Stefan Kaufmann
John Weitzmann
23. Februar 2023
Die aktuelle Ausgabe der Wikimedia-Reihe „Monsters of Law“ befasst sich mit der Frage, wie §5 des Urheberrechtsgesetzes jetzt geändert werden muss. Direkt zum Video.
Wenn beispielsweise ein Artikel mit einem Foto des Planeten Erde bebildert wird, wird meist eines von zwei besonderen Bildern dafür verwendet: Das Blue-Marble-Foto, oder „Earthrise“, das Motiv der über dem Mondhorizont aufgehenden Erde. Diese Fotos sind ikonisch und haben einen eigenen Wikipedia-Artikel. Vor allem aber stammen die Fotos von NASA-Raumfahrenden – also US-Regierungsbeschäftigten. Sie können daher frei verwendet werden – denn die NASA ist eine US-Bundesbehörde, deren Fotos nicht dem US-Copyright unterworfen werden. Außerhalb der USA besteht zwar grundsätzlich urheberrechtlicher Schutz solcher Inhalte, dieser wird jedoch durch die US-Regierung nicht durchgesetzt. Die starke Nutzung etwa dieser NASA-Bilder zeigt, welche Vorteile sich aus der Regelung für das Gemeinwohl ergeben.
In Deutschland gibt es eine Regelung in dieser Form nicht – ganz im Gegenteil. Vor knapp zehn Jahren hat Mathias Schindler bei der re:publica auf die unbefriedigende Regelung zu amtlichen Werken aufmerksam gemacht. Das deutsche Urheberrechtsgesetz stellt nämlich in Absatz 1 des Paragraphen 5 klar, dass Gesetze, Verordnungen, amtliche Bekanntmachungen und Leitsätze nicht dem Urheberrecht unterliegen. Dieser Teil klingt erst einmal gut und ähnlich der Regelung in den USA. In den USA jedoch werden nicht nur Gesetze und Bekanntmachungen vom Urheberrecht ausgenommen, sondern alle Werke, die von Beamt*innen oder Angestellten der US-Regierung im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben erstellt werden. Also auch Datensätze, Videos, oder eben die von Raumfahrenden angefertigten Fotos.
Gedanken raten, was die Behördenleitung will
In Deutschland dagegen diskutieren wir seit Jahren die Frage, ob beispielsweise eine CSV-Tabelle mit Informationen aus einem amtlichen Werk ebenfalls solch ein amtliches Werk darstellt oder nicht. Man könnte denken, dass die Frage einfach zu beantworten ist, denn mit Absatz 2 des § 5 UrhG es gibt sogar eine Regelung zu anderen Arten staatlicher Inhalte, jenseits von regelnden Texten wie Gesetzen, Verordnungen. Dieser Absatz erweitert die Freiheiten des Absatzes 1 auf alle „anderen amtlichen Werke, die im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden sind“. Obwohl es auf den ersten Blick so aussieht, als würden auch nach deutschem Recht letztlich alle Werke und sonstigen Inhalte aus staatlicher Produktion urheberrechtsfrei und damit frei nutzbar sein, schränkte paradoxerweise der Bundesgerichtshof (BGH) dieses Recht ein:
Denn nur was wirklich maximal weit verbreitet werden soll (aus der jüngeren Vergangenheit könnte man etwa an eine Warnung vor einem neuen Virus denken), ist laut BGH “zur allgemeinen Kenntnisnahme” im Sinne des § 5 Abs. 2 UrhG vorgesehen. Und aus “im amtlichen Interesse” folgert der BGH, dass es hier schlicht auf den Wunsch der jeweiligen Behördenleitung im Moment der Veröffentlichung ankommt. Ob für eine Behördenpublikation Urheberrechtsschutz besteht oder nicht, richtet sich also danach, welche Vorstellung etwa die Amtsleiterin im Kopf hat, wenn sie etwas zur Veröffentlichung freigibt. In keiner Weise kommt es dagegen laut BGH darauf an, ob diese Vorstellung von außen erkennbar ist, ob es irgendwelche Anzeichen gibt, was die Behördenleitung will oder nicht.
