Zu Gast war u.a. Ilja Braun, Autor des Buches “Grundeinkommen statt Urheberrecht?”
In diesem Textbeitrag zur Veranstaltung befasst er sich kritisch mit dem im Salon thematisierten Konzept, Grundeinkommen per Crowdfunding zu generieren.
Ein Gastbeitrag von Ilja Braun
Mit seinem Crowdfunding-Projekt mein-grundeinkommen.de hat Michael Bohmeyer einen Coup gelandet. Selten hat das Thema Grundeinkommen in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Bohmeyer sammelt per Crowdfunding Geld ein, und immer wenn 12.000 Euro zusammengekommen sind, wird ein Grundeinkommen von 1.000 Euro monatlich für ein Jahr verlost.
Eine Art Grundeinkommens-Lotterie also. Bis April 2015 hat der Initiator auf diese Weise bereits elf Grundeinkommen finanziert. Mitmachen kann jeder, der in knappen Worten darlegt, was er im Falle eines Gewinns mit dem Geld machen möchte. „Vielleicht bekommen wir so ein Gefühl dafür, wie eine Grundeinkommens-Gesellschaft aussehen könnte“, sagt Bohmeyer in seinem Begrüßungsvideo. Und: „Ich glaube, dass ein Grundeinkommen […] in allen Menschen enorme Kreativität erwecken kann und dass die Gesellschaft damit auf allen Ebenen einen großen Schritt vorankommen kann. Aber wissen kann ich es natürlich nicht. Deswegen schaffen wir jetzt Tatsachen und probieren es einfach mal aus.“
Was Evgeny Morozov „solutionism“ nennt, nämlich das Anbieten von Antworten, ohne dass je die Frage richtig formuliert gewesen wäre, hat Odo Marquard früher in einen Aufsatztitel gefasst: „Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist“. Um ihn zu variieren, soll hier die Frage nach der Frage gestellt werden, auf die das bedingungslose Grundeinkommen die Antwort ist. Einfacher: Welches Problem soll damit gelöst werden?
Um in medias res zu gehen: Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen könnte die Antwort sein auf eine Krise der Kapitalismuskritik.
Knapp erläutert: Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus erscheint der Kapitalismus alternativlos. Dadurch ist auch die Kapitalismuskritik in eine Krise geraten. Boltanski/Chiapello haben in ihrem Standardwerk zum „neuen Geist des Kapitalismus“ zwei Traditionen dieser Kritik auseinandergehalten: die „Sozialkritik“, die auf die mangelnde Verteilungsgerechtigkeit abzielte, und die „Künstlerkritik“, die den Mangel an Autonomie in der fordistischen Industriegesellschaft ins Visier nahm. Auf beide Vorwürfe hat der Kapitalismus jedoch reagiert. Die 70er Jahre waren die Zeit der sozialdemokratischen Umverteilung und der Demokratisierung des Wohlstands. In den 80er Jahren hat der Kapitalismus die Sehnsucht nach mehr Selbstbestimmung und Freiheit am Arbeitsplatz in sich aufgenommen. Zwar ging die soziale Absicherung zu Lasten von Freiheit und Selbstbestimmung wie die Deregulierung zu Lasten der sozialen Sicherheit. Doch es hat genügt, um der Kapitalismuskritik den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist nun geeignet, beide Formen der Kapitalismuskritik wieder zusammenzuführen. Nur eine ausreichende und bedingungslose soziale Absicherung, so kann argumentiert werden, schafft die Voraussetzung für persönliche Freiheit und Autonomie. Wenn man das zweite wirklich will, braucht man das erste.Natürlich schließt sich die Frage an, wie das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden soll. Nahezu alle Grundeinkommens-Modelle gehen von Steuerfinanzierung aus. Steuern sind ein Instrument der Reichtumsumverteilung, begründet mit sozialen und Gerechtigkeitserwägungen. Wer ein Grundeinkommen aus Steuern finanzieren will, verargumentiert also einen Anspruch der Gesellschaft auf diese Art von Umverteilung. Er stellt das Leistungsprinzip, zumindest bis zu einem gewissen Grad, in Frage. Er bezweifelt, dass das Verteilungsergebnis des Marktes ein gerechtes ist und fordert eine Korrektur über Steuern. Ein steuerfinanziertes bedingungsloses Grundeinkommen ist nur die denkbare radikalste Form jener Umverteilung, die Steuerpolitik im Kern immer vornimmt.
Damit zurück zu mein-grundeinkommen.de. Michael Bohmeyer geht offenbar von einem ganz anderen Ansatz aus. In seinen eigenen Worten: „Eigentlich wollte ich mich mit dem Geld ausruhen und tatsächlich mal faul sein. Aber stattdessen habe ich einen Schaffensdrang, der mich selbst überrascht. Ich fühle mich frei und sorglos, ich hab den Kopf voller Geschäftsideen, ich engagiere mich ehrenamtlich, kann ein besserer Vater sein und lebe zudem auch noch gesünder.“ Seine Frage nach der Frage, auf die das bedingungslose Grundeinkommen die Antwort sein soll, ließe sich eher so formulieren: Was würde passieren, wenn alle Menschen ein Grundeinkommen bekommen würden? Würden sie alle faul auf dem Sofa liegen? Oder wären sie kreativ, voller Schaffensdrang, engagiert und überhaupt in ihrem ganzen Dasein auf das Wohl der Gemeinschaft orientiert?
