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Nach der Residence durch die Republik

Marcus Cyron

14. Februar 2013

Nach der stressigen Zeit als Resident hatte ich auf ein wenig Ruhe gehofft, doch so funktioniert Wikipedia bekanntlich ja nicht. Nach der Rückkehr aus Istanbul ging es relativ schnell mit den nächsten Terminen weiter. Vielfach ergeben sie sich mittlerweile aus der Tätigkeit als “WiR”, resultieren aber auch noch von der Tagung “Wikipedia trifft Altertum” oder von anderen Kontakten.

Academia Baltica

Als erstes war ich Mitte Dezember zu einer Tagung der Academia Baltica eingeladen. Vertreter der Akademie wurden gerade durch die Berichterstattung zum “Wikipedian in Residence” auf mich aufmerksam und so fuhr ich nach Plön in Schleswig-Holstein. Dort wurde diskutiert, wie man das anstehende “Ostseeprojekt” präsentieren sollte. Eine der Möglichkeiten, über die nachgedacht wird, ist dies im Rahmen der Wikipedia zu tun. Somit stellte ich Wikipedia  vor und gab ihnen einen Blick hinter die Kulissen, vor allem mit einem Schwerpunkt auf der internen Qualitätssicherung. Die, wie hinterher zurecht angemerkt wurde, weniger eine Qualitätssicherung denn eine Abfolge von Rettungsaktionen ist. Für Wikipedia wäre die Einbindung der Ergebnisse des Ostseeprojektes sicher äußerst positiv, der qualitative Gewinn wäre ohne Zweifel immens. Und auch das Ostseeprojekt würde durch die vielen zuarbeitenden Hände und beispielsweise auch die internen Verlinkungen dabei gewinnen.

Auch andere Formen der Darstellung wurden gezeigt, etwa das “Virtual Shtetl“, das “Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa”  und nicht zuletzt optisch sehr beeindruckend das “Institut für Raumdarstellung“. Der international besetzte Workshop fand in einem vergleichsweise kleinen Rahmen statt, der zu einer aktiven Diskussion einlud, an der auch ein Fachfremder wie ich folgen und teilnehmen konnte. Interessant ist sicher auch für die Wikimedia-Projekte, dass die Zeit nicht stehen bleibt und die veraltete Infrastruktur im Projekt leider langsam zu einem großen Hemmschuh der Entwicklung wird. Andere Projekte sind schon sehr viel weiter, fairerweise muß man aber auch sagen, dass diese meist einen weitaus kleineren inhaltlichen Fokus haben. Mit Entwicklungen wie Wikidata und dem für die Jahresmitte angekündigten “What-you-see-is-what-you-get-Editor” schafft Wikipedia aber hoffentlich wieder einen großen Sprung nach vorn.

Mainz und Wiesbaden

Marcus Cyron, CC-BY-SA 3.0

Danach folgte erst wieder im Januar der nächste Termin. Bei meinen ersten Veranstaltungen als Resident habe ich mehrfach Patrick Schollmeyer, den Kurator der Kunstsammlung der Universität Mainz getroffen, der mich zu einer Lehrveranstaltung einlud, in der ich einmal mehr die Wikipedia, dieses Mal mit einem Schwerpunkt auf der Archäologie und Kunstgeschichte, vorstellte. In der Veranstaltung sollte auf die Möglichkeiten der “Neuen Medien” in den angesprochenen Disziplinen eingegangen werden. Dabei mussten zwei Aspekte besonders deutlich heraus gestellt werden: Wikipedia ist weder ein Ort um reich und berühmt zu werden, andererseits ist es ein Ort, an dem man einer sehr großen Leserschaft wichtige Themen näher bringen kann. Ein glücklicher Zufall war, dass am Abend dieses Tages die Antikensammlung der Universität wieder eröffnet wurde und ich an der Veranstaltung teilnehmen konnte. Besonders freute mich, dass ich auf diesem Wege einmal Elke Böhr kennenlernen durfte, die mit ihren Forschungen zur attischen Vasenmalerei und insbesondere zum Schaukel-Maler bekannt wurde.

