Lilli Iliev
Bernd Fiedler
John Weitzmann
5. Dezember 2019
Dieser Blogbeitrag ist auch als Gastbeitrag bei Netzpolitik.org erschienen.
Im November hat die Bundesregierung das Eckpunkte für eine Datenstrategie [PDF] beschlossen. Das Papier zeugt von dem Wunsch, es allen recht zu machen: Einerseits betont die Regierung, die datengetriebene Wirtschaft nebst digitalisierter Verwaltung fördern zu wollen. Andererseits will sie die stets als einmalig hoch gepriesenen Datenschutzstandards Europas und Deutschlands halten.
Doch schon zu Beginn des Papiers schlägt ersichtlich die Realität zu. Dort heißt es, die Datenstrategie sei „ein Baustein zu einer europäischen Vision für das Datenzeitalter“, die es gemeinsam mit den europäischen Partnern erst noch zu entwickeln gelte. Und sogar die Datenstrategie selbst ist nicht etwa schon da, sondern wird im Papier lediglich angekündigt. Insofern fragt sich, ob dies einmal mehr bloße Ankündigungspolitik ist.
Daten-Pool statt Daten-Silo
Die in den Eckpunkten angesprochene Pflicht zur Teilung von Daten für fairen Wettbewerb, für den Zugriff der Forschung sowie für gemeinwohlorientierte Projekte ist keine neue Idee der Bundesregierung. Impulspapiere mehrerer Parteien, aber auch der Stiftung Neue Verantwortung schlagen Wege zum Daten-Pooling vor, also zur Zusammenführung und gemeinsamen Nutzung unterschiedlicher Bestände.
Dies zielt auf große Marktakteure und ihre gesammelten Daten, an die alle anderen nicht herankommen, was derzeit mutmaßlich ganze Branchen gar nicht erst entstehen lässt. Wettbewerb und Chancengleichheit gibt es unter diesen Umständen nicht. Der jüngste Referentenentwurf des Wirtschaftsministeriums [PDF] zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen will dieses Problem entsprechend der Empfehlungen der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 angehen. Diese schreibt:
Damit hieraus [aus Datenmonopolen] resultierende Machtpositionen angreifbar bleiben, ist in diesen Fällen ein Zugang zu Daten zu gewährleisten, der wettbewerblichen Druck (wieder)herstellt. Missbräuchliche Datenzugangsverweigerungen können und sollten nach geltendem Recht als Wettbewerbsverstoß identifiziert, Anordnungen zum Datenzugang können getroffen werden.
Die Kommission regt dazu auch eine Art nichtstaatlicher Daten-Treuhänder an. Sie sollen die von Unternehmen bereitgestellten Daten aggregieren, anonymisieren und dann zur Verfügung stellen. Aus Sicht von Wikimedia Deutschland müsste die Aufgabe des Daten-Treuhänders sein, möglichst allgemeine Zugänglich- und Nutzbarkeit sicherzustellen. Das findet sich nun ähnlich auch in den Eckpunkten der Bundesregierung wieder: Daten zu teilen, zu verknüpfen und zu nutzen, sei Grundlage für technologische Innovation, für das Generieren von Wissen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ziel der (kommenden) Datenstrategie sei daher, Datenmonopole in Zukunft zu verhindern.
Damit liegt man nie falsch, denn niemand mag Monopole. Wer aber erwartet hatte, aus den Eckpunkten zumindest ein klein wenig über das Wie zu erfahren, wird enttäuscht. Es wird nicht im Ansatz erklärt, wie etwa unter einen Hut gebracht werden soll, dass die Silos zwar überwunden werden sollen, viele Daten aber erst durch massive Aggregation und Verknüpfung von Diensten ihren wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Wert erhalten.
Die Antworten müssen dann wohl dem in den Eckpunkten angekündigten „breiten Beteiligungsprozess“ überlassen werden – oder vielleicht auch erst der eigentlichen Datenstrategie, die dieser Prozess „bis Frühjahr 2020“ vorbereiten soll.
Wer zuletzt lacht, überwacht am Besten
Gerade die über Nutzungsverhalten gesammelten Daten sind sensibel. Daten können im Nachhinein von der Forschung, journalistisch, aber auch böswillig de-anonymisiert werden. Manche unverdächtige Datensets können in der richtigen Zusammenstellung Rückschlüsse auf einzelne Personen geben, bis hinein in detaillierte Bewegungsprofile. Das macht gerade Vorratsdatenspeicherung so gefährlich.