Dieser Absatz 2 erzeugt viel (Rechts-)Unsicherheit bei allen, die etwas urheberrechtlich Relevantes mit vom deutschen Staat produzierten Inhalten machen möchten. Doch selbst wenn offensichtlich klar ist, dass ein Inhalt nach Vorstellung der zuständigen Behördenleitung zur allgemeinen Kenntnisnahme gedacht ist, hält Absatz 2 noch zwei weitere Einschränkungen bereit: Diese Veröffentlichungen unterliegen dann nämlich – trotz fehlenden Urheberrechts – zusätzlich auch noch einem Änderungsverbot und einer verpflichtenden Quellenangabe.
Wie könnte ein besserer Paragraph für amtliche Werke aussehen?
Die Zielsetzung des Änderungsverbotes ist aus staatlicher Perspektive im Grunde nachvollziehbar. Denn es stellt sicher, dass die ursprüngliche, offizielle Veröffentlichung unverändert und im gedachten Kontext nachvollziehbar ist. Dazu bräuchte es aber kein gesetzliches Verbot, das z.B. gleich alle Open-Data-Nutzungen vereitelt. Vielmehr könnte sich der Staat gegen missverständliche oder missbräuchliche Nutzung heute problemlos durch eine kryptographische Signatur des Originals absichern: Die amtliche Veröffentlichung würde vom Bund signiert werden, und nur das so signierte Dokument wäre nachvollziehbarerweise das, was von der behördlichen Stelle herausgegeben wurde. Der Vorteil daran: Durch einen Verzicht auf das Änderungsverbot würde die Weiterverwendung staatlicher Informationen als Open Data nicht mehr blockiert.
Auch die Voraussetzungen, dass staatlicherseits erstellte Inhalte nur dann rechtefrei sind, wenn ihre „allgemeine Kenntnisnahme […] im amtlichen Interesse“ ist, sollte aus dem Gesetz gestrichen werden. Bisher muss aufgrund dieser Anforderung stets die Absicht der veröffentlichenden Behörde interpretiert werden.
Allerdings ist das Merkmal, dass es sich um veröffentlichte Inhalte handeln muss, sinnvoll. An dieser Stelle ist der Rahmen dessen, was zwingend zu veröffentlichen ist, dann durch Transparenzgesetze zu definieren. Was Behörden darüber hinaus eigenverantwortlich durch Veröffentlichung in den öffentlichen Raum geben, ist dann schlicht auf Basis dieses leicht steuer- und nachvollziehbaren Vorgangs urheberrechtsfrei und wiederverwendbar.
Eine Erweiterung des Geltungsbereichs von § 5 auch auf alle amtlich beauftragten Fachtexte oder idealerweise jegliche amtlich beauftragten Werke, würde noch deutlich mehr Rechtssicherheit herstellen und dem Umstand Rechnung tragen, dass die Allgemeinheit die Erstellung auch dieser Auftragswerke durch ihre Steuern und Abgaben ermöglicht hat. Die Arbeit der dabei beauftragten Dritten muss natürlich angemessen vergütet werden, das steht außer Frage.
Eine weitere positive Konsequenz, die sich ergäbe, wenn auch amtlich beauftragte Werke von der Ausnahme im Urheberrecht erfasst wären: Den öffentlichen Kassen würden langwierige Gerichtsverfahren wegen letztlich meist erfolgloser „Zensurheberrecht“-Klagen erspart – so wie im Falle des Glyphosat-Gutachtens, der Afghanistan-Papiere oder ganz aktuell der Klage des Freistaates Bayern gegen Markus Drenger. Der hatte Daten wiederverwendet, die der Freistaat ohnehin in absehbarer Zeit als High Value Datasets unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlichen müsste – und für die wir seit langem fordern, dass sie als Faktenbeschreibung unserer Realität gar nicht schutzfähig sein sollten.