Kleines Schmankerl am Rand: Im ganzen Gebäude der Universität hingen Aushänge mit einem Hinweis auf ein Rededuell zwischen Studenten und Professoren, bei dem es darum ging, ob Wikipedia Weltkulturerbe werden solle. Wie das ausging kann man im Wikipedia-Kurier nachlesen.

Kurzfristig ergab sich Tags darauf noch ein weiterer Termin mit Reinhard Dietrich, Referatsleiter Denkmalschutz, Kulturgutschutz, UNESCO-Welterbe und Rechtsangelegenheiten im Kulturbereich im Hessischen Ministerium für Wissenschaft. Reinhard Dietrich, selbst aktiver Wikipedianer, wollte ursprünglich zu “Wikipedia trifft Archäologie” nach Berlin kommen, doch wurde die Veranstaltung bekanntlicherweise inhaltlich etwas verändert und um mehrere Wochen verschoben. Somit sprachen wir etwa über die für Herbst angedachte, bis dann neu konzipierte Veranstaltung “Wikipedia trifft Archäologie”, aber auch über die Strukturen in der Wikipedia und Aktionen wie “Wiki Loves Monuments” und die Grenzen, die selbst er als Referatsleiter hier hat. Eigentlicher Entscheidungsträger ist nämlich das Landesdenkmalamt, das jedoch – und das zum Teil aus nachvollziehbaren Gründen – etwa mit ihren Daten nicht immer so offen umgeht, wie sich die Wikimedia-Comunity das wünschen würde. Dennoch ist es sicher für Wikipedia alles andere als schädlich einen Mitarbeiter und Freund in einer solchen Position zu wissen.

HTW Berlin

Letzte Woche folgte auf Einladung von Dorothee Haffner an der HTW Berlin die nächste Einführungsveranstaltung in die Wikipedia. Die Verbindung zu Frau Haffner entstand schon im Mai 2012 bei der MAI-Tagung (MAI = Museums and the Internet) in Leipzig. Zwischen 20 und 30 Studenten der Museumskunde und ich hatten drei Stunden Zeit für einen Blick “hinter die Kulissen” der Wikipedia und zudem auch eine praktische Einführung. Spätestens bei solchen Veranstaltungen merkt man, dass das Leben als Neuwikipedianer heute doch nicht mehr so leicht ist wie 2005 als ich begann. Dennoch kamen wir vergleichsweise rasch vorwärts und ich denke und hoffe, dass bei vielen der Studenten die Grundlage gelegt wurde, zumindest theoretisch in der Wikipedia aktiv sein zu können. Fast obligatorisch war in der Diskussion die Auseinandersetzung mit den internen Relevanzkriterien. Manchmal ist es wirklich schwer zu erklären, warum nicht jede Garagenband einen Wikipedia-Artikel bekommen kann. Alles in allem war es aus meiner Sicht eine äußerst erfreuliche und ergiebige Veranstaltung.

Überlegungen

Was bleibt nach diesen Terminen, die in ihrer Ähnlichkeit doch alle unterschiedlich waren? Wikipedia “sickert” immer mehr und immer direkter in die verschiedenen Institutionen. Selbst wenn man Wikipedia nicht mag, kommt man mittlerweile schwerlich an ihr vorbei, ja selbst ein Engagement erscheint immer öfter als sinnvoll und wünschenswert. Vielfach weiß man aber noch nicht, wie das am besten geht. Hier müssen wir ansetzen. Ein für mich immer wieder interessanter Fakt: Die Kritik aus “der Wissenschaft” erfolgt häufig nicht zuletzt deshalb, weil man an Wikipedia den Anspruch stellt, den man auch an Fachlexika stellt, quasi das unterstellt, was Wikipedia ja immer verneint zu sein: zitierfähige Sekundärliteratur. Manchmal sind wir dem näher als wir es selbst glauben. Der Respekt für Wikipedia und die bisherige Leistung ist mittlerweile so groß, dass daraus auch Ansprüche an das Projekt erwachsen, die für die Autoren eigentlich bislang fremd waren. Wir sind schlicht so gut, dass die Ansprüche und Maßstäbe, die an uns angelegt werden, mittlerweile auch sehr hoch sind.

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