zur Artikelübersicht

Das Gastspiel unfreier Inhalte im Netz

WMDE allgemein

24. März 2009

Im August 2006 stellte das Bibliographische Institut & F.A. Brockhaus (BIFAB) die Inhalte des Meyers-Konversationslexikons online – die Inhalte (weiterhin gedruckt für 150 Euro im Buchhandel) waren ab sofort kostenfrei auf lexikon.meyers.de einsehbar. Als Softwareplattform für dieses Projekt kam eine modifizierte MediaWiki-Version zum Einsatz, der man die öffentlich einsehbare Versionsgeschichte und die Möglichkeit zur öffentlichen Mitarbeit entfernt hatte. Zum einjährigen Relaunch “Meyers Lexikon 2.0” führte der Verlag dann so etwas ein wie “gesichtete Versionen”: Angemeldete Nutzer konnten Vorschläge für Artikeländerungen einreichen, die dann von der BIFAB-Redaktion geprüft und ggf. eingearbeitet wurden.

Anfang 2008 wurde es dann etwas unübersichtlich: Mit dem Ausblick auf einen Millionenverlust und wegen der Absatzprobleme der gedruckten 21. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie kündigte der Verlag an, mit einer neuen Tochterfirma und einer neuen Seite namens “Brockhaus Online” ein Navigator der Wissenswelt werden zu wollen. Die Pläne klangen durchaus nicht uninteressant: Der komplette Bestand der Brockhaus-Enzyklopädie (und der diversen anderen Textsubstanzen, die auch schon auf dem Bezahlportal www.brockhaus-enzyklopaedie.de eingemischt waren), dazu ein starker Medienpartner für tagesaktuelle Inhalte und Millionen von Bildern, all das kostenlos und werbefinanziert. Der Starttermin im April wurde dann kurzfristig abgesagt, verschoben, abgesagt und zuletzt stillschweigend beerdigt.

Stattdessen trat mit dem erneuten Relaunch des MLO im September 2008 eine Seite auf die Bühne, die größtenteils alle angekündigten Merkmale von Brockhaus Online besaß: Brockhaus-Inhalte, Einbindung einiger Bilderdatenbanken und mit Focus Online ein durchaus gut aufgestellter Medienpartner.

Zeit, sich im Netz bekannt zu machen, hatte dieses neue quasi-Brockhaus Online nicht, die indirekte Ankündigung seines Ablebens kam dann im Dezember 2008 mit der Nachricht, dass BIFAB den Markennamen Brockhaus und die Nutzungsrechte an den lexikalischen Substanzen an die Bertelsmann-Tochter Wissenmedia verkaufen werde. Wissenmedia betreibt seit einer Dekade mit wissen.de ein kostenfrei einsehbares Nachschlagewerk. Die Abschaltung erscheint darum fast zwingend, dem Betreiber Bibliographisches Institut fehlten seit dem Verkauf die Nutzungsrechte an den selbstproduzierten Inhalten.

Kein Projekt ist so schlecht, dass es fortan nicht auch noch als Negativbeispiel dienen kann – oder in diesem Fall als Warnung für die Nutzer unfrei lizenzierter Inhalte im Internet: Es gibt keine Garantie, auch morgen noch darauf zugreifen zu können. Bemüht man die Buch-Analogie, muss man sich vorstellen, dass eines Morgens ein freundlicher Herr vor der Tür steht, der erklärt, man müsse dieses und jenes Buch im eigenen Regal leider zurücknehmen, weil inzwischen der Verlag verkauft und die Nutzungsrechte anderweitig eingesetzt würden. Kurzfristige Abhilfe für jene, die auf MLO verlinkt haben, kann für ein paar Wochen noch der Google-Cache sein. Andere finden vielleicht noch Reste der verschiedenen Entwicklungsstadien im wunderbaren Web-Archive.

Selbst eine restriktive Creative-Commons-Lizenz (beispielsweise mit –nc oder –nd) hätte es Dritten ermöglicht, nach dem Ableben einer Seite zumindest den aktuellen Stand erhalten zu können. Frank Schulenburg, damals Zweiter Vorsitzender bei Wikimedia Deutschland e.V. gab heise.de folgendes Zitat mit auf den Weg:

“Schade, dass sie nicht so konsequent waren und eine freie Lizenz bei den Inhalten gewählt haben. Dadurch würden nicht nur das Meyers-Lexikon von der Mitarbeit Freiwilliger profitieren, sondern alle Menschen.”

Den neuen Besitzern der lexikalischen Substanzen ist ein glücklicheres Händchen bei der Pflege der Inhalte, der Wahl der Geschäftsmodelle und dem Umgang mit den Kunden zu wünschen.

Kommentare

  1. Ich weiß alles!
    1. April 2009 um 23:34 Uhr

    noch einer, dem man ein glücklicheres Händchen bei seinem Geschäftsmodell wünscht:
    http://blog.jimmywales.com/index.php/archives/2009/03/31/update-on-wikia/

    Häme, wem Häme gebührt!

  2. […] Dort geht es eigentlich um den Verkauf an Cornelsen, eine Frage spricht aber auch direkt die Wirrungen um “Brockhaus Online” an: Kamen die Bemühungen mit Brockkaus online zu […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert