Diese Wikimania ist meine erste Wikimania, ja sogar mein erstes internationales Wikipedianer-Treffen, überhaupt. Deshalb habe ich mich auch gefreut, Jimbo Wales und Sue Gardner zum ersten Mal live zu erleben. Ich kann die Kritik, die ich von anderen Teilnehmern an Jimbos komikerhaftem Auftritt und an Sue Gardners professionell superglatter Präsentation der Arbeit der Foundation gehört habe, durchaus nachvollziehen. Trotzdem fand ich es spannend, beide überhaupt einmal gesehen zu haben.
Im Anschluss an Sues Präsentation der nahezu hundertprozentigen Plansollerfüllung betrat das Board of Trustees die Bühne. Gegenüber Sues ostentativer Professionalität wirkte das Board angenehm menschlich und ein wenig verpeilt. Im Gegensatz zu Sue durften dem Board überhaupt Fragen gestellt werden, die allerdings zuvor schriftlich einzureichen waren und von einem Moderator ausgewählt und dann an die einzelnen Boardmitglieder gerichtet wurden. So etwas wie spontane Kritik oder Nachfragen aus dem Publikum, das ja gerade zuvor die Zahlen und Pläne der Foundation gehört hatte, wurden damit leider von vornherein unterbunden. Schade, dass das Board sich auf dieses Verfahren eingelassen hat. Ich musste die Session vorzeitig verlassen, um bei meinem eigenen Vortrag pünktlich zu sein, bin aber mit dem unguten Gefühl gegangen, dass dieses Board Sue nicht allzuviel entgegenzusetzen haben wird. Dazu ist es meiner Einschätzung nach zu groß, zu unterschiedlich und die Leute zu idealistisch und zu wenig auf knallhartes Nachrechnen und Nachhaken gepolt. Ich setze in dieser Hinsicht aber meine ganzen Hoffnungen auf das neue deutsche Boardmitglied Lyzzy (Alice Wiegand).
Ich hatte das Glück, dass ich meine Session mit Tom Morrison teilen durfte, der in einem mit entzückenden Beispielen garnierten Vortrag über die unzugängliche buzz-word gespickte Sprache der Foundation sprach und Vorschläge für klare treffende Formulierungen machte. Mein persönliches Highlight aus einer Meldung der Foundation “9 out of 10 wikipedians continue to be men” – offensichtlich sind die Wikipedianer einfach nicht zur Geschlechtsumwandlung bereit.
Tom hatte netterweise seinen Fanclub mitgebracht, der dann großenteils auch noch bei meinem eigenen Vortrag im Raum blieb. Trotz des Frauenthemas war der Fauenanteil im Publikum unter 50%, wenn auch nur knapp und im Anschluss ergab sich die erhoffte Diskussion, an der sich tatsächlich auch gleich mehrere Frauen rege beteiligten. Die Folien sind hier zu finden, ein Mitschnitt wird ebenfalls noch irgendwann veröffentlicht:
Der anschließende Women’s Lunch – im Grunde eher ein gemeinsames Auspacken von belegten Broten in Pappschachteln hatte eine Rekordteilnehmerzahl von 120 Frauen – in Taipei sollen es vor einigen Jahren noch lediglich 11 gewesen sein. Jede Frau stellte sich kurz mit Namen, dem Projekt in dem sie aktiv ist und drei Wörtern vor, die ausdrücken sollten, was jeder besonders wichtig ist, oder was sie besonders kennzeichnet. Diese Vorstellungsrunde war langatmig, aber aufschlussreich: die weitaus meisten Teilnehmerinnen waren Amerikanerinnen, wobei von diesen ein großer Teil Bibliothekarinnen sind, unter den deutschen Wikipedianerinnen kenne ich keine einzige Bibliothekarin – wie das wohl kommt? Das nächstgrößere Teilnehmerland war Deutschland – allerdings war ich unter diesen zu meiner Überraschung die einzige aktive Wikipedianerin! Tatsächlich war ich die einzige weibliche Stipendiatin aus Deutschland (von 20 Stipendiaten insgesamt) überhaupt – Autorinnen, bitte bewerbt euch in großer Zahl für Stipendien für die Wikimania in 2013 in Hongkong!!! Außer mir nahm Anja Ebersbach aus dem WMDE-Präsidium am Lunch teil, deren Artikelpremiere allerdings noch aussteht, Delphine Menard (auch WMDE-Präsidium) und Alice Wiegand (Board of Trustees der Wikimedia Foundation) waren zwar ebenfalls in Washington konnten leider nicht am Women’s Lunch teilnehmen. Und dann war da noch ein großer Teil der weiblichen Mitarbeiterriege von Wikimedia Deutschland, immerhin das deutsche Chapter hat den Gender Gap schon lange überwunden – für diese Einstellungspolitik mal an dieser Stelle ein großes Lob an Pavel Richter.
Auch diese Veranstaltung musste ich dann aber leider nach der Vorstellungsrunde schon wieder verlassen, um mir die Vorträge zur usbekischen Wikipedia und zum Bildfilter anzuhören. Die usbekische Wikipedia verdient jede denkbare Unterstützung – hier sind einige wirklich mutige Menschen am Werk, die trotz nicht unerheblicher Gefahren an Artikeln in ihrer Sprache arbeiten. Der Bildfiltervortrag in der letzten Session der Wikimania wurde vor allem von Deutschen besucht, vielleicht ein Bedürfnis, sich hier nach dem erfolgreichen Protest auch noch einmal ein wenig selbst auf die Schulter zu klopfen, denn just an diesem Tag vom Board der Foundation für obsolet erklärt, jedenfalls in der geplanten Form.
Mein Wikimania-Fazit: anstrengend aber lohnend. Es geht tatsächlich viel um Probleme und Dinge, die man aus dem Wikipedianer-Alltag kennt und man muss keinen Hochschulabschluss in internationaler Wikipolitik vorweisen können, um mitreden zu können. Trotzdem bekommen man auch Einblicke in internationale Trends und Pläne, die man sonst vor Ort nicht oder nicht in einem frühen Stadium mitbekommen würde. Einiges davon werde ich nun besser von Berlin aus weiterverfolgen können. Gerne wäre ich manchmal an zwei Orten gleichzeitig gewesen.
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