Christopher Schwarzkopf
21. Juli 2021
Unter dem Titel “5 Jahre Vernetzung zu Offener Wissenschaft – Wo stehen wir heute?” fand am 18. Juni eine virtuelle Podiumsdiskussion statt, die sich der Frage widmete, wie sich Offene Wissenschaft seit dem Start des Fellow-Programms im Jahr 2016 verändert hat. Mit Katja Mayer, Kerstin Göpfrich, Rima-Maria Rahal und Dominik Scholl konnten wir vier Gäste für unser Panel gewinnen, die alle in unterschiedlichen Rollen am Fellow-Programm beteiligt waren. Moderiert wurde die Diskussion von Open Access-Expertin Christina Riesenweber von der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, die dem Programm und Wikimedia Deutschland seit vielen Jahren verbunden ist.
Als das Fellow-Programm ins Leben gerufen wurde, war Open Science zwar kein neues Phänomen, war jedoch in der Wissenschaft nicht verankert. Als sie selbst am Fellow-Programm teilnahm, sagte Kerstin Göpfrich, sei Offene Wissenschaft zwar bereits ein Thema gewesen, jedoch vor allem bei den Wissenschaftler*innen ihrer Generation, weniger bei den “Seniors”, die zu dieser Zeit bereits im Wissenschaftssystem etabliert waren. Dies habe ich im Laufe der vergangenen Jahre stark gewandelt, was auch daran läge, dass Prinzipien offenen wissenschaftlichen Arbeitens heutzutage Voraussetzung beim Funding seien, so Göpfrich. Auch Katja Mayer stimmte zu, dass das Thema nun “oben angekommen ist”, nachdem der Druck durch die Bottom-Up-Ansätze wie das Fellow-Programm stetig steige und die Vorteile Offener Wissenschaft inzwischen auch von der Politik verstanden würden. Es sei also davon auszugehen, dass die nachfolgenden Generationen in der Wissenschaft Offenheit viel stärker in ihrer Arbeit verankern können.
Gleichzeitig dürfe man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass nach wie vor tiefgreifende systematische Problematiken bestünden, die Wissenschaftler*innen davon abhalten offen(er) zu arbeiten, warnte Rima-Maria Rahal, es fehle sowohl an ausreichenden Förderstrukturen als auch an der entsprechenden Haltung. Tatsächlich ist die Zahl der Menschen, die Open Science praktizieren nach wie vor geringer als man vermuten könnte. Dies lässt sich anteilig auf nach wie vor bestehende Hemmnisse durch vorherrschende Reputations- und Anreizsystem zurückführen, liegt aber auch darin begründet, dass innerhalb der wissenschaftlichen Community immer noch zu wenig Wissen über und Austausch zu mit Open Science bestehen. Dementsprechend mangelt es auch an Angeboten zur Qualifizierung sowie an Best-Practice Beispielen. In diese Lücke wollte Wikimedia Deutschland damals auch mit dem Fellow-Programm stoßen. Neben den notwendigen Top-Down Impulsen auf politischer und institutioneller Ebene ist es für die weitere Entwicklung hin zu einer offen(er)en Wissenschaft wichtig, dass die Wissenschaftler*innen auch selbst diesen Prozess mitgestalten und vorantreiben, allerdings nicht individuell auf einsamer Mission, sondern vernetzt und gemeinsam.
90 Menschen aus insgesamt 69 wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland, Österreich der Schweiz, Dänemark und den Niederlanden haben im Laufe der fünf Jahre das Programm durchlaufen und eine wachsende Community gebildet. Aus diesem Netzwerk heraus wurden zahlreiche vielversprechende Initiativen zur Förderung Offener Wissenschaft initiiert, von gemeinsamen Veranstaltungen und Konferenzen über Fachbeiträge bis hin zur Gründung von Open Science-Arbeitsgruppen auf der Ebene von Institutionen und Fachdisziplinen. So veröffentlichten beispielsweise im vergangenen Jahr mehrere ehemalige Fellows und Mentor*innen im Kontext der Corona-Pandemie gemeinsam das Paper “Open Science, but Correctly! Lessons from the Heinsberg Study”, das untersucht, welche Erkenntnisse für Offene Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation sich aus der Debatte um besagte Studie ableiten lassen.
Den Wert der entstandenen Community-Strukturen für die eigene wissenschaftliche Karriere unterstrich auch die ehemalige Fellow und letztjährige Mentorin Rima-Maria Rahal im Rahmen der Podiumsdiskussion. Sie habe durch ihre Teilnahme am Programm viele Menschen kennengelernt, die ihre Haltung zu guter und offener Wissenschaft teilen und von denen sie wisse, dass sie gut mit ihnen zusammenarbeiten könne, was die Wahrscheinlich der Entstehung neuer Projekte und Initiativen erhöhe. Katja Mayer wies darauf hin, dass das Fellow-Programm einen starken Multiplikationseffekt habe entfalten können und daher als gutes Beispiel für eine gelungene Grassroots-Kampagne gesehen werden müsse. Das Programm habe einen starken Beitrag dazu leisten können, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu befähigen und besonders die institutionelle Autorität durch Wikimedia im Hintergrund habe dabei sehr geholfen.
Natürlich kann der Wandel hin zu mehr Akzeptanz und Förderung von Offenheit und Transparenz in der Wissenschaft nicht alleine durch einen Bottom-Up-Ansatz gestaltet werden. Aufbauend durch unser Verstärktes Engagement im Bereich Open Science haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder auch aktiv an der Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen mitgewirkt.
Das Thema Open Science ist in den letzten Jahren verstärkt in den Institutionen angekommen. So verfügen mehr und mehr Universitäten über entsprechende Policies oder Büros und machen praktische Open-Science-Erfahrung zum Einstellungskriterium. Open-Science-Initiativen gewinnen an Anzahl und Größe. Sogar die UNESCO-Generalkonferenz hat im November 2019 beschlossen, in diesem Jahr weltweite Standards für Open Science zu verabschieden und diese Woche findet die 2. Open Science Conference der UN statt.
Insgesamt deuten die Entwicklungen darauf hin, dass offenes Arbeiten heute mehr als vor fünf Jahren als selbstverständlicher Teil des wissenschaftlichen Arbeitens angesehen wird. Es werde inzwischen immer schwerer, nicht mehr Open Science zu betreiben, sagte Kerstin Göpfrich. Gerade bei bekannten Journals, wie etwa Nature et al., werde dies immer mehr gefordert.
Im nächsten und letzten Beitrag aus dieser Reihe wollen wir den Fokus darauf lenken, wo die zukünftigen Herausforderungen für die (offene) Wissenschaft liegen und wie wir diesen begegnen wollen. Dabei steht vor allem das Konzept der Knowledge Equity im Vordergrund.