Die “National Portrait Gallery” (NPG) hat am 10. Juli 2009 einem Nutzer der Wikimedia Commons (Derrick Coetzee) durch eine Anwaltskanzlei eine Email zugeschickt, in der diesem rechtliche Schritte angedroht werden. Im Kern geht es um ungefähr 3.000 Bilder, die der Benutzer auf Wikimedia Commons hochgeladen hat. Die NPG fordert von ihm unter anderem, dass er diese Dateien von Wikimedia Commons löscht. Eine Kopie des Schreibens findet sich unter http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Dcoetzee/NPG_legal_threat
Was ist der aktuelle Stand dieses Disputs?
Seit dem 17. Juli 2009 gibt es direkte Kommunikation zwischen der Wikimedia Foundation und der NPG, um den Streit beizulegen. Derrick Coetzee wird anwaltlich durch Fred von Lohmann von der Electronic Frontier Foundation vertreten, die sich um Rechtsfragen im digitalen Kontext verdient gemacht hat. Es wurden bislang keine umstrittenen Bilder gelöscht. Wir können davon ausgehen, dass die NPG von Abmahnungen oder Prozessen absehen wird, solange noch verhandelt wird.
Worauf begründet die NPG ihren Anspruch?
Die NPG bestreitet nicht, dass die Werke aufgrund ihres Alters nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind. Allerdings sieht sie in der Digitalisierung der gemeinfreien Werke eine Leistung, die nach britischem Recht geschützt ist. Das Digitalisat eines gemeinfreien Werkes ist damit aus der Sicht der NPG nicht mehr gemeinfrei. In dem anwaltlichen Schreiben verweist die NPG zudem noch auf den Schutz von Datenbankwerken und sieht in dem Zusammenfügen von Bildausschnitten (entstanden durch die Lupen-Funktion der NPG-Webseite) eine Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen. [update 21. Juli 2009: Die NPG ist außerdem der Ansicht, dass durch den Besuch der Seite eine vertragliche Vereinbarung mit dem Besucher der Seite zustande kommt (“browse-wrap license”), deren Bestimmungen hier verletzt worden seien. Danke für den sachdienlichen Hinweis in den Kommentaren. ^ms]
Warum erhebt die NPG diesen Anspruch?
Die NPG sieht sich nach ihren eigenen Angaben der Allgemeinheit verpflichtet. Gleichzeitig benötigt sie aber für die Digitalisierung gemeinfreier Werke Finanzmittel, die zum Teil durch die Vermarktung dieser Digitalisate eingeworben werden soll. Durch die Veröffentlichung der Digitalisate auf Wikimedia Commons befürchtet die NPG offenbar, dass ihr Einnahmen entgehen, die sie zur Erfüllung ihres Zwecks verwenden könnte.
Welche Argumente gegen die Behauptung der NPG gibt es?
Zentraler Einwand ist, dass das Digitalisieren eines Werkes kein neues Urheberrecht begründet. Es fehlt hier an der schöpferischen Leistung. Diese ist gerade eben nicht erwünscht, sondern nur die (möglichst unveränderte) Abbildung des Werkes – es geht also um die denkbar unkreativste Handlung. Selbst wenn es einen urheberrechtlichen Schutz von Fotografien gemeinfreier Werke gäbe: Mit welchem Recht untersagt eine staatliche Institution wie die National Portrait Gallery der Allgemeinheit die Nutzung dieser Werke? Schließlich wurde die Digitalisierung ja durch Steuergelder finanziert.
Gibt es eigentlich eine Klage gegen Derrick Coetzee?
Nein. Auch wenn es in diversen Überschriften von Presseartikeln so klang: es gibt bis heute keine Klage gegen Derrick Coetzee.
Gibt es eine Klage gegen “Wikipedia” oder die Wikimedia Foundation?
Nein. Auch wenn es in diversen Überschriften von Presseartikeln so klang: es gibt bis heute keine Klage gegen Wikipedia oder die Wikimedia Foundation durch die NPG.
Wie geht es nun weiter?
Im Moment verhandeln die beteiligten Parteien. Wikimedia Deutschland hofft, dass es mit dem Abschluss dieser Verhandlungen nicht nur ein Ende von juristischen Drohgebärden gibt, sondern eine gemeinsame Kooperation zwischen National Portrait Gallery und Wikimedia Foundation entsteht, mit der allen Menschen auf diesem Planeten den direkten und freien Zugang zu diesem britischen Kulturgut zu ermöglichen.
Ist Wikimedia Deutschland davon betroffen?
Wikimedia Deutschland ist indirekt davon betroffen. Zu den Aufgaben des Vereins gehört die Kooperation mit all jenen, die zu dem Ziel beitragen können, das Wissen der Menschheit verfügbar zu machen. Juristische Auseinandersetzungen halten wir für kontraproduktiv. Wir haben durch erfolgreiche Kooperationen mit dem Deutschen Bundesarchiv und der Deutschen Fotothek dazu beigetragen, den Bildbestand auf Wikimedia Commons massiv auszubauen und setzen diese Arbeit in Zukunft fort.
