Am Dienstag, den 10.10.2017, durften wir zahlreiche Gäste zu einer ganz besonderen Veranstaltung in der Reihe Networks & Politics bei uns in Berlin begrüßen: Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik an der FU Berlin und Direktorin des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft, diskutierte mit dem Philosophen Luciano Floridi von der Oxford-Universität über den Begriff des Dateneigentums. Floridi ist Professor der Philosophie und der Informationsethik, außerdem leitet er das “Digital Ethics Lab” des Oxford-Internet-Instituts. Hier das Video der Veranstaltung (englisch).
Eigentumsrecht an Daten? Große Akteure profitieren, unkalkulierbare Zahl an Rechteklärungen resultiert
Eines der umfassendsten digitalen Gemeingüter droht zu Ware zu werden: Daten. Wo heute „nur“ der Zugang zu Daten als handelbares Gut existiert, könnte zukünftig ein vollwertiges Eigentum an den Daten selbst etabliert werden – und damit letztlich an Information. Eine akademische Diskussion darüber wurde bereits vor über einem Jahrzehnt geführt und die Idee eines „Dateneigentums“ seinerzeit verworfen.
Als zu groß wurden die negativen Nebeneffekte gesehen, sodass das gesellschaftliche Bedürfnis, Daten nicht bestimmten Akteuren als ihr Eigentum zuzuordnen, sondern sie im Sinne aller freizuhalten, überwog. Gemeint sind hier wohlgemerkt Daten schlechthin, von denen die personenbezogenen Daten nur einen Teil darstellen und für die mit den Datenschutzregeln eigene Schutzmechanismen bereits bestehen.
Doch die Goldgräberstimmung rund um den Big-Data-Hype hat die alten Begehrlichkeiten neu geweckt, vor allem in den Wirtschaftsbereichen Mobilität und Kommunikation. Und auch unter den Datenschutz-Hardlinern sind manche der bisherigen, auf informierter Einwilligung fußenden Mechanismen müde. Dabei ist für die informationelle Selbstbestimmung gerade erst europaweit eine neue Rechtsgrundlage geschaffen worden, die EU-Datenschutzgrundverordnung. Auch für die übrigen, nicht personenbezogenen Daten gibt es mit dem Datenbankherstellerrecht in Europa bereits einen Exklusivschutz zumindest für die elektronischen Behälter, in denen fast alle Daten aufbewahrt werden.
Wenn nun zusätzlich auch noch die Daten selbst, also etwa das Datum [Durchschnittstemperatur in Berlin im Herbst], einen Eigentümer bekämen, würde das eine unkalkulierbar große Zahl an Rechteklärungen und neuen Zuordnungskonflikten bringen, wodurch alle bis auf die ganz großen Akteure von der Landkarte der datennutzenden Wissensgesellschaft verschwinden würden. Wikimedia Deutschland setzt sich deshalb dafür ein, Daten als Träger von Information und Wissen frei von Eigentumsrechten zu halten und die informationelle Selbstbestimmung zu stärken.
Networks & Politics zu “Dateneigentum”
Im Rahmen der von WMDE unterstützten Veranstaltungsreihe Networks & Poltitics sprachen nun Luciano Floridi undt Jeanette Hofmann über die ethische Dimension des Dateneigentums. Ausgehend von Floridis bekanntem Buch “Die 4. Revolution. Wie die Infosphäre unser Leben verändert” führte der Informationsethiker aus, dass sich durch die Digitalisierung und die damit entstehenden neuen Technologien das Selbstverständnis des Menschen ändert und sie daher noch bedeutender ist als die meisten anderen technologischen Revolutionen, die wir erlebt haben. Durch diese 4. Revolution sind wir auch nicht mehr das Zentrum der Sphäre der Information, z. B. sind wir nicht mehr die einzigen, die Schach spielen oder ein Auto parken können und müssen eventuell erkennen, dass wir als Menschen überhaupt nicht im Zentrum von etwas stehen.
digital public space
Floridi nimmt an, dass man den digitalen Raum beim Entstehen noch anpassen, gestalten und regulieren hätte können. Hätte man von Beginn an einen anderen Weg gewählt, hätte z.B. auch Facebook wie die Wikimedia-Projekte als ein communitybasiertes Netzwerk entstehen können. Fälschlicherweise wurde angenommen, dass hier ein normaler neuer Markt, wie bei Strom, Öl etc. entstehe, den man nach der Entstehung dann regulieren könne. Dieser Irrtum sei jedoch aufgrund der Komplexität des Digitalisierungsprozesses niemandem vorzuwerfen. Denn es sind nicht nur digitale Dienstleistungen entstanden, sondern mit dem digital public space (vergleichbar mit dem nicht-digitalen öffentlichen Raum) ein tatsächlicher sozialer Raum, in dem wir unsere Zeit verbringen. So konnte der digital public space nicht gezielt durch die Gesamtgesellschaft, sondern durch (Internet-)Unternehmen nach marktwirtschaftlichen Vorstellungen gestaltet werden.
