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Didaktik: Damit Lernen nicht nur zufällig klappt

WMDE allgemein

15. Dezember 2014

Am 17. November fand in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland die fünfte und letzte Veranstaltung aus der Reihe “Digitale Kompetenzen” statt. Diesmal stand die Digitalisierung der Bildung auf dem Programm. Unter dem Titel “Digital selber Lernen – Wie gehen wir mit verändertem Lernverhalten um?” diskutierten die eingeladenen Expertinnen und Experten darüber, wie wir zukünftig lernen werden. Medienpartnerin der Veranstaltung war die werkstatt.bpb.de. Das Fazit: Die Möglichkeiten des Digitalen werden noch nicht gut genug genutzt. Und: Ohne gute Didaktik geht es kaum. Von Sebastian Horndasch und Christopher Schwarzkopf.

Auf dem Podium diskutierten (v.l.n.r.): Simon Köhl, Nina Lindlahr, Prof. Dr. Ilona Buchem und Axel Krommer, Foto von Sebastian Horndasch (WMDE), CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Nachdem zuvor bereits die Themen Datenschutz, Digital Natives, Digitalisierung der Arbeitswelt und Filteralgorithmen behandelt wurden, ging es bei der letzten Veranstaltung aus der Reihe Digitale Kompetenzen um das Thema Bildung. Digitale Medien erhalten immer stärkeren Einzug in das formelle Bildungssystem und werden von Lehrenden und Lernenden zunehmend genutzt. Durch freie Bildungsmaterialien, Wikipedia und Foren im Netz findet die Wissensvermittlung und -aneignung immer stärker auch außerhalb der Schule statt. Hierbei verschwimmen die Grenzen von Lehren und Lernen und es entstehen neue, hybride Formen.

Wir wollten daher mit Expertinnen und Experten darüber sprechen, welche Herausforderungen die Digitalisierung der Bildung mit sich bringt, aber auch, welche neuen Möglichkeiten sich daraus für Lehrende und Lernende ergeben. Im Zentrum der Veranstaltung stand also die Frage: “Wie lernen wir in Zukunft!”

Mit Axel Krommer (Akademischer Oberrat an der Universität Erlangen-Nürnberg und Philosophielehrer an einem Gymnasium), Simon Köhl (Gründer der Lernplattform Serlo und Vorsitzender der Gesellschaft für freie Bildung e.V.) und Prof. Dr. Ilona Buchem (Gastprofessorin für Digitale Medien und Diversität an der Beuth Hochschule für Technik Berlin) konnten wir drei Menschen, die sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen intensiv mit der Digitalisierung der Bildung beschäftigen, für das Podium gewinnen.

Die Gesellschaft wird digital – die Bildung auch

Einigkeit bestand darin, dass eine stärkere Digitalisierung der Bildung notwendig ist. Axel Krommer argumentierte, dass die Gesellschaft selbst sich derzeit im Übergang befindet und zukünftig massiv durch das Digitale geprägt sein wird. Schon aus diesem Grund müsse auch die Bildung digitaler werden. Allerdings sei gerade die Schule besonders langsam in der Übernahme digitaler Werkzeuge. Häufig sei dort das, was unter digitalem Lernen verstanden werde, nichts weiter als “altes” Lernen in digitaler Form, beispielsweise in Form eingescannter Arbeitsblätter. Dies verkenne die Tatsache, dass vertraute Strukturen aufgelöst würden und Wissen und Lernen ganz neue “Aggregatzustände” erhielten. Anstatt von Digitalem Lernen sollte daher eher vom “Lernen unter den Bedingungen der Digitalisierung” gesprochen werden, denn nicht die Technik sondern die neuen Formen des Lernens, die durch die Digitalisierung entstehen, müssen im Vordergrund stehen.

Digitalisierung bedeutet auch einen Kontrollverlust durch den Lehrenden: Durch den unmittelbaren Zugang zu Informationen durch digitale Endgeräte werden Lernende dem Lehrenden teils ebenbürtig, Hierarchien werden schwammiger. Krommer bemängelt, dass die Ausbildung von Lehrenden kaum die aktuellen Erkenntnisse der didaktischen Forschung mit einbeziehe. Vielmehr reproduzierten junge Lehrende die Lehre, die sie selbst erfahren haben. Hier müssten die Lehrpläne der pädagogischen Studiengänge verbessert werden.

Beim Diskurs über die Digitalisierung der Bildung bestehe das oberste Paradigma häufig darin, das Lernen durch den Einsatz digitaler Medien möglichst effizient zu gestalten, merkte Simon Köhl an. Diese Auffassung stehe jedoch im Widerspruch zu dem, wie die Wissensvermittlung und -aneignung eigentlich funktionieren sollte: Partizipativ und gerecht. Köhl, der mit seiner Plattform Serlo nach eigener Aussage das Ziel einer Wikipedia für Bildung verfolgt, betonte die Wichtigkeit, Lernumgebungen so zu gestalten, dass ein ständiger Relexionsprozess darüber, was und wie wir lernen wollen, angestoßen und Mitbestimmung ermöglicht werde.

Zwar gibt es immer mehr Möglichkeiten, Kompetenzen auch außerhalb der Schule in offenen Lernumgebungen zu erwerben, hier bestehe allerdings das Problem häufig in der fehlenden Anerkennung. Die erbrachten Leistungen können, anders als in der Schule oder Hochschule, schlicht nicht sichtbar gemacht werden. Hier könnten sogenannte Open Badges einen wichtigen Beitrag leisten, Kompetenzen und Leistungen, die in digitalen Lern- und Arbeitsumgebungen erbracht wurden, zu beschreiben und abzubilden, betonte Ilona Buchen, die selber an der Beuth Hochschule ein Projekt zur Entwicklung solcher “Lernabzeichen” leitet. Wenn jemand beispielsweise jemand in der Wikipedia-Community sehr aktiv ist, könnte er mithilfe von Badges seine dort erworbenen Kompetenzen auch der (digitalen)”Außenwelt” kommunizieren und zugänglich machen. Ein weiteres Problem in der heutigen Bildung sei auch ein Mangel an Diversität, wie Ilona Buchem erklärte. Hier böten digitale Medien neue Möglichkeiten, Chancengleichheit zu erzeugen. Ein Allheilmittel seien sie allerdings nicht.

Am Ende der Diskussion bestand Übereinstimmung darin, dass digitale Medien allein nicht alle Probleme in der Bildung lösen können. Die mangelnde Bildungsgerechtigkeit in Deutschland – Akademikerkinder sind überwiegend schulisch erfolgreich, Arbeiterkinder im Vergleich deutlich weniger – lässt sich nur zum Teil durch digitale Werkzeuge lindern, wie Simon Köhl klar stellte. Bildung bleibt in jedem Fall teilweise analog, so Köhl. Lernprozesse komplett ins digitale zu verlagern, sei wenig wünschenswert – und auch wenig erfolgsversprechend.

Die werkstatt.bpb.de hat eine Zusammenfassung der Veranstaltung angefertigt (by kooperative Berlin, CC-BY-SA 4.0 via Vimeo):

Die Veranstaltung in gesamter Länge gibt es hier zu sehen:

Interviews mit den Referierenden (by kooperative Berlin, CC-BY-SA 4.0 via Vimeo):

Prof. Dr. Ilona Buchem:

Simon Köhl:

Axel Krommer:

* Mehr Bilder der Veranstaltung gibt es auf Wikimedia Commons.


Zur Reihe “Digitale Kompetenzen”: Als Partner im Wissenschaftsjahr 2014 widmete sich Wikimedia Deutschland e. V. jenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für das Individuum in der Digitalen Gesellschaft wichtig sind: Digitale Kompetenzen. An fünf Veranstaltungsabenden identifizierten und diskutierten wir mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Forschung, Netzaktivistinnen und -aktivisten, Akteuren aus der Praxis sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Digitalen Kompetenzen unserer Zeit. 

  • Hallo in die Runde, hallo Herr Krommer,

    ich bin doch eher geschockt von den vielen Äußerungen dieser Experten. Herr Krommer beispielsweise vergleicht Birnen mit Äpfeln. Wie unser Gehirn funktioniert, wenn wir lernen, wurde auf diesem Symposium wohl gänzlich ausgeblendet. Dies ist eine Schande. Ich habe auch keine schöne Schulzeit gehabt, aber (Herr Krommer) Frontalunterricht ist ab der 9ten Klasse heutzutage auch nicht mehr drin – zumindest in den meisten deutschen Klassenzimmern, und zwar, weil die Wissenschaft mittlerweile weiß, wie ein Mensch lernt (v.a. für das Langzeitgedächtnis und allgemein für das Leben).
    Wenn es hier auf dieser Veranstaltung um Didaktik gehen soll, dann vielleicht darum wie die Lehrer und Schüler bei der Bedienung eines Computers bei Wissensabruf eingestellt werden sollten, oder wie zu klären wäre, welche Software, Browser, Suchmaschinen etc. dafür gut wären, welche schlecht, weil sie vom gezielten Lernen ablenken (hallo, es gibt Lerninhalte, die vorgeschriebnen sind für die Klassenstufen und erfüllt werden müssen, sonst bleibt der Schüler sitzen!).
    Das von H. Krommer angesprochene “sleeper”-Syndrom ist nicht vorhanden (vielleicht nur bildhaft als Metapher, weil es noch Schultafeln gibt und Kreide), weder durch den Förderalismus noch durch die Sturheit (“Konservatismus”) der Lehrer. Herr Krommer, auf dieser und jeder künftigen Medienmesse soll doch bitte verdeutlicht werden, wie ein digitales Lern-Zeitalter entstehen soll, nachdem es weltweit Schulen nicht fertig gebracht haben, ein digitales Klassenzimmer zu errichten. Spätestens nach einem Jahr sind die Geräte nicht mehr genügend gewartet worden, nicht genügend Personal dafür zur Verfügung, und vor allem eines zu sehen, dass die Schüler nicht gezielt genug lernen mit diesen Medien. Bisher haben dies alle Studien in den letzten 10 Jahren weltweit bewiesen. ZUdem wer bezahlt den Unterrichtsausfall bei den Schulen, damit Schüler und Lehrer am Ende kompetent und frei entscheiden können, welches Lernziel mit welchen Mitteln am besten zu erreichen wäre. Dazu hätte ich eine Meinung oder Stellungnahme der Experten erwartet, und eben dazu, welche Erwartungen Herr Krommer und Co haben hinsichtlich des Lernens an sich in Bezug auf die Erkenntnisse der Neurowissenschaften.
    Grüße
    Harald Sylvester (ein Nichtkonservativer und kein Lehrer; der allerdings einen Unterschied macht zwischen der Bedeutung von Lernen und dem Wissenabfragen oder einfältigen digitalen Wissensspielen zwischen einer Maschine und dem Schüler/Lehrer)

    Kommentar von Harald Sylvester am 16. Dezember 2014 um 03:33

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