Dimitar Dimitrov ist seit Juli lokaler Ansprechpartner für die Wikimedia-Aktivitäten in Brüssel. Im Vereinsblog berichtet er in loser Folge von seinen Erfahrungen vor Ort.
Unverhofft kommt oft, vor allem in der Politik, die plötzliche Positionswechsel, taktische Winkelzüge und Strippenzieher im Hintergrund als systemische Begleiterscheinungen kennt. Vor allem von der europäischen Bühne wird das ja gerne behauptet. Einschätzungen von außen, wie eine bestimmte Entscheidung zustande kam oder nicht, fallen schwer, was aber auch damit zu tun haben mag, dass über die Vorgänge in Brüssel allzu selten und vor allem: eher oberflächlich berichtet wird. Gerade Themen, die für den Wikimedia-Verbund von höchstem Interesse sind, schaffen es nur selten über die Aufmerksamkeitsschwelle. Als “Wikimedian in Brussels” möchte ich diesem Umstand gerne abhelfen und abseits des monatlichen Newsletters von Zeit zu Zeit aus dem Nähkästchen plaudern.
Gut hatte es noch Ende April diesen Jahres ausgesehen, als die Berichterstatterin des Rechtsausschusses (JURI) im Europäischen Parlament, Marielle Gallo (EVP, FR), ihren Richtlinienentwurf zur Regelung der kollektiven Rechtewahrnehmung vorlegte. Es geht darin, grob gesprochen, um vereinheitlichte Spielregeln für Verwertungsgesellschaften, was die Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Inhalte im EU-Raum vereinfachen soll. Im Gegensatz zum Entwurf der Kommission war Gallo – eine ehemalige Lobbyistin der Musikindustrie – nämlich auf die Wünsche von Musikern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und einigen Parlamentariern eingegangen und hatte vorgeschlagen, dass Künstler ihre Lizenzen Werk für Werk (und nicht, wie im Fall der GEMA, für den gesamten Katalog) vergeben dürfen. Dies hätte es u.a. auch ermöglicht, dass wahrnehmungsberechtigte Musikurheber künftig einen Song problemlos unter eine freie Lizenz stellen könnten.
Hätte, hätte, Fahrradkette
“Es gab einfach nicht genug Stimmen, die das verlangt haben.”, so klangen auf Anfrage die Kommentare aus jener ad-hoc-Koalition, die sich um die Idee einer solchen Öffnungsklausel herum gescharrt hatte. Diese bestand im wesentlichen aus Creative Commons, Communia, EDRi, Künstlern, Akademikern, der Gruppe der Grünen und überraschenderweise der konservativen Rapporteurin Marielle Gallo. Durchaus brüsseltypisch, musste diese Allianz im federführenden EP-Ausschuss letztlich einen Kompromiss hinnehmen. So wird es Künstlern lediglich erlaubt sein, bestimmte Teile ihres Œuvres unter Lizenzen mit einer nicht-kommerziellen Restriktion zu stellen. Die relevante Kompromissänderung liest sich folgendermaßen:
AM 54 2a. Rightholders shall have the right to grant licences for the non-commercial uses of the rights, categories of rights or types of works and other subject matter of their choice. Collective management organisations shall inform their members of this right and of the conditions attaching thereto.
[Rechteinhaber sollen das Recht erhalten, Lizenzen für den nichtkommerziellen Gebrauch der Rechte, Kategorien von Rechten oder Arten von Werken und andere Inhalte ihrer Wahl zu vergeben. Kollektive Rechteverwertungsgesellschaften sollen ihre Mitglieder über dieses Recht und den damit verbundenen Konditionen informieren.]
Wikimedia, bzw. unsere offene Arbeitsgruppe Free Knowledge Advocacy Group EU, war damals noch nicht mit von der Partie. Ob unser Beitrag für eine entsprechende Modifikation gesorgt hätte, ist im Nachhinein natürlich reine Spekulation. Klar ist aber, dass jede zusätzliche Stimme für die “Werk für Werk”-Regelung die Verhandlungsposition der Befürworter gestärkt hätte.
Auch beim Kompromissvorschlag zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und Ausschussmitgliedern wäre es dringend nötig gewesen, auf Nachteile und unerwünschte Nebenwirkungen der NC-Lizenzen aufmerksam zu machen. Nicht unvorstellbar ist, dass dann im Entwurf “licences for the non-commercial uses” durch “free licences” ersetzt worden wäre. Nun, wir werden es wohl nie erfahren. Das Traurige daran aber ist, dass damals im April, als sich die Dinge zuspitzten, wir über keine wirksamen Informationskanäle in Brüssel verfügten und nicht einmal ahnten, dass so eine wichtige Entscheidung gerade anstand. Wie schon im Falle der Verlängerung der Schutzfristen für Tonaufnahmen zeigt sich: Wer zu spät bekommt, den bestraft der Politikbetrieb.
