Patrick Wildermann
1. Juli 2022
„Die Vielfalt, die wir als Wikimedia-Bewegung anstreben, hat sich in diesem Jahr wie noch nie in der Beteiligung am Internationalen Museumstag widergespiegelt – in jeder Hinsicht“. Diese Bilanz zieht Raimund Liebert, der die Leitung Programme bei Wikimedia Österreich innehat.
Der Internationale Museumstag (IMD), der bereits seit 1977 vom International Council of Museums (ICOM) ausgerichtet wird, hat schon 2020 und 2021 einem Zusammenschluss von Wikimedia-Vereinen Anlass gegeben, Freiwillige weltweit dazu aufzurufen, die Sichtbarkeit von Museen in den Wikimedia-Projekten zu erhöhen. In diesem Jahr aber ist der Kreis der beteiligten Chapter über Deutschland, Österreich, CH, Frankreich und Italien deutlich hinausgewachsen: Wikimedia-Vereine und Usergroups aus 27 Ländern haben sich erstmals an den Aktionen rund um den IMD beteiligt. Darunter Indonesien, Chile, Westbengalen, Benin, Botswana oder Ruanda. „Wir sind eine weltweite Bewegung, insofern ist es nur konsequent, die Zusammenarbeit nicht nur auf die etablierten europäischen Vereine zu beschränken“, so Liebert.
Bereitschaft zum Support
Bedingung der erfolgreichen Zusammenarbeit war freilich auch die Bereitschaft zum gegenseitigen Support. Wie in den vergangenen Jahren war ein Herzstück des Aufrufs zur Inhaltserstellung wieder ein Wikidata-Wettbewerb – mit dem Ziel, die Daten über Museen in Wikimedias Datenbank zu vermehren und zu verbessern, seien es Geo-Koordinaten, Adressen, Informationen zu Personen, Objekten oder Ereignissen. Als Preise für die Beitragenden waren Buchpakete – einlösbar in den Onlineshops von teilnehmenden Museen – in Höhe von 150 Euro ausgelobt. Wikimedia-Vereine, denen die Mittel dafür fehlten, bekamen Unterstützung von anderen Chaptern, oder dem Volunteer Supporters Network – ein Verband von Menschen, die in Wikimedia-Organisationen weltweit arbeiten und in der Freiwilligen-Unterstützung tätig sind. Entsprechend konnten alle teilnehmenden Vereine lokale Wettbewerbe für Museen in ihrem Land oder ihrer Region ausrichten.
Die Resonanz war beachtlich. Allein 305 Wikidatians haben beispielsweise zu Museen in Westbengalen beigetragen. Das heißt nicht, dass sie alle von dort stammen. Jede*r Freiwillige kann zu Museen weltweit Inhalte erstellen. Ein interaktiver Museumskartendienst – zur Verfügung gestellt von Wikimedia CH – bietet dabei Orientierung, wo besonderer Bedarf besteht. Auf diesen Karten aller teilnehmenden Länder wird per Klick ersichtlich, wie viele Informationen über eine Kulturerbe-Institution (auch Archive oder Burgen sind verzeichnet) bereits in den Wikimedia-Projekten Wikipedia, Wikidata und Wikimedia Commons vorhanden sind. Insgesamt aber sieht Raimund Liebert bestätigt, „dass gerade im sogenannten globalen Süden eine große Bereitschaft bestand, sich zu beteiligen und zu engagieren“.
Mehrwert für die Museen
Ein Erfolg, der sich auch in Zahlen messen lässt: Knapp tausend Menschen haben an Wikidata-Wettbewerb teilgenommen, über die Hälfte von ihnen hat sich eigens für diesen Zweck ein neues Benutzerkonto in den Wikimedia-Projekten angelegt. Die Banner-Kampagne wurde weltweit über 2,3 Millionen Mal geklickt, 86.108.434 Bytes sind den Wikidata-Items über Museen hinzugefügt worden.
Einer, der dazu beigetragen hat, ist Benutzer Wuselig, langjähriger Wikipedianer aus Deutschland, der inzwischen auch zu schätzen weiß, „was Wikidata uns als Handwerkszeug mitgibt“. Wuselig hat sich als passionierter Fotograf von Museumsobjekten auf eine Institution konzentriert – das Diözesanmuseum Rottenburg – und über 100 Objekte aus deren Sammlung mit Wikidata-Items verknüpft. Was ihm einen dritten Platz beim Wettbewerb in Deutschland eingebracht hat. Der Wikipedianer ist begeistert davon, wie Wikidata hilft, die Beschreibung eines hochgeladenen Bildes zu verbessern – durch Verknüpfungen mit bestehenden Einträgen, die Einordnung der Objektart und des Genres, nicht zuletzt die Mehrsprachigkeit. Schließlich werden in der Datenbank Begriffe automatisch in allen Sprachen eingespielt, die von den Wikidata-Freiwilligen weltweit gepflegt werden. Ein Nebenprodukt dieser akribischen Sammlungsbeschreibung ist, dass auch Provenienzen und ältere Sammlungen – Wuselig nennt etwa Hirscher, Dursch, Abel, Boisserée oder Solly – wieder dargestellt und in Zusammenhang gebracht werden können.
„Wir schaffen auf diese Weise auch für die Museen einen Mehrwert“, ist er überzeugt, „indem wir ihre Bildbeschreibungen mit viel mehr verknüpfbarer Hintergrundinformation versehen“.
