Christopher Schwarzkopf
12. Juni 2019
Diese Stellungnahme ist auch als PDF-Version auf Wikimedia Commons zu finden.
Wikimedia Deutschland, Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens, stellt zur Lizenzierungsplattform für wissenschaftliche Publikationen fest: Die geplante Lizenzierungsplattform ist der falsche Ansatz, um den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zu verbessern. Sie droht den freien Zugang und die freie Nutzung wissenschaftlicher Informationen weiter zu beschränken, dabei sollte Wissenschaft offen, also transparent, auffindbar und frei nachnutzbar sein.
Wissenschaft geht uns alle an
Wikimedia Deutschland begrüßt die Tatsache, dass ein Dialog darüber geführt wird, wie der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen im Interesse aller Beteiligten verbessert werden kann. Der Kreis der eigentlich beteiligten und betroffenen Stakeholder ist aber viel weiter als die bislang im Dialog repräsentierten bekannten Akteurinnen und Akteure eines traditionellen Wissenschaftsverständnisses. Die Frage danach, wie der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen gestaltet werden soll, ist nicht nur für Verlage, Institutionen und Forscherinnen und Forscher relevant, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt, die ein vitales Interesse daran hat, stärker an wissenschaftlicher Forschung und Lehre zu partizipieren.
Wikimedia Deutschland setzt sich dafür ein, dass Menschen innerhalb wie außerhalb wissenschaftlicher Institutionen und Forschungseinrichtungen uneingeschränkten und gleichberechtigten Zugang zu wissenschaftlichen Informationen (Ergebnissen, Daten, Informationen über verwendete Methoden usw.) haben und diese für ihre eigenen Zwecke nutzen können – unabhängig von sozialen, politischen und kulturellen Faktoren wie Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Einkommen.
Öffentliches Geld, öffentliches Gut
Die Wissenschaft, die mit öffentlichen Geldern finanziert und gefördert wird, muss den gesellschaftlichen Zweck erfüllen, für die Öffentlichkeit zugänglich und frei nutzbar zu sein. Forschung und Entwicklung findet in Deutschland auch an privaten Institutionen, in Unternehmen und Instituten statt. In der Praxis sind viele dieser Forschungsvorhaben eng verknüpft mit staatlichen Akteuren und Geldern der öffentlichen Hand. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen (S. 33, Zeile 1398-1400) „Empfänger von Fördermitteln im Rahmen der Projektförderung des Bundes daher regelhaft [zu] verpflichten, ihre Publikationen mittels offener Lizenzen frei verfügbar zu machen“. Geld und Zeit in eine Plattform zu investieren, die es Verlagen ermöglicht, Lizenzgebühren für die Arbeit größtenteils öffentlich angestellter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzunehmen, widerspricht diesem Ziel und behindert Initiativen zur Förderung offener Praxis in der Wissenschaft.
Offene Wissenschaft = Zeitgemäße Wissenschaft
Grundsätzlich ist eine Vereinfachung des Zugangs zu Wissen zu begrüßen. Gerade im Hinblick auf die soeben angesprochene Verpflichtung zur Verwendung offener und freier Lizenzen erscheint eine Lizenzierungsplattform jedoch wie ein Projekt, dass völlig an den Zeichen der Zeit vorbei geht. Denn die offene Lizenzierung erlaubt es Nutzenden von Informationen gerade, sich aus dezentralen Quellen wie Hochschulrepositorien zu informieren, ohne dazu Freigaben oder Lizenzen einholen zu müssen. Vorhaben wie die European Open Science Cloud sind darauf ausgelegt, durch Offenheit eine effektivere Verbreitung von Wissen über nationale Grenzen hinweg zu fördern. Eine Offene Wissenschaft verbessert die Transparenz, Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit und damit letztlich die Qualität und das Innovationspotenzial wissenschaftlicher Arbeit. Die EU, der Bund und andere Forschungsförderer wirken darauf hin, dass die offene Lizenzierung mehr und mehr zum Standard wird. Die angestrebte Plattform soll also ein Problem lösen, dass es bald ohnehin nicht mehr geben sollte.
