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Drei Tage WikiCon – eine persönliche Rückschau

Die diesjährige WikiCon fand vom 1.–3.10. im wunderschönen zentral gelegenen Kaisersaal Erfurts statt. Es war mit einem abwechslungreichen und interessanten Programm, kulinarischen Genüssen, weitläufigem ruhigen Außenbereich und dem stets unermüdlichem Einsatz der Organisierenden und unterstützenden Personen eine sehr gelungene Veranstaltung. Drei Tage lang zahlreiche und unterschiedliche Menschen miteinander zu verbinden, – welche sonst hauptsächlich in der digitalen Welt online miteinander kommunizieren –, stellt eine große Herausforderung dar.

Julia Gebert

19. Oktober 2021

So dachte ich zumindest. Es hat, soweit ich das beurteilen kann, alles sehr gut geklappt. Die Prozesse am Eingang, pandemiebedingt notwendig und sinnvoll, habe ich als sehr gut organisiert wahrgenommen. Beeindruckt hat mich auch die technische Infrastruktur. Nahezu jeder Raum war mit der notwendigen Technik ausgestattet sowie mit sogenannten „Raumengeln“, menschlichen Helfer*innen, welche unterstützten, falls es mal irgendwo haperte. Allgegenwärtig war auch das WLAN – wirklich essentiell –, und oft waren die Veranstaltungen per Stream, für online Teilnehmende zugänglich. Alle Räume waren gut auch ohne die zum Teil langen Wege per Fahrstuhl erreichbar. Lediglich die wenigen Sitzgelegenheiten im Bereich des Buffets waren möglicherweise Grund für eine längere Suche für einen Platz, um entspannt das leckere Essen zu genießen. Dazu hat sich, aufgrund des sehr schönen Wetters der großzügige Außenbereich, in Form eines Biergartens, angeboten. 

Seit etwa acht Monaten beteilige ich mich mehr oder weniger aktiv in der Wikipedia, und so war die WikiCon voller neuer Eindrücke. Vieles ist im persönlichen Austausch mit anderen sehr viel verständlicher geworden, und vor allem die Diskussionskultur war auf der Veranstaltung nicht vergleichbar mit dem oft rauen Ton, welcher online herrscht. Gleich zu Beginn, also noch vor der Begrüßung, gab es die ersten Lightning Talks, wo es 10 Minuten lang möglich war, ein eigenes Thema einzubringen. Dort habe ich auf die oftmals noch fehlende Barrierefreiheit hingewiesen: Was das überhaupt meint, wird zumeist nicht klar definiert. Beispielsweise gibt es keine Live-Untertitelung der Veranstaltungen. Möglicherweise verbessert die aktive Teilhabe von behinderten Menschen in der Wikipedia, wenn Anreize geschaffen werden, dass jede Person aktiv daran mitwirken kann, Zugang zu freiem Wissen für wirklich alle Menschen zu schaffen. 

Besonders gefallen hat mir die Verleihung der WikiEulen mit dem Orchester. Diese hat die vielfältigen Möglichkeiten, aktiv und kollaborativ an der Gestaltung der größten Enzyklopädie mitzuwirken, sehr umfangreich aufgezeigt. Vor allem die Wertschätzung der Community, welche sehr festlich und liebevoll Einzelne und deren Projekte mit einer Auszeichnung in Form einer kleinen Eule würdigte, war sehr beeindruckend. 

Auch die Themenvielfalt der Veranstaltung habe ich als großes Plus erlebt. Dies reichte von Werkzeuge in der Wikipedia, über Arbeitsweisen von Admins, der Diskussion ums bezahlte Schreiben, Funktion des Schiedsgerichts, freien Lizenzen und damit verbundenen Prozessen, bis zu Wikidata und Fördermöglichkeiten. Ich persönlich habe hier viel mitgenommen, da die vielen Workshops und Vorträge diese Themen veranschaulicht und damit verständlich gemacht haben. 