Wo gibt es weitere Informationen?
* Blogposting von Erik Möller, Vize-CEO von Wikimedia Foundation
* Blogpostings von David Gerard, Pressekontakt für Wikipedia-Fragen in UK
* Linkliste 1 und Linkliste 2 zu NPG/Wikimedia von Klaus Graf
* Angaben zu den Umsätzen der NPG mit Weblizenzen
* Jahres- und Finanzbericht der NPG des Jahres 2008 und 2009 [update 22. Juli 2009: irrtümlich auf National Gallery, nicht National Portrait Gallery-Bericht verlinkt. Danke für den Hinweis, ^ms]
[…] Wikipedia-AutorInnen, Eintragen/Austragen, Wikipedia:Pressespiegel über Benutzer:Schwarze feder, Bilderstreit mit der National Portrait Gallery, unberechenbare britische Richter, geschickte Gerichtswahl, um Klage gewinnen zu können, zoomify, […]
Die Geschichte ist von grundsätzlichem Interesse, weit über den vorliegenden Einzelfall hinaus, und eine grundsätzliche Lösung für die Zukunft wäre wünschenswert. Jeder Ausstellungsmacher (ich habe an mehreren internationalen Ausstellungen mitgearbeitet) muß für jede Abbildung eines aus einer Galerie/ einem Museum entliehenen Objekts im Ausstellungs-Katalog einen bestimmten Betrag an die Galerie/ das Museum bezahlen; dabei akzeptieren die Museen nur eigene lizensierte Fotografen (die nochmals daran verdienen). Die gleiche Regelung gilt für Autoren, auch wissenschaftliche, die Abbildungen von Objekten in Galerien oder Museen zu Illustrationszwecken in ihren Büchern verwenden wollen – die Verlage müssen dafür Lizenzgebühren bezahlen, und oft nicht wenig. Das wurde bisher stillschweigend akzeptiert, wobei eine juristische Klärung interessant wäre. Warum ist es zum Beispiel verboten, in der National Gallery in London oder irgend einem anderen staatlichen Museum (ohne Blitz) zu fotografieren? (Auch hier geht es im Grunde um die Verwertungsrechte: Man möchte vermeiden, daß nicht-lizensierte Abbildungen Verwendung finden.
@HaeB, H-stt: Danke für die Hinweise, ich habe es als update erwähnt.
@Longbow: Die (vermutlich scheidende) Kommissarin Viviane Reding kenne ich aus Europeana-Zusammenhängen. Sie erwähnt zwar hin und wieder Wikipedia in ihren Reden, Europeana hat allerdings bis heute nicht gezeigt, dass es Teil einer Kulturallmende sein will. Von ihr selbst sehe ich dazu wenig Konkretes. Schade eigentlich.
Der letzte Link führt auf den Jahres- und Finanzbericht 2009 der National Gallery, nicht auf den der National Portrait Gallery.
Johanna Weisser schrieb:
Aber obwohl ich auch für die Freiheit der Werke bin, finde ich das Verhalten des Benutzers und die Rückendeckung durch die Foundation absolut nicht in Ordnung. Ansprüche oder sogar geltendes Recht bei Seite zu wischen, nur weil man nicht damit einverstanden ist halte ich für inakzeptabel.
Bitte lies das Posting von h-stt: Es ist nicht mal klar, ob hier wirklich geltendes Recht verletzt worden ist. In den USA gibt es das Urteil von Bridgeman vs. Corel, in dem klargestellt wurde, dass dort einfache Reproduktionen von zweidimensionalen Vorlagen keinen eigenen Schutz genießen. In Großbritannien ist es bisher zu keinem solchen Rechtsstreit gekommen, sodass es durchaus nützlich wäre, wenn die Foundation einen derartigen Prozess mal durchziehen würde, alleine schon, um endlich Sicherheit zu erhalten.
Selbstverständlich sollte die Foundation dem Benutzer hier Rückendeckung geben; immerhin hat er ja ihre Position unterstützt (ausführlichere Informationen hierzu siehe http://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:When_to_use_the_PD-Art_tag) und ist in der Folge das Ziel der NPG geworden. Solange nicht mal feststeht, ob die Ansprüche wirklich bestehen, sollte der Benutzer doch nicht einfach im Regen stehen gelassen werden, oder?
Die Entscheidung der NPG, die anscheinend in England bestehende Möglichkeit, für 2D-Reproduktionen Urheberrecht zu beanspruchen, muß nicht gefallen. Ob Sammlung dem Datenbankrecht unterliegt oder nicht mag strittig sein.
Aber obwohl ich auch für die Freiheit der Werke bin, finde ich das Verhalten des Benutzers und die Rückendeckung durch die Foundation absolut nicht in Ordnung. Ansprüche oder sogar geltendes Recht bei Seite zu wischen, nur weil man nicht damit einverstanden ist halte ich für inakzeptabel.