Gefahr der Umgehung von Schranken
Für bereits veröffentlichte Werke, die nicht frei lizenziert wurden, sollte der Zugang besser über gesetzliche Schranken geregelt werden. Auch diesbezüglich ist die Lizenzierungsplattform ein Rückschritt: Am 01. März 2018 trat das „Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ (UrhWissG) in Kraft, welches das Urheberrechtsgesetz um die §§ 60a bis 60f ergänzte. Dieses sollte eigentlich das Urheberrecht in möglichst wissenschaftsfreundlicher Art und Weise reformieren. Gemäß § 60e Abs. 4 und Abs. 5 UrhG dürfen Bibliotheken seither Werke an eigenen Terminals zur Vervielfältigung bereithalten bzw. auf Nachfrage versenden. (In § 60f Abs. 1 UrhG wird diese Regelung auch auf Archive ausgeweitet, allerdings nur für die Terminals, nicht für den Versand.) Das gilt jedoch nur für nicht-kommerzielle Zwecke. Erlaubt ist außerdem nur die Vervielfältigung von bis zu 10% eines Werks.
Diese Schranke ist also ohnehin schon sehr restriktiv. In § 60g UrhG wird sie weiter eingeschränkt. Gemäß § 60g Abs.1 UrhG darf von den gesetzlichen Schranken nicht per Vertrag abgewichen werden. Eine Ausnahme gilt gemäß § 60g Abs. 2 UrhG, wenn Vereinbarungen ausschließlich die Zugänglichmachung an Terminals oder den Versand von Vervielfältigungen auf Einzelbestellung zum Gegenstand haben. Durch solche Vereinbarungen lassen sich also die ohnehin sehr schwach formulierten Schranken bezüglich Zugang am Terminal und per Einzelversand umgehen. Das hätte zwei problematische Konsequenzen:
- Die Verwerter können den Preis bestimmen. Dies würde die etablierte Praxis unterlaufen, dass bei gesetzlichen Schranken normalerweise Nutzenden-Kreise und Verwertungsgesellschaften die Vergütungsrate im Dialog festlegen.
- Die Verwerter bekommen die Einnahmen. Das Geld, das aus gesetzlichen Schranken fließt, gehört gemäß der Rechtsprechung des EuGH und des BGH allein den Kreativen, nicht den Verlagen. Die neue Urheberrechtsrichtlinie soll diesen Grundsatz zwar gemäß Artikel 16 aufheben und die Verlage „angemessen beteiligen“. Die Umsetzung der Richtlinie steht aber noch aus und noch weiß niemand, wie sie genau aussehen wird. Wenn die Verwerter nun schon vorher die gesetzlichen Schranken durch vertragliche Vereinbarungen umgehen können, so können sie schon vor der Umsetzung der Richtlinie einen Großteil des Geldes für sich behalten und müssen es nicht an die Kreativen ausschütten.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die derzeitigen vagen Pläne für eine nationale Lizenzierungplattform eine Wissenschaft fördern, die für eine Verstetigung der derzeitigen Kräfteverhältnisse der Akteurinnen und Akteure steht. Damit sind die Pläne gegenläufig zu Bestrebungen, Wissenschaft zu öffnen, ihre Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und so Wissen für alle erreichbar zu machen. Um die Qualität und Zukunftsfähigkeit der Wissenschaft zu stärken und sie an die Bedingungen einer digitalen Gesellschaft anzupassen, sind Ansätze falsch, die an nationalen Grenzen halt machen.
Hintergrund
Die meisten im erwähnten UrhWissG vorgesehenen Änderungen sind zunächst auf eine Laufzeit von fünf Jahren befristet und sollen ab 2022 evaluiert werden. In diesem Zusammenhang heißt es im Koalitionsvertrag von 2018 (S. 132, Zeile 6227-6239):
„Wir greifen den Wunsch des Deutschen Bundestages auf und werden einen strukturierten Dialog führen, wie möglichst rasch innerhalb der nächsten fünf Jahre der Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen im Interesse aller Beteiligten – der Autorinnen und Autoren, der vielfältigen deutschen Verlagslandschaft und der nutzenden Wissenschaft – über eine Lizenzierungsplattform praktisch verbessert werden kann.”
Im vergangenen September lud das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) dementsprechend Vertreterinnen und Vertreter von über 60 verschiedenen Anspruchsgruppen – darunter auch Wikimedia Deutschland – ein, sich an einem gemeinsamen Dialog über die Notwendigkeit einer solchen Lizenzierungsplattform für wissenschaftliche Publikationen zu beteiligen, und ihre Einschätzungen und Positionen zu der geplanten Infrastruktur in diesen einzubringen.