Du hast den Preis „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen” gewonnen. Wie fühlt sich das an und ändert sich dadurch was für dich?
HH: Ich hatte von dieser Initiative schon früher gehört und damit stets Ehrenamt und soziales Engagement verbunden. Dass auch wissenschaftliche Projekte in Betracht kommen, wenn sie in die Gesellschaft hineinwirken, war mir gar nicht bewusst. Bis Anfang März der Anruf aus Berlin kam. Das diesjährige Motto „Offen denken – Damit sich Neues entfalten kann” passte wohl einfach zu meinem Projekt, das ja im Förderprogramm „Fellow-Programm Freies Wissen” von Wikimedia Deutschland und des Stifterverbands entstanden war. Ich freue mich, schon kurz nach Abschluss des Projekts so prominente Anerkennung zu erfahren. Das bestärkt meinen Entschluss — und bietet auch anderen zusätzlichen Anreiz — unsere wissenschaftlichen Projekte offen und mit Blick auf ihre gesellschaftliche Wirksamkeit zu gestalten.
Wie und warum wird die Welt von genau deinem Forschungsprojekt profitieren? Was ist das Ziel deiner Forschung?
HH: Die “Welt”, das ist wohl eine etwas weite Zielgruppe. Mein Projekt war der Versuch, einen bestimmten Dokumentenbestand digital verfügbar zu machen und wissenschaftlich aufzubereiten. Diese Dokumente sollten einerseits der Wissenschaft nützen und andererseits einen kleinen Beitrag zur fortschreitenden Digitalisierung der Justiz leisten. Denn auch die an den Strukturen des deutschen Rechtssystems interessierte Öffentlichkeit profitiert ja davon, und sei es “nur” vermittelt durch fachlich vorgebildete Journalistinnen und Journalisten. Wie und wofür das Portal tatsächlich angenommen wird, muss sich noch zeigen. Zumindest innerhalb der Wissenschaft rufen Kolleginnen und Kollegen anderer Fachrichtungen — in Deutschland und international — immer wieder nach solchen Daten, etwa für die empirische Justizforschung. Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, dass Rechtshistorikerinnen und -historiker damit die zeitgenössische Justizgeschichte untersuchen, Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Einflussfaktoren auf gerichtliche Entscheidungsprozesse, und Justizsoziologinnen und -soziologen das soziale Netzwerk der deutschen Richterschaft.
Wieso hat das was mit Freiem Wissen zu tun und welche Rolle spielt Offene Wissenschaft dabei?
HH: Die Dokumente, um die es mir ging, SIND freies Wissen. Das steht in Paragraph 5 des Urhebergesetzes über amtliche Werke. Es heißt aber leider noch nicht, dass sie auch ohne Weiteres verfügbar sind. Fragt man die Gerichte, von denen diese Dokumente stammen, so haben fünf von sieben der höchsten deutschen Gerichte schlicht keine Kopien für vergangene Jahre aufbewahrt — oder haben die Dokumente zwar seinerzeit veröffentlicht, können aber heute nicht mehr sagen, wo genau. Wenn ich also “mal eben” in eines dieser Dokumente schauen möchte, musste ich bisher auf eine Schnitzeljagd gehen, die nicht selten in die Tief- oder Außenarchive von Universitätsbibliotheken führte. Dort lagern die letzten verfügbaren Exemplare auf jahrzehntealtem, brüchigen Zeitungspapier, das für den Kopierer schon wegen seines Formats kaum brauchbar ist. Und für jedes weitere Dokument, das ich sehen will, beginnt die Schnitzeljagd von vorn. Also ist das Wissen zwar im Prinzip frei, aber praktisch doch eingesperrt, auf sehr geduldigem Papier. Die Rolle offener Wissenschaft bestand hier also darin, das Wissen von seiner Papierform zu befreien, fachgerecht zu editieren und digital zugänglich zu machen. Nun erreicht jeder — ob Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler oder nicht — diese Dokumente mit zwei Mausklicks, von überall auf der Welt… womit wir wieder bei der vorigen Frage landen.
