Ein GLAMouröses Wochenende zwischen Berlin, Stuttgart und Hamburg
Das Wochenende fing am Freitagmorgen an. Es galt möglichst rasch von Berlin nach Stuttgart – nein, präziser – nach Kornwestheim zu kommen, denn dort lud die Freiwilligengemeinschaft der in den Wikimedia-Projekten Aktiven zur WikiCon ein. Die WikiCon ist das große alljährliche Treffen zum Austausch und Netzwerken von Freiwilligen für Freiwillige aus den deutschsprachigen Wikimedia-Gebieten in der Schweiz, Österreich und Deutschland. In diesem Jahr gab es neben dem immer gut gefüllten Programm mit Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden im Forum so viele Informationsstände wie nie zuvor.
Eine Ausstellung mit digitalen Inhalten im Süden
Auf Anregung der Gemeinschaft der Freiwilligen entstand die Idee eine GLAM-Ausstellung zu machen. GLAM steht international für Zusammenarbeit zwischen Kunstsammlungen (Galleries), Bibliotheken (Libraries), Archiven sowie Museen und digitalen Anwendern, wie Wikipedia und ihre Schwestern. Wie aber stellt man in einer analogen Ausstellung Aktivitäten dar, die im digitalen Raum stattfinden? Vor dieser Frage standen Sina Wohlgemuth und ich im Sommer, als es galt, mit möglichst einfachen Mitteln die Ausstellung zu konzipieren. Wir legten eine Projektseite an, um Tipps und Ideen von den Freiwilligen zu bekommen und erfuhren nach und nach wie die Möglichkeiten vor Ort sein würden. Unser Ergebnis konnte sich sehen lassen.
In drei Stunden kaschierten wir Stellwände und beschrifteten sie mit von Hand ausgeschnittenen Buchstaben. Wir hängten eine Deutschlandkarte auf und steckten für jede der 100 Kooperationen der letzten Jahre eine Pinnnadel in die Wand. Wir recycelten Poster zu Coding da Vinci, dem Programmierwettbewerb mit Kulturdaten. Wir druckten Erklärtexte zu den typischen Veranstaltungsformaten wie GLAM on Tour und Wikipedianische KulTour, in denen Freiwillige vor Ort mit Kultureinrichtungen in bester GLAM-Manier kooperieren, aus und gestalteten damit die Ausstellungswände. Doch am meisten Aufmerksamkeit und Anerkennung bekam der Büchertisch. Wir wollten zeigen, was bei einer GLAM on Tour Station real entsteht: viele Aufnahmen von Museumsartefakten unter freier Lizenz und tatsächlich Wikipedia-Artikel. Doch anstatt diese über Bildschirme flirren zu lassen, druckten wir sie zwischen 20 Buchdeckel. Es entstanden zehn Bücher zu ausgewählten Stationen wie den Technischen Sammlungen in Dresden, dem Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal, der Bundeskunsthalle in Bonn oder den Landesmuseen in Braunschweig und Stuttgart. Alle fein säuberlich von Pediapress gestaltet, farbig wie in der digitalen Fassung illustriert, mit einem Index und einem detaillierten Autorenverzeichnis versehen. Eine in Papier gebannte Momentaufnahme der sich stetig wandelnden Wikipedia-Artikel im Netz. Wer hätte es gedacht, auch digitale Ehrenamtler zeigen sich beeindruckt, wenn ihre Arbeit im Gewicht eines 300-Seiten-Werkes daherkommt. Doch nicht nur diejenigen, die selbst mitgeschrieben hatten, freuten sich über die Bücher, auch andere Teilnehmer und Besucherinnen der WikiCon entdeckten den GLAM-Faktor des Wikiversums. Wir freuen uns über die vielen neuen Ideen für GLAM-Kooperationen von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. Ein besonderes Highlight der WikiCon war wieder die WikiEulen-Prämierung. Jedoch zum ersten Mal wurde 2016 eine KulturEule verliehen. Eine schöne Art zu zeigen, welche Bedeutung inzwischen die Kulturarbeit in den Wikimedia-Projekten hat.
Ein Hackathon mit digitalen Inhalten im Norden
Doch die WikiCon war dann nur die eine Veranstaltung mit GLAM-Faktor am vergangenen Wochenende. Denn parallel zu den Schwaben luden die Nordlichter in Hamburg zu Coding da Vinci Nord ein. Über einhundert Menschen, unter ihnen Kollegen aus Kultureinrichtungen, Entwicklerinnen und Designer, aber auch einfach am Kulturerbe Interessierte kamen im Mindspace Hamburg zusammen, um beim Start des regionalen Wettbewerbes aus der Hand der des lokalen Veranstalterteams* dabei zu sein. Es war uns Gründern– Deutsche Digitale Bibliothek, digiS, OKF und Wikimedia Deutschland – eine Ehre, Coding da Vinci Nord mit zu eröffnen. Jetzt ringen in den kommenden sechs Wochen 16 Projekte darum, aus ihren Ideen reale Apps, Webseiten und Software-Anwendungen zu programmieren. Zum Beispiel die Idee, den Selfie-Kult zu nutzen, um Gemälde und Kunstwerke zu entdecken, die dem eigenen gerade aufgenommenen Gesichtsausdruck am ähnlichsten sind. Oder mittels Sonifikation astronomischer historischer Photoplatten das Weltall zum Klingen zu bringen. Weitere Ideen für Spiele und Pädagogik. Die Daten von GLAM-Partnern aus Hamburg bis Stockholm beflügelten die Kreativität der Digitalprofis vor Ort. Fast schon ein Politikum war die Präsentation der von Wikimedia Sverige auf der Website offentlig konst zusammengestellten Daten zu Kunst im öffentlichen Raum in Schweden mit Fotos, die viele Tausende von Freiwilligen in den letzten Jahren bei Wikimedia Commons zusammengetragen hatten. Hatte nicht Schwedens höchstes Gericht im April entschieden, die Zusammenstellung der Bilder und Informationen verstoße gegen das Urheberrecht?** Doch jetzt wurden eben diese Daten von Visit-Sweden, Schwedens offizieller Website der Tourismusinformation, als Rohstoff für neue Anwendungen präsentiert. Ist das pikant oder savoir vivre? Auf jeden Fall gut so, denn so könnten mehr Menschen so schöne Skulpturengruppen wie die Inselfischer von Lundquist entdecken, sollte sich noch ein Team finden, das diese Daten verwenden will.
Am Ende komme ich am Sonntag von einem Arbeitswochenende wie von einem Erntedankfest zurück: reich beladen mit vielen neuen Freundschaften, Ideen und guten Impulsen. Merci.
Weiterführende Informationen:
*Das Veranstalterteam von Coding da Vinci Nord ist ein Zusammenschluss von Hamburger Kreativ Gesellschaft, Archäologisches Museum Hamburg, Code for Hamburg, eCulture.info , We build city, Stiftung Historische Museen Hamburg, Wikipedia Kontor Hamburg und Projekte und Seminare Sabine Heydenbluth.
**Information zum schwedischen Urteil zur Panoramaunfreiheit für öffentliche Kunst.