(Das mit der Schutzfähigkeit von Fakten, bloß weil sie in Form von Datenbanken gesammelt vorliegen, ist jedoch eine weitere Baustelle. Sie geht weit über staatlichen Kontext hinaus und soll daher an dieser Stelle nur auf folgende Einsicht reduziert erwähnt werden: Die Einführung eines exklusiven “Datenbankherstellerrechts” in der EU Mitte der 1990er hat der europäischen Datenwirtschaft in keiner Weise genützt, wie die EU selbst inzwischen bei der Evaluation der entsprechenden EU-Richtlinie festgestellt hat. Davon ein andermal mehr.)
§ 5 gut, alles gut?
Es ist daher höchste Zeit, § 5 zu modernisieren. Wikimedia Deutschland fordert schon seit Jahren zumindest eine gesetzliche Vermutung, dass bei Fehlen anderslautender Hinweise amtlich erstellte Inhalte „andere amtliche Werke“ sind. Damit würde zumindest das Rätselraten um die Vorstellungen der Behördenleitungen beendet. Bei einem Parlamentarischen Frühstück des Bündnisses F5 auf Einladung des Digitalausschusses des Bundestags hat Urheberrechtsexperte Felix Reda konkrete Vorschläge zur Modernisierung gemacht.
Es bedürfte nur weniger Änderungen, um den Paragraph 5 auf den Stand der Zeit zu bringen:
- Die Definition amtlicher Werke muss möglichst weit gefasst werden – im Zweifel durch ein „amtliche Werke genießen keinen urheberrechtlichen Schutz“.
- Im amtlichen Auftrag erstellte Fachinhalte müssen solchen Werken gleichgestellt werden, die direkt von einer Behörde stammen.
- Da heute bei jeglicher Art amtlicher Inhalte davon auszugehen ist, dass in der Gesellschaft potenziell ein Interesse vorhanden ist, mit diesen Inhalten umzugehen, gehört der Faktor „amtlichen Interesses an allgemeinen Kenntnisnahme“ gestrichen.
- Angesichts des heute über das Internet für alle möglichen Zugriffs auf staatliche Repositorien, wird eine verpflichtende Quellenangabe obsolet. Auch die Ziele des bisherigen Änderungsverbots können durch digitale Signaturen genauso erreicht werden, ohne zugleich Open-Data-Prinzipien auszuhebeln. Quellenangabepflicht und Änderungsverbot sollten darum ebenfalls entfallen.
Damit wäre ein wichtiger Meilenstein erreicht für einen viel gemeinwohldienlicheren Umgang mit Inhalten, die vom Staat aus Mitteln der Allgemeinheit für die Allgemeinheit geschaffen werden.
Wikimedia-Reihe
„Monsters of Law“: Wo das Urheberrecht Open Data ausbremst
Was mit öffentlichem Geld finanziert ist, sollte allen frei zur Verfügung stehen. Das gilt auch für amtliche Werke. Allerdings sind nicht sämtliche Behördenpublikationen grundsätzlich gemeinfrei. Wie kann die aus den 1960ern stammende Regelung zu amtlichen Werken ins 21. Jahrhundert geführt werden? Diese Frage beleuchten wir in der aktuellen Ausgabe von „Monsters of Law“.
Unsere Gäste: Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Dr. Saskia Ostendorff, Rechtsanwältin für Medien- und Urheberrecht.
Die Vortragsfolien der Diskussion finden Sie hier bei Wikimedia Commons.
Ich finde euren Einsatz für Wissensfreiheit und -transfer super. Alles an Wissenschaft was der Staat mitfinanziert sollte auch öffentlich zugänglich sein. Viel Glück und einen langen Atem beim Ändern des §5 Urheberrechts.
Vielen Dank für den Zuspruch! Wir bleiben dran.