WMDE allgemein
21. September 2019
Laut einer repräsentativen Umfrage beauftragt der Landesmedienanstalt NRW (LfM) sehen 61 Prozent der Befragten Fake News als ernsthafte Gefahr für die Demokratie. Sei es in den USA, Brasilien oder Indien, die direkten Auswirkungen der Verbreitung von Falschmeldungen mit manipulativer Absicht insbesondere auf sozialen Medien sind schnell zu erkennen: Sie erreichen die obersten Ebenen der Machtstrukturen und können die politische Polarisierung in eine ungekannte Größenordnung treiben. Dadurch stellen sich Fragen, wie dieser Desinformation zu begegnen ist: Ist sie in Deutschland eher eine Aufgabe der Cyber-Außenpolitik oder der Innenpolitik? Und wo werden die Grenzen zwischen bloß falschen Nachrichten und erlaubten Lügen einerseits, und bewusst manipulativ eingesetzten “alternativen Fakten” andererseits gezogen?
Am Vorabend des XI. Internet Governance Forum Deutschland (IGF-D) hat hierzu eine weitere Diskussion der Veranstaltungsreihe Networks & Politics stattgefunden. Organisiert wurde sie vom Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) und dem Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), unterstützt durch Wikimedia Deutschland, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und ICANN. Die diesmalige Ausgabe hat sich dem Thema Desinformation in Deutschland gewidmet. Durch das Panel führte Dr. Julia Pohle, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der WZB Forschungsgruppe “Politik der Digitalisierung” und Co-Chair für Zivilgesellschaft und Wissenschaft im IGF-Deutschland.
Es diskutierten:
Martyna Bildziukiewicz, Informations- und Kommunikationsbeauftragte im Europäischen Auswärtigen Dienst/ European External Action Service (EEAS)
Andreas Kindl, Beauftragter für strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt
Matthias C. Kettemann, Forschungsprogrammleiter “Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen” am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI)
Semjon Rens, Manager Public Policy, Facebook & Instagram
Alice Echtermann, Journalistin, CORRECTIV.Faktencheck
Was tun die Europäische Union und die deutsche Außenpolitik gegen ‘Fake News’?
Die Informations- und Kommunikationsbeauftragte im Europäischen Auswärtigen Dienst Martyna Bildziukiewicz präsentierte zunächst die Ansätze der EU zur Bewältigung von Desinformation. Anhand des Beispiels vom Kreml lancierter Desinformation in der EU hat Frau Bildziukiewicz Daten der Investitionen aus dem Staatshaushalt der Russischen Föderation an Rossija Sewodnja und an RT gezeigt. Die Ziele der Kampagne konnte man klar feststellen: Statt einseitig pro-russische Propaganda zu verbreiten wird versucht, die Bevölkerung in der EU mit vielen nebeneinander stehenden Alternativ-Wahrheiten zu verunsichern und Bürgerinnen und Bürger so letztlich davon abzuhalten, wählen zu gehen oder irgendeinem politischen Lager noch zu vertrauen. So solle indirekt eine Schwächung westlicher Staaten und Staatenbünde erreicht werden. Ihr Team beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Monitoring kreml-gestützter Kampagnen in der EU, insbesondere in den Westbalkanländern. Inhaltlich analysieren sie und ihre Kolleginnen und Kollegen Daten, Narrative und Trends im Desinformationsdiskurs und versuchen das Bewusstsein für Desinformation zu erhöhen und Resilienz zu stärken. Dazu arbeitet ihr Team an einem europäischen Aktionsplan gegen Desinformation.
Als nächstes wurde die Arbeit der deutschen Außenpolitik im Umgang mit Desinformation vorgestellt. Andreas Kindl, Beauftragter für strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt, stellte Analysen manipulativer Narrative dar, die im Ausland entstehen, und ging auf den Resilienzaufbau deutscher Botschaften im Umgang mit verschiedensten Falschmeldungen als Schwerpunkte ein. Trotz zunehmender Relevanz in der politischen Agenda ist der Umfang des Themas in der gesamten Arbeit des Auswärtigen Amts noch gering: Es entspricht ca. 10 Prozent der allgemeinen Handlungsfelder.