Aus diesem Grund hat sich auch über die zivilgesellschaftliche Debatte verständlicherweise eine Art Datenschutz-Mehltau gelegt. Das ist eine unvermeidliche Folge des zunehmenden Bewusstseins über persönliche Datenspuren im Internet und sollte von allen Seiten akzeptiert werden. Aber bitte konkret: Wie hoch soll die im Eckpunktepapier immer wieder genannte „verantwortungsvolle Nutzung“ von Daten gehängt werden gegenüber dem Wunsch nach mehr Innovation? Wie einfach oder aufwendig darf De-Anonymisierung gerade noch sein, um nicht zum grundrechtlichen Show-Stopper zu werden für die schöne neue Innovationswelt?
Öffentliches Geld? Öffentliches Gut!
Verantwortungsvolle Datennutzung, gemeinwohlorientierte Initiativen, Experimentierräume – das Eckpunktepapier zur Datenstrategie liest sich wolkig weich. Es betont in einem eigenen Abschnitt sogar den Plan, den Staat zu einem großen Vorbild in Sachen Datenumgang zu machen. Kanzleramtsminister Braun will sich dabei auch an die höchst eigene Datennase fassen und sagte vor kurzem dem Tagesspiegel, Bürgerinnen und Bürger könnten vom Staat erwarten, dass die mit öffentlicher Finanzierung gesammelten Daten auf gewisse Weise auch öffentlich zur Verfügung stehen.
Das fordern Bürgerrechtsinitiativen, Freiwilligenprojekte und zivilgesellschaftliche Organisationen bereits seit Jahren. Wikimedia Deutschland nennt es: Öffentliches Geld – öffentliches Gut! (#ÖGÖG). Es scheint nun auch bei der Bundesregierung in diese richtige Richtung zu gehen.
Trotzdem bleibt bei der Lektüre der Eckpunkte ein Beigeschmack der zigsten Absichtserklärung ohne sichtbare Konsequenz. In der Praxis drosseln mangelnde Ressourcen, Angst vor Kontrollverlust und fehlender Wille gerade in den Behörden das digitale Frühlingserwachen. Die Eckpunkte lassen allenfalls erahnen, dass man weiß, dass es bei Open Data auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung hakt. Ob man wohl ebenfalls weiß, dass dies oft genug damit zu tun hat, dass die Öffnung als unverbindliche Option für Behörden gefasst ist und ohne entsprechende Haushaltsmittel daherkommt?
Die Pflicht – noch nicht einmal die Kür
Das Mindeste, was am Ende des vom Eckpunktepapier skizzierten Prozesses stehen muss, ist dreierlei:
- Das Papier wünscht sich die Entstehung einer „Datenkultur“, wie mit Formulierungen wie „kollaborativen Arbeitsmethoden, auch in genossenschaftlichen wie gemeinwohlorientierten Initiativen“, „agilen Prozessen“ und „Nachnutzung und Transparenz“ umschrieben wird. Dafür braucht es konkrete Vorschläge, wie der dafür notwendige Sinneswandel in der öffentlichen Verwaltung gelingen soll, und wie „Open by Default“ in allen Bereichen staatlichen Handelns etabliert werden kann.
- Die angekündigte Analyse, „welche Anreize für Unternehmen, zivilgesellschaftliche Akteure und gemeinnützige Träger“ nötig sind, muss die Interessen der Nutzenden, der Bürgerinnen und Bürger, wichtiger nehmen, als die der Wirtschaft. Alles andere gab es schon und hat zu den heutigen Zuständen geführt.
- In der Digitalisierungsstrategie muss die Bundesregierung endlich deutlich aussprechen, dass Daten als Transportform von Information keine privatisierbare Ressource sind und deshalb keiner Eigentumslogik unterworfen werden dürfen – auch nicht im gut gemeinten Sinne des Datenschutzes. Weil Regulierung von Daten(zugang) immer auch Regulierung von Information ist, muss vielmehr der Schutz der Informationsfreiheit höchste Priorität haben.
Zur Kür würden dann Dinge gehören wie: Ernst gemeinte Experimente mit deliberativen Formaten, ein endgültiger Abschied von staatlichen Großprojekten wie De-Mail und ein unmissverständliches Bekenntnis zu Verschlüsselung als schützenswertem Gut und gegen die Nutzung von Zero-Day-Sicherheitslücken durch staatliche Stellen.
Ob sich das Warten lohnt?