Man könnte ihm eine zynische Antwort geben: Um diese Frage zu beantworten, bedarf es keines Experiments mehr. Es gibt heute schon genügend Leute, die ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Nämlich all jene, die nicht zu arbeiten brauchen, weil sie von ihren Kapitalerträgen leben. Sind diese Menschen alle kreativ und leisten zum Nutzen der Gemeinschaft freiwillige Beiträge? Oder schaffen sie eher ihren Reichtum in Steueroasen und treiben in den Großstädten die Mieten in die Höhe?
Aber auch ohne Polemik: Dass es diese happy few gibt, hat offenbar nicht zu einer gesellschaftlichen Veränderung geführt, wie vielleicht auch Bohmeyer sie wünschenswert findet. Eine willkürliche Minderheit von Individuen mit dem Privileg auszustatten, dass sie auf Kosten anderer nicht zu arbeiten brauchen, führt offenbar weder zu einer insgesamt größeren Freiheit für eine Mehrheit der Gesellschaft noch zu einer gerechteren Reichtumsverteilung. Im Gegenteil, es bestätigt vielmehr den status quo, dass manche Menschen frei sind und viel haben, während andere unfrei sind und wenig haben.
Der Ansatz, das mit dem Grundeinkommen einfach mal auszuprobieren, gerät hier an seine Grenzen. Man kann natürlich behaupten, es sei besser als nichts, wenigstens einen Anfang zu wagen. Doch kann man kaum die begrenzte Skalierbarkeit des Projekts eingestehen, ohne dabei seine gesellschaftliche Relevanz in Frage zu stellen. Denn dass es auf Basis freiwilliger Spenden nicht funktionieren wird, ein Grundeinkommen für alle zu finanzieren, steht von vornherein fest. Wenn dies aber nur mit Zwang gelingen kann, also mit einer verpflichteten und auferlegten Reichtumsumverteilung, stellt sich die Frage, wie man eine solche begründen und rechtfertigen will. Dazu macht Bohmeyers Projekt von vornherein keine Aussage.
Man mag da die Achseln zucken. Aber was ist dann der Gradmesser des Erfolgs von Bohmeyers Crowdfunding? Dass möglichst viele Leute freiwillig spenden? Oder geht es darum, am Ende vorweisen zu können, dass xy% der Grundeinkommens-Gewinner nicht nur faul auf dem Sofa liegen, sondern „entrepreneurial spirit“ entwickeln? An dieser Stelle bekommt mein-grundeinkommen.de einen nicht ganz unbedenklichen Spin. Mit dem Grundeinkommen, so soll man glauben, wird es ganz so schlimm, wie seine dümmsten Kritiker behaupten, dann doch nicht kommen. Höchstens eine Minderheit wird faul auf dem Sofa liegen. Die meisten aber werden trotzdem arbeiten oder in anderer Weise zum Nutzen der Gemeinschaft tätig sein, ganz freiwillig.
Das soll wohl beruhigend wirken. Aber was ist mit jenen, die zur Gemeinschaft nichts beitragen wollen, die ihr vielleicht sogar kritisch gegenüberstehen? Es ist auffällig, dass der Nutzen für die Gemeinschaft hier so stark hervorgehoben, in anderen Zusammenhängen sogar nachdrücklich eingefordert wird. Umso nachdrücklicher, könnte man behaupten, je weniger kollektive Substanz in der Gesellschaft tatsächlich noch anzutreffen ist. Freiheit ist aber immer die des Andersdenkenden, also die Freiheit, Nein zu sagen. Und die Gretchenfrage ist am Ende: Ist das Grundeinkommen, um das es hier geht, wirklich ein bedingungsloses, oder ist es nur für die zu haben, die nicht die Hand beißen, die sie füttert?
Es wird freilich nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die realpolitische Wirkung, die von Michael Bohmeyers Projekt ausgeht, sollte man unabhängig von den grundsätzlichen Einwänden bewerten, die hier erhoben wurden. Vielleicht wäre die Bilanz sogar eine positive. Ganz aber wird sich der Verdacht nicht ausräumen lassen, dass Lotto und Revolution einfach nicht zusammenpassen.
- Weiterführende Lektüre: Grundeinkommen statt Urheberrecht? Zum kreativen Schaffen in der digitalen Welt
- Interview mit Ilja Braun
- Webseite der Veranstaltung “G=Grundeinkommen. Eine Antwort auf die digitale Krise des Urheberrechts?”
Die nächste Veranstaltung von Das ABC des Freien Wissens findet am Freitag, den 8. Mai, 19 Uhr statt. Thema: “H=Harmonisierung. Welche Urheberrechtsreform bekommen wir aus Brüssel?”
Anmeldung unter salon@wikimedia.de
Ich versuche mein Bestes, diesen sozialpolitischen Meinungsbeitrag mit der Agenda von Wikimedia Deutschland zusammenzubringen, von der ich annehme, dass sie ja auch das Spektrum dieses Blogs definiert, scheitere jedoch. Mit freiem Wissen hat er nichts zu tun, mit Urheberrecht nichts, sondern, na ja, mit Kapitalismuskritik und der Rezension eines Crowdfundingprojekts. Meines Erachtens ist der Autor insofern ein Wenig gar zu weit abgeschweift.