Soziale Medien und Desinformation: Können Social Bots diese Symbiose durchbrechen?
Fake-News-Kampagnen waren in den letzten Jahren besonders erfolgreich, indem sie in sozialen Medien Nährboden gefunden haben, sich schnell zu verbreiten und somit Millionen von Menschen zu erreichen. Nun stellte sich die Frage, ob sich marktdominante Unternehmen wie Facebook ihrer sozialen Rolle in diesen Prozessen in ausreichendem Maße bewusst sind und welche Maßnahmen von ihnen ergriffen werden, um Desinformation zu bewältigen.
Semjon Rens, Manager für Public Policy bei Facebook, hat einige dieser Maßnahmen verdeutlicht. Das Unternehmen beobachtet ein zunehmendes Interesse von staatlichen und privaten Akteuren, die Integrität des politischen Diskurses zu schützen. In diesem Sinne hat Facebook das Handlungsfeld Information Operations definiert. Mithilfe von Social Bots beschäftigen sich dort ca. 50 Angestellte mit Berufserfahrung aus Sicherheitsbehörden mit der Identifizierung von inauthentic behavior, also koordiniertem Verhalten von Fake Accounts. Herausfordernd zeigt sich dabei die Unterscheidung zwischen klassischen Desinformationskampagnen und solchen, bei denen legitime Informationsquellen verwendet werden um desinformierte Diskurse zu streuen. Der Hintergrund für diese Art von Kampagnen ist recht klar: Sie sind ökonomisch motiviert und werden oft von politischen Parteien finanziert.
Der zweite Arbeitsschwerpunkt bei Facebook setzt sich mit der Inhaltsanalyse auseinander. Hierfür sei die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen, wie dem CORRECTIV.Faktencheck und der Deutschen Presse-Agentur zentral. Die Kooperation umfasst das direkte Labelling mit Hinweisen nach dem Inhaltscheck und Angebote klarstellender Artikel, die informativer sein sollten als der geteilte Inhalt selbst (letzteres befindet sich noch im Test). Bezüglich der Kriterien für eine Inhaltskategorisierung erklärte die Journalistin Alice Echtermann, welche Kriterien bei CORRECTIV.Faktencheck verwendet werden. Informationen werden dort nach dem folgenden Spektrum kategorisiert: völlig falsch (komplett erfunden), teilweise falsch, richtig und unbelegt. Zusätzlich betonte sie, dass Meinungen und nicht-täuschende Satire nicht gecheckt werden.
Im Vergleich zu Facebook ist die Datenanalyse bei Whatsapp aus datenschutzrechtlichen Gründen komplexer. Da die Nachrichten verschlüsselt sind, ist die einzige komplett nachweisbare Information in der App die Telefonnummer der jeweiligen Nutzerin bzw. des jeweiligen Nutzers. Die bekanntesten Desinformationskampagnen, bei denen Whatsapp als Medium genutzt wurde, waren die Wahlkampagnen in Brasilien und Indien. In beiden Ländern sei der geringere Bildungsgrad in Sachen Digital Literacies eine zusätzliche Herausforderung bei der Aufklärungsarbeit zu ‘Fake News’. In diesem Sinne hat Facebook beispielsweise eine Fernsehkampagne in Indien durchgeführt, in der erklärt wurde, was man vor/beim Teilen einer Information beachten sollte.
Juristische Perspektive: Dürfen Menschen nach dem Gesetz ‘Fake News’ verbreiten?
Matthias C. Kettemann erläuterte in diesem Kontext das Grundrecht der Meinungsfreiheit, was praktisch bedeutet, dass jeder Mensch das Recht hat, falsche Aussagen über Objekte zu treffen. Kurzgesagt: Lügen ist grundsätzlich erlaubt. Das gilt allerdings schon nicht mehr uneingeschränkt für Aussagen über Personen, denn nach dem Strafrecht ist Verleumdung strafbar. Dr. Kettemann sieht hier eine notwendige Debatte zwischen Legitimität und Legalität, was die Regulierung von Desinformation betrifft. Aus seiner Sicht sind Argumentationen aus der völkerrechtlichen Perspektive ein guter Weg, genauere rechtliche Rahmenbedingungen im Kontext von Desinformation zu definieren.