Wie können Wikimedia-Projekte von Offener Wissenschaft lernen? Oder umgekehrt. Kannst du ein praktisches Beispiel dafür geben?
HH: Die ehrenamtlichen Datensammlerinnen und -sammler von Wikipedia und Wikidata haben für viele deutsche Richterinnen und Richter bereits reichhaltige Informationen zusammengetragen, die man mit meinen Daten zusammenführen und abgleichen könnte. Mein Projekt bietet ja erstmals eine systematisch aus amtlichen Beständen gespeiste Datenquelle – aber auch die ist nicht fehlerfrei, was ich durch vorläufige Tests mit den Wikimedia-Daten feststellen konnte. Umgekehrt habe ich im Zuge meines Projekts auch zahlreiche Richterinnen und Richter identifiziert, zu denen die Wikimedia-Datenbanken bisher gar keine Informationen enthalten, so dass ich dort ganz neue Datensätze einspeisen kann. Gemeinsam mit meiner Projektmentorin Claudia Müller-Birn und ihrer Mitarbeiterin Marisa Nest arbeite ich im Austausch mit der Wikimedia-Community daran, die Datenbestände zu vereinigen und dadurch die im Internet verfügbare Dokumentation der höchsten deutschen Gerichte zu verbessern.
Das klingt so, als ob du Offene Wissenschaft gut findest. Was muss in deinen Augen getan werden, damit mehr Menschen davon profitieren?
HH: “Offene Wissenschaft” ist ein weites Feld, deshalb kann ich wohl nicht für alles sprechen, was in ihrem Namen stattfindet. Ich meine aber, dass in vielen Wissenschaften eine transparentere Kommunikation große Vorteile hätte. Damit meine ich, dass die Veröffentlichung von Daten, Methoden und Erkenntnissen weniger durch wirtschaftlich motivierte Exklusivrechte beschränkt sein sollte. Das wird mit der zunehmenden Digitalisierung ohnehin geschehen, weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die großflächige Verbreitung ihres Wissens nicht mehr im Austausch gegen Exklusivrechte teuer erkaufen müssen. Dennoch braucht es immer das Engagement einzelner, um Wissen (selbst freies Wissen, wie hier) frei verfügbar zu machen. Dieses Engagement widerspricht meist Profitinteressen. Oder anders gesagt: Ich hätte mein Internetportal ja auch kostenpflichtig machen können, wie es mindestens ein Unternehmen mit denselben Dokumenten tatsächlich tut. Dank der Förderung durch Wikimedia und dem Stifterverband konnte ich solchen finanziellen Sachzwängen allerdings von vornherein ausweichen. Es braucht also neben engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch leicht zugängliche Förderprogramme. Und natürlich öffentlichen Rückhalt für die Öffnung von Wissenschaftsprojekten. Den zahlreichen Bekenntnissen zur Öffnung der Wissenschaft muss noch mehr reale Unterstützung durch die öffentliche Hand folgen. So wie nun durch den Bundespräsidenten und die „Land der Ideen”-Initiative mit dem schönen Motto für 2017: Offen denken.
Dr. Dr. Hanjo Hamann arbeitet am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern (Bonn), unter anderem zu Vertragsrecht, Rechtslinguistik, empirischer Rechtsforschung und Verhaltensökonomik. Er war mit dem Editionsprojekt „Die Namen der Justiz”, aus dem das prämierte Internetportal entstanden ist, Stipendiat im ersten Programmdurchlauf des Fellow-Programms Freies Wissen 2016/17.
Das Fellow-Programm Freies Wissen geht in die zweite Programmrunde – Jetzt für ein Stipendium bewerben!
Um das Wissen und die Praxis zu Offener Wissenschaft weiter zu fördern, werden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen in diesem Jahr wieder die Chance erhalten, Offene Wissenschaft in ihrer Forschungspraxis auszuprobieren – das Fellow-Programm Freies Wissen startet ab Herbst 2017 in die zweite Programmrunde. Bewerbungen sind ab sofort möglich, die Bewerbungsfrist endet am 04. August 2017.