschläge für KI und datengetriebene Anwendungen, Persönlichkeits- und Urheberrechte oder die Definition von Hochrisikoanwendungen nebst Umweltfolgen sollten daher im GDC unbedingt vorkommen.