Zu Beginn der Veranstaltung veranschaulichte Dr. Paula Hildebrandt in einem einführenden Vortrag, wie offene Kultur in der Praxis aussehen kann. Die Künstlerin mit Doktortitel in Europäischer Urbanistik stellte das gemeinschaftlich organisierte Projekt welcomecitymap vor, das über performative Ansätze klandestines Stadtwissen erlebbar macht, gerade für Menschen, die neu einer Stadt ankommen sind, wie Geflüchtete und Zugezogene. Sie machte deutlich, dass Partizipation nicht als Worthülse zur Unterfütterung von Drittmittelprojektanträgen und auch nicht zum Wohlfühl-Begriff für Kunstprojekte mit Migrantinnen taugt. Vielmehr habe die Bemühung für mehr Beteiligungsmöglichkeiten für alle Menschen der Gesellschaft damit zu tun, auch selbst öfter den Standpunkt zu wechseln, sich einzufühlen, immer wieder ein anderer zu werden. Das kann anstrengend sein; so lautete das Fazit: “Partizipation ist schön, macht aber viel Arbeit.”
Europa – Open Culture-Vorreiterin oder -Nachzüglerin?
In der anschließenden Diskussion betonte Prof. Dr. Johannes Vogel vom Berliner Naturkundemuseum, dass es auf europäischer Ebene einen klaren Trend zu mehr Offenheit im Wissenschafts- und Kulturbereich gebe. Europa versuche mehr denn je, sich als offen für Ideen gerade auch im Bereich Open Science darzustellen. Es gehe dabei nicht allein um die Frage, wie Kulturinstitutionen ihre Inhalte ins Netz stellen können, sondern darum, die Institutionenlandschaft insgesamt umzustruktrieren. Dieser Prozess sei sehr kompliziert sehr politisch und vor allem unglaublich kostspielig.
Was aber können Kulturinstitutionen nun konkret tun, um eine größtmögliche Partizipation an ihrem Kulturgut zu gewährleisten? Wichtig sei zunächst, dass Institutionen ihre kulturellen Schätze überhaupt digitalisieren und einer möglichst großen Anzahl an Menschen zur Verfügung stellen, da war sich das Podium einig. Das Naturkundemuseum gilt hier in der Berliner Kulturlandschaft als Vorreiter, die Einrichtung hat bereits einen großen Teil seiner beachtlichen Sammlung digitalisiert und dafür etwa im vergangenen Jahr eine eigene Digitalisierungsstraße angeschafft.
Digitalisate aus dem Status “Sicherheitskopie” befreien
Tim Renner, seit dem letzten Jahr Berliner Kulturstaatssekretär, betonte, dass viele Institutionen eben noch nicht so weit seien wie das Naturkundemuseum. Digitalisate würden noch zu oft als als Sicherheitskopien der eigenen Bestände verstanden. Dementsprechend sei noch längst nicht überall angekommen, dass es im nächsten Schritt darum gehen muss, digitalisierte Inhalte unter freier Lizenz freizugeben und damit einer lebendigen Nachnutzung zuführen. Doch selbst dies sei eben noch kein Garant für breite Partizipation an den Inhalten.
“Es geht nicht darum, ein bestimmtes Herrschaftswissen zu vermitteln; Inhalte entstehen erst im Tun,” betonte Dr. Paula Hildebrandt. Inhalte bildeten nicht den Anfang, sondern das Ende einer langen Kette, an deren Beginn das Communitybuilding stehe. Es brauche angesichts der zunehmenden Vielfalt der Anspruchsgruppen – Renner veranschaulichte dies an der stetig wachsenden und sich verändernden Stadt Berlin – eine grundlegende Anpassung der Struktur und Arbeitsweise von Kulturinstitutionen. “Wir müssen eine neue Sprache finden, wie wir miteinander verhandeln und umgehen,” so Renner. Auch Prof. Dr. Vogel betonte, dass Mitarbeitende von Kulturinstitutionen sich künftig weniger als “Hüter von Wissen” verstehen, sondern eher die Rolle von ModeratorInnen einnehmen sollten.
Digitale Openness führt zu mehr analogem Publikumsverkehr
Ganz wichtig sei laut Vogel und Renner außerdem, das “Analoge mit dem Digitalen zusammenzudenken”. Es sei eine falsche Annahme, so Vogel, dass die Digitalisierung von Kulturgütern dazu führe, dass sich niemand mehr für die echten Stücke interessiere. Im Gegenteil: Digitalisate machten mehr Lust auf die realen Objekte. Tim Renner verdeutlichte dies später am Beispiel der Musik: Auch hier habe die (damals allerdings unfreiwillige) Openness in Form des Filesharings über Tauschbörsen eben nicht zum totalen Zusammenbruch des Musikmarktes geführt, sondern im Gegenteil zu einer stärkeren Nutzung von Livekonzerten. Es gebe daher guten Grund zur Annahme, dass die freie Verfügbarkeit von Kultur dazu führe, dass die Menschen ein größeres Interesse hätten, sich mit dieser auseinanderzusetzen. Kurzum: Die zunehmende Demokratisierung sowohl der Produktion als auch der Distribution führe dazu, dass immer mehr Menschen an Kultur partizipieren können und wollen.
Die Veranstaltung in voller Länge kann hier angeschaut werden:
Fotos der Veranstaltung auf Wikimedia Commons
Das nächste ABC des Freien Wissens findet am Donnerstag, den 03. September in Kooperation mit dem Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft statt. Thema ist diesmal: “J=Journals. Welche Form wissenschaftlichen Publizierens setzt sich durch?”
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