Mit dem Filmequipment in der Hand komme ich abends in dem 164-Einwohner-Dorf Bechstedt in Thüringen an und öffne die große Holztür zur alten Scheune. Vor mir erstreckt sich eine lange Tafel, in Kerzenlicht getaucht und nahtlos umsäumt von Menschen zwischen 16 und 60, die sich neugierig und konzentriert beim Abendessen austauschen.
Die Teilnehmer der Commons-Sommerschule sind mit den unterschiedlichsten Projekten hierher gekommen: eine Garten-Coop und ein Wohnprojekt aus Freiburg, eine Food-Coop in Potsdam, ein online Nähforum und „Freifunk“ – um nur ein paar zu nennen. Manche suchen Themen für ihre Abschlussarbeit, andere wollen neue Initiativen gründen, wieder andere das bereits Gegründete kritisch beleuchten oder ihren Erfahrungsschatz austauschen. Für manche steht die theoretische Auseinandersetzung mit „Commons“ im Vordergrund, für andere deren tagtägliche Praxis. So unterschiedlich Teilnehmer und Projekte auch sind, alle sind verbunden in dem Wunsch, eine nachhaltige, soziale, verantwortungsvolle und gleichzeitig selbstbestimmte Lebensform zu ermöglichen.
Da „Commons“ ein sehr vielfältig eingesetzter Begriff ist, nehmen wir uns immer wieder Zeit, ihn zu definieren und im Zusammenhang mit anderen Begriffen zu verstehen. Commons definiert nicht mehr nur das, was wir unter „Allmende“ bzw. „Gemeingut“ verstehen. Es beschreibt kein Gut an sich, sondern eine soziale Praxis, wie wir mit Gütern umgehen. Und diese folgt den Grundprinzipien: Selbstorganisation und Transparenz, Konsens- vor Mehrheitsprinzip, Freies Nutzen und Teilen von Wissen, keine Übernutzung aber auch keine Unternutzung von Ressourcen (z.B. die Unternutzung von von Wissen durch strenge Lizenzen). „Commons“ nicht nur als Gemeingut sondern auch als eine Methode zu verstehen, macht es möglich, es auf jegliche „Nutzergruppe“ einer Ressource, es also auf alle möglichen Dinge und Lebensbereiche anzuwenden. Es eröffnet die Diskussion, was ein Gemeingut ist bzw. sein sollte – denn im Grunde kann alles Gemeingut sein, wenn wir es einer sozialen Praxis diesen Prinzipien folgend dazu machen.
Ganz nach diesen Prinzipien gestaltet sich dann auch der Ablauf der Sommerschule selbst. Es gibt Vorträge von unseren „Experten“ (u.a. Silke Helfrich, Brigitte Kratzwald, Stefan Meretz und Heike Löschmann), die auf Eigeninitiative oder auf Nachfrage der Teilnehmer stattfinden. Unter anderem werden hier die Verhältnisse von Commons zum Kapitalismus, zum Geld, zum Markt, zum Staat beleuchtet und besprochen. Es werden Lesezirkel gebildet und das neu erworbene Wissen geteilt, diskutiert und auf die eigenen Projekte bezogen (Vorträge und Texte finden sich auf der Website der Sommerschule). Wie sich die Gruppen zusammenstellen, was thematisiert wird – und wie –, entscheidet jeweils die Gruppe selbst. Es ist hoch spannend zu beobachten, wie das von statten geht. Nur wenn es Konsens gibt, kann die Gruppe mit einer Diskussion wirklich fortschreiten. Das bedarf einerseits einer großen Offenheit und Aufmerksamkeit sowohl den eigenen Bedürfnissen als auch denen der anderen gegenüber, und andererseits einer ordentlichen Portion Geduld. Im Wesentlichen, das wird schnell klar, kommt es bei der „Commons-Praxis“ auf erfolgreiche Kommunikation an. Das hört sich banal und sehr allgemein an, ist aber nicht zu unterschätzen! Also gibt es auch einen Vortrag über verschiedene Methoden des Dialogs.
Von meiner Seite, die der Filmemacherin, ist der Dreh eine wahre Herausforderung. Es ist praktisch unmöglich als Ein-Frau-Team die angeregten Gespräche von über 20 Menschen mitzuschneiden. Dazu scheint das Tagesprogramm jederzeit offen zur Diskussion zu stehen und kann/darf eine Wende nehmen – das ist kein Mangel sondern teil der Kernidee, denn zur wahren Selbstorganisation gehört die stetige Reflektion und Möglichkeit des Wandels dazu.
Am letzten Tag bin ich erschöpft aber vor allem auch verblüfft über die handfesten Resultate. Neben dem Erlernen einer „Sprache“, in der man den Inhalt der Commons besser ausdrücken und selbstbewusst über sie sprechen kann, wurden ganz konkrete Ziele umgesetzt – Elenor Ostroms acht „Designprinzipien“ für die Commons in einem intensiven Prozess neu formuliert bzw. aus dem Englischen neu übersetzt, mit der Überarbeitung des Commonsartikels auf Wikipedia begonnen, Lernnetzwerke konzipiert, mögliche Multiplikatoren und Kooperationspartner für Foren gesammelt u.v.m.. Und ohne Zweifel kann man sagen: Die Commons-Sommerschule war ein recht perfekt gelebtes „Commons“.
UPDATE: Und hier ist nun auch der Film zur Sommerschule, den Julia produziert hat.
[…] https://blog.wikimedia.de/2012/08/06/bericht-von-der-commons-sommerschule-2012/ […]
[…] Commons zur Verfügung zu stellen. Nun hat sie einen Reisebericht geschrieben, nachzulesen im Wikimedia-Blog oder bei unseren Nachbarn vom […]
[…] [via] PS vom Commonsblog: Für die Teilnahme an der Commons-Sommerschule 2012 hatte die Wikimedia Deutschland der Dok-filmerin Julia Gechter ein Reisestipendium zur Verfügung gestellt. Julia hat die Sommerschule filmisch begleitet und wird diese Videodokumentation unter CC-BY-SA bereit stellen. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Foto by B.Kolbmüller […]
Sehr spannend, danke für den Bericht, ich freue mich auf die Videodokumentation. Silke Helfrich hatte ich mal auf einer Konferenz des Ökumenischen Netzwerkes kennengelernt, sehr inspirierend die Frau. Dort hatte ich einen Vortrag „Wissen ist keine Ware. Das Projekt Wikipedia“ gehalten (Folien: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wissen_ist_keine_Ware_-_das_Projekt_Wikipedia.pdf )