Was tun, wenn es 5 vor 12 ist?
Nun bleibt nur noch zu versuchen, auf den allerletzen Drücker den beteiligten Akteuren zu erklären, wieso freien Lizenzen im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit als Open Content unbedingt der Vorzug zu geben wäre. Das Problem dabei: Kommission, Rat und Parlament befinden sich bereits im Trilog. Soll heißen: Jede der drei EU Institutionen hat bereits einen intern vereinbarten Text vorgelegt. Es wird nun auf Basis dieser drei unterschiedlichen Versionen verhandelt. Eine Textänderung jenseits dessen, was bereits auf dem Tisch liegt, wäre äußert unüblich.
“Es ist zu spät. Wir sind bereits im Trilog.” So ungefähr klingen – teils freundlich, teils mechanisch, manchmal aber auch einfach nur gelangweilt – die Antworten der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten auf meine diesbezüglichen Anfragen. Einige haben trotzdem noch die Zusage gemacht, freie Lizenzen “anzusprechen”. Bringen wird’s freilich nicht mehr viel.
Um in Brüssel auch nur kleinste Wortänderungen in einem Gesetzestext durchzubringen, muss man das jeweilige Dossier von Anfang an begleiten, frühzeitig klare Positionen beziehen, die man immer wieder erklärt und dadurch womöglich andere dazu bringen kann, die eigenen Änderungswünsche ebenfalls zu verlangen. Was die NC-Klausel angeht, gibt es selbst unter unseren Partnern niemanden, dem dieser Punkt so wichtig ist wie uns.
What’s next?
Bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 stehen noch Public Sector Information, Datenschutz und Netzneutralität auf der Tagesordnung. Die Initiative zur Urheberrechtsreform der gegenwärtigen Kommission ist hingegen – wenig überraschend – ins Leere gelaufen. Denn gerade umstrittene Reforminitiativen im letzten “Regierungsjahr” sind reine Beschäftigungstherapie. Die Stimmen nach solch einer Novellierung bleiben allerdings bei Industrie und Zivilgesellschaft gleich laut, sodass die nächste Kommission an dem Thema nicht vorbeikommen wird. Wir werden alles daran setzen, dass der Wikimedia-Verbund es bis dahin schafft, hör- und sichtbar zu werden.
Das ist eine gleich doppelt schlechte Nachricht, denn zusätzlich dazu das es so einfach mist ist, wird dieser “Kompromiss” es der C3S erschweren sich durchzusetzen.
@Marcus Ja, es ist teilweise sehr undurchsichtig und das ist auch meiner Einschätzung nach so gewollt, bzw. wegen bürokratischer Relfexe schwer zu ändern.
In aller Kürze synthesiert sieht die Geshichte so aus: Die ad-hoc Koalition mit Creative Commons wollte, dass Künstler die bei einer Verwertungsgesellschaft unter Vertrag stehen das Recht haben für jeden einzelnen Song die Lizenz neu zu wählen – also freie Wahl für jedes Werk. Möglich sein wird aber, dass sie verschiedene Lizenzen nur für ganze Kategorien von Werken (wie auch immer Kategorie zu verstehen ist) wählen und das auch nur, wenn diese Lizenzen eine NC Klausel beinhalten.
Für normale Menschen ist es mittlerweile wirklich nicht mehr leicht hinter das alles zu steigen. Wahrscheinlich ist das sogar so gewollt.
@Marcus Nein, das dürfen sie natürlich tun, dies wird aber auch weiterhin im Widerspruch zur Wahrnehmung Ihrer sonstigen Rechte über eine VG stehen. Eine “Verbesserung” gibt es wie gesagt nur bei nicht-kommerziellen Nutzungsrechten, deren Lizenzierung (sog. Kontrahierungszwang) in Deutschland etwa über die neu gegründete C3S (http://c3s.cc/#home) erfolgen kann. Als Richtlinie für die nationale Praxis also suboptimal.
Habe ich das richtig verstanden? Das EU-Parlament kleistert jetzt fest, daß die Urheber von Musik nicht selbst entscheiden dürfen, ob einzelne ihrer eigenen Stücke beispielsweise unter einer freien Lizenz erscheinen dürfen?