Michael Schlesinger ist langjähriger Wikipedia-Autor und seit Oktober 2011 Referent im Bereich Bildung und Wissen.
Am Wochenende 21. bis 23. September 2012 trafen sie sich wieder, die Vertreter der Wikipedia mit ihren Rollkoffern und dem eiligen Schritt, die als Referenten für den Fachbereich Bildung und Wissen von Wikimedia Deutschland unterwegs sind. Sie kennen jeden ICE, jeden Bahnknoten und jede WLAN-Einstellung. Sie sollen und wollen die Idee der Wikipedia und ihrer Schwesterprojekte überall im Land in Schulen, Vereinen und Institutionen aller Art verbreiten. Daher müssen sie sich hin und wieder zum Austausch ihrer Ratlosigkeit, ihrer Begeisterung und der Kritik in den Tagungshotels der Republik für zweieinhalb anstrengende Tage treffen. Diesmal war es ein vergessener westdeutscher Kurort im ablegenen Westerwald, einer herben und steinigen Gegend.
Im Vorfeld dieses sogenannten “Referentencamps” wurde eifrig und teilweise kontrovers über die zu behandelnden Themen diskutiert, man war mit der von den Organisatoren vorgeschlagenen Tagesordnung nicht ganz einverstanden, denn es bestand der Wunsch, mehr über die Perspektiven des Referentennetzwerks zu reden. Dafür wurde dann am Sonntag umso intensiver in Kleingruppen diskutiert. Es war nicht zu übersehen, dass es noch viel Spielraum zur Verbesserung gibt. Die kleinen Wikipedia-Vertreter an den Türklinken der Bildungseinrichtungen brauchen inhaltliche Hilfestellungen für ihren Musterkoffer. Natürlich werden auf diesen Treffen auch immer wieder die gleichen Dinge besprochen, aber diesmal war es konzentrierter und anstrendender als letztes Mal. Besonders erfreulich war, dass gleich drei neue Referentinnen hinzugekommen sind.
Verbreitung Freien Wissens
Referenten sollen ihre Botschaft, in diesem Fall die Verbreitung des ”Freien Wissens” (nein, das ist keine Glaubensgemeinschaft), ihrem Publikum möglichst überzeugend darlegen, doch sie leiden oft unter Zeitdruck, kämpfen mit technischen Problemen und haben das Gefühl, dass die Zeit verrinnt. Nathalie Köpff, Trainerin für Rede- und Gesprächsrhetorik und angehende Referentin, analysierte die Unarten der armen Referenten, die teilweise mit Dialekt und dünnen Stimmen, immer zu schnell, zu laut, zu leise sprechen, auf den Boden blicken und nicht wissen wo sie die Hände lassen sollen. Andere Punkte dieses erbarmungslosen Bootcamps war, wie immer, die Suche nach Rezepten: Wie sieht ein gut gemachter Vortrag oder Autorenworkshop aus (Optimierung der Workshops für die Kunden), was kann hier im Detail verbessert werden? Immerhin ist festzustellen, dass die Referenten offenbar professioneller geworden sind.
“Neulingsloch” und mehr
Weitere Themen waren die stellenweise etwas holprige Kommunikation über die interne Mailingliste, die Verbesserung einer offenbar vorhandenen ”Anerkennungskultur”für Neulinge in der Wikipedia (Gummibärchen, Kätzchen und Barnstars) , sowie die praktizierte Evaluation der Programme im Bereich ”Bildung und Wissen”. Die Diskussion ergab, dass hier einiges verändert werden muss, denn eine ansatzweise wissenschaftliche Evaluation findet bislang nicht statt. Der Kern für Autorenworkshops bleibt, dass alle Bemühungen nur begrenzt nützlich sind, so lange der Wikipedia die neuen Autoren weiterhin fernbleiben. Der knackige Begriff ”Neulingsloch”, eingeführt von Tim Hector, beschreibt anschaulich die Lücke zwischen dem Erstkontakt neuer Autor/innen mit der Wikipedia, der beispielsweise durch Autorenworkshops deutlich wurde, und dem Wikipedia-Alltag. Mentorenprogramm, die Fachportale, so sie denn aktiv sind, könnten helfen dieses unschöne Loch zu stopfen, denn hier verschwindet offenbar einiges vom dringend benötigten Wikipedia-Nachwuchs.
Das Camp ging wie alle diese Camps zu Ende mit dem melancholischen Gefühl des Abschieds. Der ICE hat uns wieder, der Rollkoffer rattert über Bahnsteige und Rampen, die Gedanken sind schon beim nächsten Einsatz…
Michael Schlesinger