Sehr bestärkend fand ich auch die Präsentation und Anwesenheit von Mitwirkenden des FemNetz. Im Vorfeld hatte ich Bedenken, ob überhaupt Frauen auf der WikiCon anwesend sein würden. Völlig zu Unrecht. Es gab eine Reihe Veranstaltungen die sich mit Themen befassten wie: Der schmale Grat: Meinungsvielfalt vs. Hate Speech, wo es insbesondere um den Umgang miteinander und um Erfahrungen mit Übergriffen im Internet ging. Großes Thema war auch der fehlende Frauenanteil in der Wikipedia und was dagegen unternommen werden kann, insbesondere aktiv mitwirkende Autorinnen sind unterrepräsentiert. Im Vortrag:Wikipedia und der Gender Gap: Der Versuch einer strukturierten Übersicht, erfuhr ich beispielsweise, dass ich, sollte ich demnächst den 1000sten Edit tätigen, zum kleinen Zirkel der 300 aktivsten weiblich gelesenen Mitwirkenden gehöre. Die sprachlichen Unterschiede in manch historischen Wikipediaartikeln degradieren Frauen zu willenlosen Objekten, zu Gebärmaschinen und lassen sie überhaupt nur relevant als Mutter zahlreicher Kinder und an der Seite eines berühmten/bekannten Mannes erscheinen. Im Vortrag Sie gebar ihm viele Kinder“ – Relikte der Sprache des 19. Jahrhunderts in der Wikipedia wurden gleich parallel einige dieser noch über 200 Relikte geändert. Hinter jedem berühmten Mann stehen oftmals eine oder mehrere Frauen, welche scheinbar irrelevante Carearbeit leisten. Dass auch die Bildsprache eine männerdominierte ist, wo oft sexistische und unpassende Darstellungen von Frauen stehen bleiben und nur mit großem Widerstand verändert werden können, wurde im Vortrag Gemeinsam ist besser als allein – und was die Strumpfhose damit zu tun hat – sehr anschaulich. 

Natürlich war es unmöglich, an all den zahlreichen Vorträgen teilzunehmen. Doch unabhängig davon war für mich der Austausch mit anderen Wikipedianerinnen und Wikipedianern sehr angenehm und spannend. Es war eher so, als gäbe es, und das mit mir vorher völlig unbekannten Menschen, Gesprächsstoff für Wochen! Insgesamt werde ich die WikiCon mit sehr vielen angenehmen Begegnungen und Erinnerungen im Gedächtnis behalten. Nun muss ich erstmal schauen, wie das traditionelle Bestätigen der vielen persönlichen Bekanntschaften funktioniert … Bis zur nächsten WikiCon!

Über die Autorin:

Zartesbitter ist Ende Januar 2021 im Rahmen des Projektes Les sans pagEs/Lesbians* during the Holocaust zu Wikipedia gekommen. Durch Unterstützung von WomenEdit Berlin und dem Mentorenprogramm konnte sie sich mit den Grundlagen gut vertraut machen. Hauptsächlich editiert sie Frauenbiografien oder sichtet sie, nimmt an Edit-a-thons teil, um den Frauenanteil in verschiedenen Bereichen der Wikipedia sichtbarer zu machen. Einen thematischen Fokus hat sie nicht, möchte sich aber mehr auf Biografien rund um das Thema Homosexualität im Nationalsozialismus/ Queerer Holocaust konzentrieren.

  • Danke für diesen Beitrag. Ich war auch auf der WikiCon und kann vieles von dem bestätigen, was Du hier für uns alle aufgeschrieben hast. :) Vielleicht finden wir ja mal Zeit bei WomenEdit oder anderswo, um über den von Dir genannten Schwerpunkt im “Abspann” zu reden? Mir fallen mindestens zwei Möglichkeiten ein, sich in diesem Bereich besser zu vernetzen. Blumige ;) Grüße von Iva

    Kommentar von IvaBerlin am 20. Oktober 2021 um 18:01

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