Was sind Daten?
Bevor in der Diskussion nochmal konkret auf das Dateneigentum eingegangen wurde, wurde zunächst definiert, was genau Daten überhaupt sind. Floridi definiert Daten als eine Sammlung von Unterschieden. Ohne Unterschiede hat man also auch keine Daten. Wenn diese Unterschiede eine bestimmte Ordnung erhalten und nicht zufällig kommen, so bekommen sie eine Bedeutung und erst dann kann man auch Informationen aus ihnen ziehen. Diese Informationen sind Teil der Welt, für die Welt oder über die Welt.
Privatsphäre und Dateneigentum
Menschen betrachtet Floridi u. A. als “informational organisms”, Informationen sind zwar nicht alles was den Menschen ausmacht, aber eine Möglichkeit, ihn zu betrachten. Der Mensch besteht also aus Informationen, einige davon sind mehr oder weniger privat, einige kann man ohne weiteres mit der Öffentlichkeit teilen, aber es gibt einen Kern, der ausmacht wer man ist, das Ich. Über diesen Kern will man selbst entscheiden, wem man wie viele Informationen über sich preisgibt. Diese Informationen besitzt man wie seine Hand oder Organe, nicht wie z. B. eine Krawatte.
Wenn es um Privatsphäre geht und darum, diese zu begründen, hat Floridi jedoch einen anderen Ansatz als einige Datenschützer, er geht den Weg nämlich nicht über Eigentum, sondern über Menschenwürde. Denn wenn man etwas besitzt, wie z. B. ein Auto, kann man zwar bestimmen was damit passiert, wie es genutzt wird etc., aber man kann es eben auch verkaufen und so den Besitz abtreten.
Deswegen verfolgt Floridi den Ansatz über die Menschenwürde. Genauso, wie wir unsere Körperteile keinesfalls zum Verkauf stellen können, egal wie viel Druck ein Markt ausübt, da es entgegen der Menschenwürde ist, sollten wir auch diesen Kern an Informationen behandeln und so Privatsphäre begründen.
Zum Abschluss der Diskussion stellte Floridi, angesprochen auf die Frage, was er denn z. B. einer EU-Regulierungsbehörde raten würde, was in diesem Bereich zu tun sei. Zum einen sollen wir “benefit-share” betreiben und Daten sozial nutzen. Sie gehören allen, wir sollten sie also auch verwerten und einen Nutzen daraus ziehen, der allen zu Gute kommt. Als Beispiel nennt er den Bereich Medizin: Mit Hilfe von geteilten medizinischen Forschungsdaten könnten große Fortschritte erreicht werden, deshalb sollten diese auch viel stärker genutzt werden dürfen.
Was den Menschen im Innersten zusammenhält
Als zweites stellte Floridi klar, dass es einige personenbezogene Daten geben muss, eben diesen Kern der uns ausmacht, die niemals gehandelt oder in anderer Form genutzt werden dürfe, egal welchen Nutzen diese evtl. für die Gesellschaft haben könnten.
Als drittes würde er raten, dass wir uns deutlich mehr auf nicht-personenbezogene Daten konzentrieren. Dort gibt es so viele Daten, die genutzt werden können und ein enormes Potential haben, daher sollten diese viel mehr im Mittelpunkt stehen und nicht die personenbezogenen Daten, die nur aufgrund ihres kommerziellen Nutzens in Werbung o. Ä. so im Fokus sind. Auf die Frage, was die Regulierungsbehörde wohl antworten würde, sagte Floridi: “Oh jetzt nicht. Wir haben gerade Wahlen”…
Hallo Marcus, in der Wikimedia:Woche https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Wikimedia:Woche/051017 haben wir die Veranstaltung angekündigt. Viele Grüße! Lilli
Wurde das nach aussen kommuniziert? Ich kann mich gar nicht erinnern, etwas davon mitbekommen zu haben.