Ansprüche und Verhalten der NPG können durchaus zum Bumerang für sie werden und wahrscheinlich ist es für Wikimedia und allgemein Open-Content-Befürworter der effektivste Weg um Publicity für das Problem zu bekommen. Gutheisen kann ich das Vorgehen trotzdem nicht.
Die Aufzählung der Ansprüche ist unvollständig. Die NPG macht auch noch einen Vertragsbruch gelten, weil sie davon ausgeht, dass durch ihre Benutzungsbedingungen schon beim Betrachten der Webseite ein Vertrag zustandegekommen ist, der das Wiederveröffentlichen von Inhalten ihrer Seite untersagt.
In diesem speziellen Fall wirken sich die beiden betroffenen Rechtsordnungen andersrum aus als beim Copyright: Nach britischem Vertragsrecht ist die Behauptung der NPG unhaltbar, in den USA gibt es eine Entscheidung, nach der so genannte “browse-wrap-licenses” wirksam sein könnten (und mehrere entgegenstehende Urteile) .
Dafür ist der Datenbankschutz als abwegig abzulehnen, da die Investitionen der NPG gerade nicht die Datenbank als solche, sonderen deren Inhalte betreffen. Auch die Umgehung von Schutzmaßnahmen ist bei Zoomify abzulehnen, wie Zoomify selbst feststellt.
Bleibt die Copyright-Frage und die ist auch nach brit. Recht keineswegs eindeutig. Der jüngste und umfangreichste Kommentar zum Recht der Fotografie und digitaler Bilder eröffnet das entsprechende Kapitel mit den Worten: “The position as far as photographs of 2-D works of art, such as paintings, is concerned is presently an open question in English law (Michalos, 2004, p 121)
Fix: Ich meine natürlich nicht Neelie Kroes, sondern Viviane Reding.
http://ec.europa.eu/commission_barroso/reding/index_en.htm
Die Informationskommisarin der EU Neelie Kroes setzt sich doch für den besseren Zugang zum europäischen kulturellen Erbe durch Digitalisierung ein, bekommt dabei aber immer wieder Probleme mit dem Urheberrecht. Es sollte doch möglich sein, ein Projekt mit Finanzmitteln der EU aufzusetzen, dass es den Museen und Galerien ermöglicht, ihre Bestände zu digitalisieren, ohne auf “Rechteverkauf” angewiesen zu sein – der letztlich sowieso vom Umfang eher unbedeutend ist. Der Wert liegt ja wohl eher in der Weiterverarbeitung der Daten, und der Staat hat auf den Mehrwert immer ohne weiteres Zugriff – über die Besteuerung. Das Problem liegt wohl wie immer in der mangelnden Kommunikation der Stakeholder.
Warum nicht Toplevel-Gespräche zwischen britischer Regierung (NPG), EU-Kommission (Kroes) und der Wikimedia Foundation (Jimbo), um endlich mal eine neue digitale Strategie für Europa in kulturellen Erbschaftsfragen zu schaffen? Als Kronzeugen könnte man mittelständische und große Unternehmen dazuladen und befragen, die Wikimedia-Inhalte erfolgreich einsetzen (Spiegel Wissen, Orange, T-Online, Google etc.). Das Ergebnis dann auf alle staatlich unterstützten GLAMs anwenden. Fertig.
(Sicher nicht ganz so einfach, aber nicht unmöglich)
Danke Mathias. Du bist wirklich der Meister im Zusammenfassen zum Teil auch komplizierterer Fakten und Umstände in der Art, daß es wohl Jeder am Ende versteht.
Sehr gute Zusammenstellung, danke.
Zu “Gleichzeitig benötigt sie aber für die Digitalisierung gemeinfreier Werke Finanzmittel, die zum Teil durch die Vermarktung dieser Digitalisate eingeworben werden soll.” – vielleicht liesse sich ja mal ein Digitalisierungsprojekt mit einem/mehreren Museum/Museen oder Ähnlichem gemeinsam durchziehen, bsp. im Rahmen eines EU-geförderten Projektes – die Konstellation Wikimedia Verein (de, fr, pl, …; Open Access, Open Content + Metaverdatung), Museum bzw. Träger (Materialverfügbarkeit, wissenschaftliche Begleitforschung) und Digitalisierungsexperten (KMU, technische Realisierung) sollte sich anbieten. Da in EU-Projekten länderübergreifende Projekte im Fokus stehen sollte der Bezug nicht *eine Sammlung* sondern thematischer Natur sein (bsp. Werkverzeichnis polnischer Malerei des 17. Jahrhunderts, Erotik in der Malerei des 19. Jahrhunderts) – Töpfe auf EU-Ebene sollte es eigentlich noch immer geben.
Falls entsprechende Überlegungen weitergetrieben werden bin ich gern bei der Formulierung des Antrags etc. dabei.
Gruß,
Achim