Die Begrüßungsrede von Tim Moritz Hector (Vorsitzender des Präsidiums) anläßlich des ersten deutschen WikiLibrary Barcamps in Dresden am 3.12. 2016. Eine Gemeinschaftsveranstaltung von Netzwerk Bibliothek von Deutschen Bibliotheksverband, der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden und Wikimedia Deutschland.
Crowds sind keine Krauts
Vor hundert Jahren um diese Zeit war “krauts” ein böses Wort für feldgraue Soldaten. Engländer bezeichneten damit im Ersten Weltkrieg ihre deutschen Gegner. Sie machten sich lustig über den Kohlgeruch aus den deutschen Frontküchen, der angeblich den Gegnern anhafte. Heute denken wir bei “crowds” an etwas anderes. Gemeint sind Menschen, die sich meist ehrenamtlich im Netz engagieren. Völlig geruchslos im Übrigen.
Citizen Science, Digital Humanities, crowd sourcing, community. Die Anglizismen mögen einige stören. Sie sind aber ein Ausdruck für das Grenzen überschreitende Zusammenarbeiten vieler Menschen auf der ganzen Welt. Die globale Community von Geisteswissenschaftlern half den Bibliothekaren der Anna-Amalia Bibliothek in Weimar, Bücher, deren Einbände und Vorsatzblätter verbrannt waren, über Textfragmente zu identifizieren.* In Citizen Science Projekten tragen Menschen von allen Kontinenten Wetterdaten aus historischen Logbüchern für die Erforschung des Klimawandels zusammen** oder klassifizieren Sternformationen***. Und jüngst gelang den Digital Humanities, ein Fragment eines Theaterstückes über Thomas Morus des 17. Jahrhunderts einwandfrei Shakespeare zuzuordnen.**** All diesen Einzelereignissen sind zwei Dinge gemeinsam: Sie sind nur möglich, weil viele Menschen zusammenarbeiten und weil diese Zugriff auf dieselben digitalen Daten haben.
Nicht Einbahnstraße, sondern Dialog
Genau das geschieht in der Wikipedia. Menschen weltweit tragen gemeinsam Wissen in Form von enzyklopädischen Beiträgen zusammen. Es gibt aktuell 293 Sprachversionen, die jeden Monat von über einer halben Milliarde Lesern besucht werden. Vor zwei Wochen wurde in der deutschsprachigen Wikipedia der 2.000.000 Artikel gefeiert. Das schafft die “Crowd”. Das eine sind Freiwillige, die in ihrer Freizeit lieber Enzyklopädie-Artikel schreiben, Fehler korrigieren oder Bilder zu den Artikeln hochladen, als Kaninchen zu züchten oder Kohl in der Laubenkolonie anzubauen. Das andere sind die Freien Lizenzen, die es erlauben, dieses Wissen weiter zu verwenden. Zum Beispiel um in der Gemeinsamen Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek Personen und Orte mit vertiefender Information aus Wikipedia zu verbinden. Man muss nur richtig referenzieren! Darin sind Bibliothekare Spezialisten. Uns von Wikimedia Deutschland geht es um die Förderung des Freien Wissens durch diese Nachnutzung. Nicht als Einbahnstraße, sondern als Dialog. Als Pate für das WikiLibrary Barcamp warb ich mit:
„Ich komme gern zum WikiLibrary Barcamp, weil in der Zusammenarbeit zwischen digitalen Wissensprojekten wie der Wikipedia und Bibliotheken ein großes Potenzial liegt, das wir noch besser ausschöpfen müssen, um unserem Anspruch – der Verbreitung des Wissens – gerecht zu werden.”
Was heißt das konkret? Wir können heute hier miteinander besprechen, das Wissen in den Bibliotheken mehr Menschen – den crowds – nachnutzbarer zu machen. Wer, wann, wo, was und wie können wir heute hier gemeinsam entwickeln. Erzählen Sie uns von Ihren Ideen. Wir Wikipedianer können uns vorstellen: Buchscans von gemeinfreien Werken in Wikisource OCR lesbar zu machen. Bibliotheken als Orte der Begegnung für digital arbeitende Freiwillige der Wikipedia Community noch stärker zu öffnen. Mit freiem digitalem Bild- und Textmaterial neue Anwendungen zu kreieren, wie beim Kulturhackathon Coding da Vinci. Oder schenken Sie Wikipedia zum 16. Geburtstag im Januar ein wenig von Ihrer Zeit. Machen Sie mit bei der internationalen Aktion #1Lib1Ref und ergänzen Sie eine fehlende Literaturangabe in einem Wikipedia-Artikel Ihrer Wahl.
Dank
Ich danke Ihnen allen für Ihren Willen, hier in Dresden einander zuzuhören und sich gegenseitig zu begeistern. Ich danke den Partnern: dem Netzwerk Bibliothek des Deutschen Bibliotheksverbandes namentlich Herrn Frank Scholze und Frau Maiken Hagemeister; der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, namentlich Herrn Dr. Achim Bonte und Frau Annemarie Grohmann für die gemeinsamen Anstrengungen das erste WikiLibrary Barcamp in Deutschland zu ermöglichen. Ich möchte mich auch bei meinen Ko-Paten Antje Theise von der Staatsbibliothek Hamburg, bei Lambert Heller von der Technischen Informationsbibliothek Hannover und bei Stephan Bartholmei von der Deutschen Digitalen Bibliothek für ihr Engagement bei der Bekanntmachung der Veranstaltung bedanken. Möge das WikiLibrary Barcamp ein zeitgemäßer Beleg für den guten Klang von “crowds” werden.
(4622 Z)
Fußnoten und weiterführende Information:
* http://www.zeit.de/2013/01/Anna-Amalia-Bibliothek-Buecher
** https://www.oldweather.org/
*** http://www.citizensky.org/
**** https://en.wikipedia.org/wiki/Sir_Thomas_More_(play)
Projektseite: Wikilibrary Barcamp mit Dokumentation