Das sieht auch Frank von Hagel so, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Museumsforschung in Berlin. „Wikidata ist eine Stelle, die immer spannender wird, gerade wenn Museen online gehen und sich vernetzen wollen, sei es untereinander, oder mit anderen Kultureinrichtungen“. Als Knotenpunkt beschreibt er Wikidata, wo die Verknüpfung mit anderen Datenbanken ebenso möglich werde „wie der gezielte Lookup mit dem eigenen Datensatz, die Suche beispielsweise nach allen in Wikidata verfügbaren Informationen zu einer bestimmten Person“, beschreibt von Hagel. „Das führt dazu, dass gerade kleine Museen zu sehr komplexen Datenlieferungen befähigt werden“.
Gemeinsam stärker
„The Power of Museums“ – mit diesem Motto hat ICOM den Internationalen Museumstag 2022 überschrieben. In Deutschland, wo der Deutsche Museumsbund (DMB) den Aktionstag bundesweit zusammen mit den einzelnen Museumsverbänden und -ämtern der Länder durchführt, lautete es: „Museen mit Freude entdecken“. In den Augen von Ksenia Weber, die als Projektverantwortliche für den DMB den Internationalen Museumstag koordiniert, war der Titel Programm: „Über 1750 Museen in Deutschland haben teilgenommen, es gab rund 4500 analoge und digitale Aktionen“. Auch die Zusammenarbeit mit WMDE im Rahmen des Museumstages bewertet sie durchweg positiv: „Gemeinsam ist man stärker, wir können auf verschiedenen Ebenen Synergien erzeugen“.
Bereichernd war für Weber in diesem Zusammenhang auch eine GLAM-digital-Veranstaltung, die Holger Plickert für WMDE mit Vertreter*innen von Museumsfachverbänden und Freiwilligen initiiert hat: „Die Ehrenamtlichen hatten sehr praktische Vorschläge, wie sich gemeinsam die Sichtbarkeit von Museen in den Wikimedia-Projekten erhöhen ließe“. Insgesamt brauche es mehr Bereitschaft der Institutionen, aktiv ihr Wissen zu teilen.
Blicke über den Tellerrand
„Es gibt immer noch Bedarfe von Museen, sich überhaupt auf Wikipedia und anderen Wikimedia-Projekten zu präsentieren“, gibt Felicia Sternfeld zu bedenken, Vorstand von ICOM Deutschland. Dass sie von der Sichtbarkeit profitieren könnten, ist für Klaus Staubermann – Geschäftsführer und Generalsekretär von ICOM Deutschland – keine Frage: „Die Reichweite von Wikimedia übertrifft diejenige der Museen bei weitem“. ICOM etwa habe 50.000 Mitglieder weltweit, 6000 davon in Deutschland, was annähernd der Zahl der Museen hierzulande entspreche – im Vergleich zu der Community der Wikimedia-Nutzenden eine geringe Größe. Schon insofern ergebe es für die Gedächtnisinstitutionen Sinn, mit Wikimedia „sowohl über gemeinsame digitale, als auch über Präsenzformate nachzudenken“.
Die Zusammenarbeit zwischen ICOM und Wikimedia funktioniere dabei hervorragend, findet Kerstin Sonnekalb, Outreach & Communication Managerin von Wikimedia CH – und das nicht nur im Rahmen des Internationalen Museumstages. Gemeinsam wurde beispielsweise auch ein Aufruf an die internationalen Wikimedia-Communities gestartet, bedrohte Kulturgüter aus Afghanistan zu schützen. „Generell sollten wir über unseren Tellerrand schauen und dazu beitragen, dass in allen Teilen der Welt Kulturgüter in den Wikimedia-Projekten zur Verfügung gestellt werden können“, so Sonnekalb. Anlässlich des Internationalen Museumstages hat Wikimedia CH die Wikipedia-Usergroup aus Benin mit einem Microgrant – einem Sponsoringbeitrag – unterstützt. Genutzt wurde der für eine „Benin Museum Tour“ mit Workshop und Editathon.
Über Grenzen hinweg
„Der Internationale Museumstag hat gezeigt, dass die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg funktioniert“, schließt Raimund Liebert von Wikimedia Österreich.
Dem stimmt auch Candy Tricia Khohliwe zu, langjährige Wikimedianerin aus Botswana. Sie hat mehrfach Events wie den Fotowettbewerb „Wiki Loves Africa“ geleitet, einen „Art and Feminism“-Editathon, engagiert sich für „Wiki Loves Women“. In Botswana, sagt sie, gebe es weniger als 10 Museen – mit bis dato wenig Sichtbarkeit in den Wikimedia-Projekten. Sie selbst hat den Internationalen Museumstag 2022 genutzt, um an einem Wikidata-Training teilzunehmen, zuvor war sie hauptsächlich in Wikipedia und WikiQuote (ein freies Kompendium von Zitaten in allen Sprachen der Welt) aktiv. „Wikidata ist als Plattform sehr andockfähig für Menschen, die beitragen möchten“, findet Khohliwe, sie will sich dort in Zukunft mehr engagieren. Ein konkretes Projekt hat sie auch schon im Sinn: „Ich möchte eine Session über Frauen auf Wikidata starten und ihre Sichtbarkeit erhöhen“.